Köln – Jedes Mal, wenn man Gerhard Richter gegenübersteht, staunt man. Das ist nun „Europas größter Maler”, wie ihn die „New York Times” nennt? Der „Picasso des 21. Jahrhunderts”, als den ihn der „Guardian” rühmt? Der teuerste Künstler, der einflussreichste Maler? Gerhard Richter Superstar?
Der Mann selbst bildet den größtmöglichen Kontrast zu all diesen Superlativen. Unscheinbar ist er. Klein, schmal und grau. So einer, an dem man vorbeiläuft. Kurz geschnittener Bart, große Brille. Von einer charmanten Befangenheit im Umgang mit allen, die er nicht schon sehr lange und sehr gut kennt. Er hat sich nie daran gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen, auch nicht mit fast 85 Jahren. Am Donnerstag (9. Februar) ist sein Geburtstag.
Wie soll man Gerhard Richter beschreiben? Er ist nicht unbedingt ein Mann ohne Eigenschaften, aber doch ohne Eigenschaften, wie man sie gemeinhin mit einem Künstler verbindet. Er provoziert nicht wie Sigmar Polke, der seine Sammler vergrätzte und versetzte. Er stilisiert sich nicht wie Markus Lüpertz mit seinen dicken Klunkern und dem Gehstock mit Totenkopf. Er schlägt nicht über die Stränge wie Jörg Immendorff. Nein, Gerhard Richter steht für deutsche Tugenden wie Ordnung, Fleiß und Disziplin. Im persönlichen Umgang ist er leise, höflich und zurückhaltend. Alles andere wäre ihm unangenehm.
Richters Atelier befindet sich in einem bunkerähnlichen Riegelbau im Villenviertel Köln-Hahnwald. Er schirmt das dahinterliegende Wohnhaus ab. Der Künstler lebt dort mit seiner dritten Frau Sabine Moritz - einer ehemaligen Schülerin - und dem jüngsten Sohn Theodor (11). Nebenan wohnt Stefan Raab. Man fährt hier Porsche oder Jaguar. Richter selbst wird in Veröffentlichungen mitunter zu den reichsten Deutschen gerechnet, was er aber vehement bestreitet. Vermögend ist er natürlich, auch wenn er von den Rekordpreisen, die bei Auktionen für seine Bilder gezahlt werden, nicht direkt profitiert. Denn dabei handelt es sich durchweg um ältere Bilder, die schon durch mehrere Hände gegangen sind.
Für seinen Wohlstand hat Richter ein Leben lang hart gearbeitet. Und tut es noch immer. Jeden Tag steht er im Atelier. Warum ausgerechnet in Köln? Reiner Zufall, es geht ihm da nicht anders als den meisten: Irgendwo bleibt man hängen. Geboren 1932 in Dresden, Flucht in den Westen 1961, Studium und dann Professur an der Kunstakademie Düsseldorf. Das ist ganz grob der Lebenslauf. Der Osten steckt immer noch in ihm drin: Wenn er spricht, hört man das Sächsische heraus.
„Ohne Worte” stand früher unter manchen Karikaturen. Gerhard Richter ist ein Maler ohne Worte. Man hat ihn die Sphinx oder den großen Schweiger genannt, weil er seine Werke nicht erklärt. Und noch weniger sich selbst. Es ist schwierig, ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Und wenn er dann redet, kann es sein, dass er es sich hinterher anders überlegt und keine einzige seiner Aussagen zur Veröffentlichung freigibt.
Diese Rätselhaftigkeit hat wohl ihren Teil dazu beigetragen, dass er schon zu Lebzeiten als einer der Großen der Kunstgeschichte gilt. Zu Beginn seiner Laufbahn in den 60er Jahren sprachen viele vom Ende der Malerei, denn wenn es um realistische Abbildungen ging, war die Malerei der Fotografie hoffnungslos unterlegen. Auch das, was Impressionisten und Expressionisten getan hatten - die Welt durch die eigene Brille zu sehen oder das eigene Seelenleben auf der Leinwand auszubreiten -, schien ausgereizt. In Richter sehen viele Kunsthistoriker heute denjenigen, der am stärksten dazu beigetragen hat, der Malerei eine neue Bedeutung zu geben.
Richter griff alle altbekannten Genres wieder auf: Landschaften, Seestücke, Porträts, Aktbilder, Stillleben, Historienbilder. Nur eben ganz anders. Zum Beispiel durch den Effekt des Verwischens. Die berühmte „Ema auf der Treppe” erhält dadurch einen schützenden Schleier. Die Figur ist nackt, aber doch nicht bloßgestellt. Sie nähert sich dem Betrachter, aber bleibt doch unerreichbar. Es ist eine Distanz, die auch die Persönlichkeit des Künstlers kennzeichnet.
Für Richters meistbewundertes Werk muss man keinen Eintritt zahlen. Es ist das 19 Meter hohe Fenster im südlichen Querhaus des Kölner Doms. Richter hat Sympathien für die Kirche, aber er glaubt nicht an Gott. Den ursprünglichen Auftrag, im Domfenster christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts darzustellen, konnte er deshalb nicht erfüllen. Stattdessen gestaltete er das Fenster abstrakt. Er setzte es aus 11 263 Farbquadraten zusammen. Angeordnet von einem Zufallsgenerator.
Kardinal Joachim Meisner fand das Ergebnis zu beliebig. Wenn man will, kann man die zusammengewürfelte Farbzusammenstellung als eine Demonstration der Macht des Zufalls auslegen. Viele Besucher sehen das Fenster aber anders. Selbst Atheisten können im Dom eine spirituelle Erfahrung machen, wenn an einem bewölkten Tag mit einem Mal die Sonne durchbricht. Dann leuchtet das gut 100 Quadratmeter große Fenster plötzlich auf. Dann erstrahlen nicht nur die Glasquadrate selbst, sondern ihr Licht ergießt sich über Säulen und Bänke und taucht das ganze Innere der Kathedrale in fantastische Farben. Wer das Glück hat, das zu erleben, wird in diesem Moment vieles für möglich halten.
Selbst der ewig zweifelnde Künstler ist dies eine Mal zufrieden. „Herr Richter”, wurde er kurz vor der Einweihung gefragt, „wie finden Sie es, vor Ihrem Fenster zu stehen?” Die Antwort kam ohne Zögern: „Das ist ein wunderschönes Gefühl.” (dpa)