Köln – Deutschland stolpert durch die Corona-Pandemie, von Lockdown zu Lockerung und wieder zurück. Den Durchblick haben viele längst verloren, auch den Glauben an die Maßnahmen, die teilweise scheinbar willkürlich festgelegt werden. Deswegen fragte Frank Plasberg am Montagabend in seiner Sendung „Hart aber fair“ ganz nett und vorsichtig formuliert, aber umso nachdrücklicher: „Verzeihung, wir haben da eine Frage: Scheitert Deutschland in der Krise?“
Die Frage diskutierte er mit folgenden Gästen:
- Norbert Röttgen, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des CDU-Präsidiums
- Herfried Münkler, Politikwissenschaftler, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin
- Marina Weisband, Psychologin und Publizistin, Mitglied der Grünen, Leiterin eines Demokratieprojekts bei politik-digital e.V.
- Melanie Amann, Journalistin, Leiterin des Spiegel-Hauptstadtbüros
- Matthew Karnitschnig, Europa-Korrespondent des US-amerikanischen Online-Nachrichtenportals „Politico“
- Klaus von Dohnanyi, ehemaliger SPD-Spitzenpolitiker auf Bundes- und Landesebene, hat mitgewirkt an zwei Föderalismusreformen
Schon mit dem letztgenannten Gast, der im Laufe der Sendung noch eine besondere Rolle einnehmen wird, wird ein Pfad auf der Suche nach Antworten deutlich: der deutsche Föderalismus. Der Prozesse anscheinend verlangsamt. Und von Stadtgrenze zu Stadtgrenze für verschiedene Regelungen sorgt. Klaus von Dohnanyi soll aber erst später dazugeschaltet werden.
Zunächst geht es um die Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Vorabend bei Anne Will. Merkel hätte sich die Notbremse konsequenter vorgestellt. Auf ihrer Seite weiß sie offenbar Norbert Röttgen. Es hört sich fast wie eine Art Zugeständnis für so viele Fehler, vor allem der vergangenen Tage, an, als Röttgen bei seiner Vorstellung von einem Neustart spricht, den es nun brauche. Man stehe nun vor der gefährlichsten Phase, die in dieser Pandemie komme. „Entweder wird das jetzt vernünftig repariert, oder der Bundestag muss von seinen ihm zustehenden Gesetzeskompetenzen Gebrauch machen.“ Der Versuch, Regelungen in der Ministerpräsidentenkonferenz zu finden, habe „nicht geklappt“. Und so wäre die Runde dann schnell beim Thema Föderalismus, aber Frank Plasberg möchte diese Ausfahrt noch nicht nehmen.
Sondern lässt Psychologin und Publizistin Marina Weisband zu Wort kommen. Sie wirft den Blick der Menschen, der Bevölkerung in die Runde. „Ich sitze wie so viele seit jetzt einem Jahr zu Hause, mit einem Kind, ich bin müde. Aber ich wäre, wie viele auch, bereit, härtere Maßnahmen zu akzeptieren. Um die Zahlen zu drücken, um Tote zu verhindern. Und gleichzeitig Gas zu geben bei den Impfungen. Wenn sich jemand bei Anne Will hinstellt und das sagt, dann ist es das, was ich will, was viele wollen.“ Man müsse die Pandemie bekämpfen, nicht den Lockdown. So, wie es viele Bundesländer gerade machen würden. Die nächste kleine Breitseite gegen die Maßnahmen-Bremsen des Föderalismus.
Dass dieser aber nicht alles verhindert, was an Maßnahmen gegen Corona möglich wäre, betont Journalistin Melanie Amann, als die Sprache auf das chinesische Politiksystem zu sprechen kommt. Dass China mehr Erfolg in der Bekämpfung der Pandemie als Deutschland habe, liege primär nicht am politischen System, sondern an der Erfahrung mit Pandemien, die in China bereits vorhanden sei, sagt Marina Weisband. Und: „Dass ein totalitärer Staat, der seine Menschen so kontrolliert, Vorteile in der Kontaktverfolgung hat“, sei auch klar, sagt Röttgen. Das sei aber kein Argument für ein solches politisches System. Zudem, das zeigt ein Einspieler, gebe es durchaus die Möglichkeit, dass der Bund sich einen größeren Teil Verantwortung in der Pandemiebekämpfung übernehme. Zum Beispiel könne man eine Grundlage im Infektionsschutzgesetz schaffen, so Prof. Christoph Möllers von der Humboldt-Universität in Berlin.
Röttgen kritisiert das Konzept Ministerpräsidentenkonferenz
Aktuell liegt diese Verantwortung vor allem bei der Ministerpräsidentenkonferenz. Die, das erwähnt Röttgen explizit, gar nicht in der Verfassung steht. Er will mehr Verantwortung beim Bund, Melanie Amann auch. Trotzdem entsteht zwischen dem Politiker und der Journalistin eine Diskussion. Weil Amann von Röttgen wissen möchte, warum es dann jetzt noch keine ausgearbeiteten Vorschläge aus dem Bundestag gebe. Ihr geht dieser Prozess nicht schnell genug. Sie zweifelt an der Verantwortung der Abgeordneten, „wo bleibt denn der Vorstoß?“ Röttgen steht dabei etwas zwischen den Stühlen. Denn er will, wie er betont, letztendlich nichts anderes als Amann. Muss aber verteidigen, warum das bislang nicht passiert ist. Dabei verlieren sich beide in Details, die die gesamte Diskussion nicht weiterbringen.
Plasberg gibt der Runde wieder Schwung, indem er Matthew Karnitschnig das Wort gibt. Er spricht an, wie genervt die Menschen seien. Von Maßnahmen, die sie einschränken, aber in der Bekämpfung der Pandemie nicht viel bringen. In die gleiche Kerbe schlägt Marina Weisband. Sie spricht von einem Kommunikationsproblem, das es gebe. Auch im Hinblick auf die Bundestagswahl im Sommer. Es gebe kein positives Ziel, das man mittelfristig erreichen könne, Maßnahmen und Aussagen würden nicht mit wissenschaftlichen Fakten begründet werden. Norbert Röttgen sieht das sogar ähnlich. Er gibt zu, dass auch Machtpolitik eine Rolle spiele. Und: „Ich glaube, was passieren wird, ist naturwissenschaftlich klar. Aber nicht allen Menschen.“ Röttgen liefert viele Eingeständnisse, aber wenig Erklärungen für Entscheidungen. Wenn es darum geht, bemüht er sich um den berühmten „Blick nach vorne.“ Gut für ihn, dass Gäste für solche Phrasen nur in einer anderen Sendung auf einem Sportsender zahlen müssen.
Zurück zum Föderalismus. Oder viel eher: Seiner Überhöhung. Denn „die Kanzlerin ist überhaupt nicht bereit, den Hebel der Notstandsgesetze zu ziehen“, sagt Karnitschnig. Und Melanie Amann ergänzt: „Es gibt eine Grundlage dafür, dass der Bund im Falle einer Pandemie ein Gesetz macht, das Infektionsschutzgesetz. In dem wurde die Verantwortung an die Länder abgegeben.“ Sie wünsche sich ein konsequenteres Handeln des Bundes. Amann spricht von einer „drängenden Notlage“ und Lippenbekenntnissen der Ministerpräsidenten: „Ich halte das langsam wirklich für eine organisierte Lebensgefahr für uns alle durch Unterlassen seitens der Politik“, so Amann.
Politikwissenschaftler Herfried Münkler spricht noch ein weiteres Problem der aktuellen Verantwortungsverteilung zugunsten der Bundesländer an. Die Leute würden sich fragen, warum sie denn die Maßnahmen überhaupt einhalten sollten, wenn sich selbst die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten nicht an die von ihnen selbst getroffenen Maßnahmen halten würden.
Der Versuch, die deutsche Corona-Politik zu loben, verpufft kläglich
Die Sendung geht ins letzte Drittel, als Röttgen aus seiner bis dahin sehr defensiven Haltung in den Angriff übergeht. In Irland, das die Corona-Zahlen mit einem harten Lockdown in den Griff bekommen hat, sei dies erst während einer Katastrophe geschehen, von der man in Deutschland noch weit weg sei. In den USA, auch in Großbritannien, die beim Impfen deutlich besser vorankommen als Deutschland, seien prozentual gesehen deutlich mehr Menschen an Covid-19 gestorben.
Dann wird es kurios. Eigentlich wollte Plasberg nun mit Klaus von Dohnanyi sprechen. Aber: Dem 92-Jährigen sei der Rechner abgeschmiert. Die hinkende Digitalisierung, die sich in dieser Pandemie auch im Gesundheitssystem bemerkbar macht. Thema in der Sendung ist das nicht, obwohl die lahmende Digitalisierung die Bekämpfung der Pandemie sicherlich lähmt. Eine „Hart aber fair“-Sendung reicht also nicht, um alle Fehler der deutschen Politik in der Pandemie aufzudecken.
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Dafür kommt ein anderes strukturelles Problem noch zur Sprache. „Wir galten als Logistik-Weltmeister“, sagt Plasberg. Nun hinkt Deutschland verglichen mit ähnlich finanzstarken Nationen hinterher. Beim Impfen sei die Verantwortung nach oben an die EU abgegeben worden, bei den Maßnahmen nach unten an die Länder. Das habe gute Gründe, aber daraus müsse man lernen, sagt Herfried Münkler. „Die deutsche Politik hat nicht begriffen, was für eine wahnsinnige Herausforderung diese Pandemie ist.“ Gemütlichkeit, Reihenfolge, es allen Recht machen – so könne das in Zukunft nicht laufen. Marina Weisband schließt sich an. Und weist auf die Klimakrise hin, die es ja auch noch gibt. Da könne man sich ein ähnliches Krisenmanagement nicht erlauben. Und dann kommt die Digitalisierung doch noch auf den Tisch: „Es ist ein deutsches Problem, dass alles mit Papier und Stift gemacht wird“, sagt Weisband. Israel beispielsweise hat die Pandemie gut gehändelt, dort sei das Gesundheitssystem seit Jahren digitalisiert. Und dann ist da wieder der alte Norbert Röttgen, der vom Anfang der Sendung. „Wir haben echt Schwächen“, sagt er, und meint damit unter anderem die hinkende Digitalisierung.