AboAbonnieren

Die schöne Helena rastet aus

Lesezeit 4 Minuten

„Wir sind kein Nachtlokal, auf dieser Baustelle ist jetzt Ruhe“, bestimmt energisch der Kellner Jakob, der sich zu später Stunde vor Gästen an seinem Rundtresen nicht retten kann. Das mit der Baustelle stimmt sogar, die Bemerkung gehört zum Repertoire der heiteren Selbstbezüglichkeiten, mit denen die letzte Saisonproduktion der Kölner Oper aufwartet. Nein, nicht im Staatenhaus, sondern tatsächlich im Sanierungsfall am Offenbachplatz. Und dort zwar nicht im Großen Haus, aber immerhin in der ebenerdigen Kantine.

Auch hier empfangen das Publikum überall Beton und Leitungen, die zum Teil durch (zum Bühnenbild gehörige) Dekoration in den 4711-Farben verkleidet werden. Indes kann man dort durchaus in bescheidenem Umfang Theater spielen – 200 Besucher finden zu beiden Seiten des Rundtresens Platz, das abgespeckte Orchester postiert sich in einer Nische. Das Ambiente ist dennoch erfreulich – kammertheatral, intim, irgendwie anheimelnd.

Der Zuschauer sitzt hart am Geschehen, die Klangwirkung von Spiel und Gesang ist unmittelbar, direkt, herzhaft. Und auch der Zugang lässt – zumal an einem schönen, warmen Sommerabend – ahnen, wie das alles wirkt, wenn es einmal fertig ist. Der unansehnlich-angeranzte Hof von ehedem zwischen Opern- und Schauspielhaus – er ist nicht mehr, in Sicht ist eine attraktive urbane Platzfläche.

Offenbach zum Zweiten also im Riphahnbau. Nach der Pleite der „Grande-Duchesse“ stellt die Oper mit der Geburtstagsrevue „Je suis Jacques“ (Inszenierung: Christian von Götz; Bühne: Dieter Richter) ihre Ehre im Rahmen der opulenten Feiern zum 200. Geburtstag des in Köln Geborenen wieder her.

Zu erleben ist ein vergnüglicher, kurzweiliger Abend, der auch der poetischen und hintersinnigen Aspekte nicht entbehrt, der auf krampfige Aktualisierung verzichtet und – vor allem – ein Füllhorn unterschiedlicher Offenbach-Musik ausschüttet. Die wirkt in dieser Zusammenstellung keinen Augenblick langweilig oder stereotyp, sondern stets farbig und erfindungsreich – da läuft andauernd eine neue Sau durchs Dorf.

Zum dramaturgischen Grundeinfall mag Götz durch Offenbachs letzte Oper, „Hoffmanns Erzählungen“, inspiriert worden sein. Beim Kellner Jakob/Jacques – später stellt sich heraus, dass dieser kein anderer als der Komponist selbst ist, der zur Feier seines Geburtstags eingeladen hat – finden sich nach und nach zentrale Gestalten seiner Bühnenwerke ein – darunter Blaubart, Orpheus, Olympia, Lindorf, die schöne Helena, Herminie –, die nicht nur (teils in Verkürzung) die ihnen zugedachten Arien und Ensembles singen, sondern sich auch über sich selbst und ihre Rollen austauschen.

Unter zunehmendem Alkoholgenuss geht es dabei durchaus nicht immer friedlich zu, zwischen der schönen Helena und der Dame vom Markt etwa entspinnt sich ein gehässiger Zickenkrieg mit köstlichen wechselseitigen Beschimpfungen. Und der böse Lindorf nervt seine Kollegen mit angeblich madenhaltigem Stinkekäse (der dann, im Publikum herumgereicht, gar nicht mal schlecht schmeckt).

Bewegungsspiel, Temperament und Darstellungsfreude rund um den Tresen sind exzellent, besonders hervorgehoben sei diesbezüglich Verena Hierholzer, die die (stumme) Partie der Puppe Olympia mit barbiehaft-grotesker Eindringlichkeit zelebriert. Gesungen wird ausgezeichnet – wobei eben auch, es sei wiederholt, die Stimmen in diesem Raum das Publikum nahezu gewaltsam „anspringen“.

John Heuzenroeder als Kellner Jakob/Offenbach im Zentrum, Jeongki Cho, Insik Choi, Matthias Hoffmann (als fies wienernder Teufel), Judith Thielsen (als köstlich görenhafte Helena) und Alina Wunderlin (mit souverän exerzierten Koloraturen) – sie alle werden ihren teils mit umfangreichen Sprechstrecken gespickten Rollen vollauf gerecht. Offenbachs französische Originaltexte wurden übrigens von Christian von Götz zum großen Teil in ein – nach allem, was man hören kann – recht munteres, lässig-flapsiges Deutsch gebracht.

Als geschmeidiger Mitakteur betätigt sich das kammermusikalisch reduzierte Gürzenich-Orchester unter Gerrit Prießnitz (am Flügel). Dass die Instrumentierung angepasst werden musste – Ralf Soiron erledigte das –, liegt auf der Hand. Nun hört man also die berühmte Barcarole mit einer Klarinette in der Melodiestimme. Bei einem Großteil der Musik fallen solche Adaptionen allerdings gar nicht auf – weil die Zuhörer sie meist eh nicht kennen. So führt der Abend nebenbei auch noch in einen weithin unerschlossenen Kontinent namens Offenbach.

STÜCKBRIEF

Musikalische Leitung: Gerrit Prießnitz Inszenierung: Christian von Götz Bühne: Dieter Richter Darsteller: Jeongki Cho, Insik Choi, John Heuzenroeder, Verena Hierholzer, Matthias Hoffmann, Judith Thielsen, Alina Wunderlin Dauer: 80 Minuten (ohne Pause) Weitere Aufführungen: 25., 29. Juni, 2., 6., 9. Juli