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Gürzenich-Konzert mit Sakari OramoWie ein Zugang in eine neue Welt

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Sakari Oramo dirigiert.

Der Dirigent Sakari Oramo bei der Arbeit.

Das Kölner Gürzenich-Orchester kann jetzt auch Sibelius, und die Sopranistin Anu Komsi sang ihren Part, wie es besser nicht geht.

Vor Jahren gab es im Abo-Programm des Gürzenich-Orchesters einmal ein Konzert, in dem der illustre Brite Mark Elder Sibelius dirigierte. Der Auftritt war eine bemerkenswerte Pleite – nicht weil das kölnische Orchester schlecht gespielt und Elder schlecht den Taktstock gehalten hätte. Nein, Agenda und Formation passten nicht zusammen, die Gürzenicher hatten für Sibelius' Klang- und Formendramaturgie einfach keine Antenne. Und hatten die offenkundig auch während der Probenphase nicht ausfahren können. Das brauchte man ihnen gar nicht mal übel zu nehmen: Im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern waren Komponisten wie Elgar und eben auch Sibelius nach dem Krieg in Deutschland verschollen. Im Fall des Finnen war es vor allem Adornos Faschismus-Verdacht, der wirkungsvoll in die Breite diffundierte und eine adäquate Rezeption auf Jahrzehnte hin nachhaltig blockierte.

Stardirigent Sakari Oramo begann seine fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Gürzenich-Orchester

Inzwischen haben da freilich längst ernstzunehmende Lockerungsübungen eingesetzt, mittlerweile „können“ deutsche Orchester auch Sibelius. Das zeigte sich eindrucksvoll beim jüngsten Gürzenich-Konzert in der Philharmonie, das der finnische Stardirigent Sakari Oramo leitete. Es war der verheißungsvolle Startschuss für eine auf fünf Jahre angelegte künstlerische Partnerschaft, in deren Rahmen Oramo schwerpunktmäßig auch Musik seines Landes Ensemble wie Publikum nahebringen will (und wohl auch wird). Was insofern naheliegt, als diese – Antenne hin oder her – beim stadtkölnischen Klangkörper in der Vergangenheit tendenziell zu kurz kam.

Zu Beginn also Sibelius – mit seiner hierzulande kaum bekannten frühen Tondichtung „En saga“. Die hat tatsächlich mit der mitteleuropäischen Tradition, mit Liszt und Strauss wenig zu tun, es gibt da keine sonatenhafte Themendialektik, und auch das Klangbild ist, trotz Sibelius' Musikstudium in Wien, markant anders. Und man höre da: Von Langeweile oder verdrossener Abwicklung konnte keine Rede sein – wofür nicht nur die technische Exzellenz der Aufführung, sondern unverkennbar auch Oramos gutes und nettes interpretatorisch-didaktisches Händchen verantwortlich war. Eine irgendwie naturnahe, herzlich-farbenprächtige Archaik in modal eingefärbtem schwerblütigem Moll, dann aber auch mit schönen Lichteffekten verbreitete sich da, auch der Reiz des Repetitiven mit wenigen stets (wenn auch verändert) wiederkehrenden thematischen und rhythmischen Basisfiguren. Ein lebendiges Spiel von motivischen und klangfarblichen Gegensätzen in der Tiefe der Partitur, das überraschte und bezauberte. Da öffnete sich schier eine neue Welt.

Die Sopranistin Anu Komsi erntete hörbar mehr Beifall, als es sonst bei der Hardcore-Moderne der Fall ist

Großartig ging es auch weiter – mit den fünf Liedern nach Gedichten von Pentti Saarikoski aus der Feder von Kaja Saariaho, einem der letzten Werke der 2023 verstorbenen finnischen Komponistin. Die Sopranistin Anu Komsi, Interpretin der Uraufführung von 2021, deren Stimme Saariaho selbst bei der Niederschrift im Ohr hatte, sang auch jetzt – welch glückliche Fügung – den Vokalpart. Für ihre Darbietung erntete sie hörbar mehr Beifall, als es sonst bei Aufführungen von Hardcore-Moderne im Traditionskonzert der Fall ist, und das mit gutem Grund: Saariaho verlangt der Stimme viel ab, es gibt da nicht nur traditionelle, wenn auch hochexpressive Kantilenen und sogar Koloraturen, sondern die Interpretin muss auch schreien und tonlos deklamieren. Es ist offensichtlich die Partitur selbst, die stellenweise eine üppige Vibrato-Schaukel fordert. Und immer wieder – so gleich am Anfang – wird die Stimme gleichsam instrumental eingesetzt, soll sich erst allmählich aus dem Orchesterkontext lösen und erheben.

Komsi aber ließ die physische, intellektuelle und emotionale Anforderung, die das Werk zweifellos darstellt, keinen Augenblick spüren. In einem fabelhaften Gleichgewicht von künstlerischer Kontrolle und engelgleicher Reinheit des Materials wurden alle Klippen scheinbar mühelos umschifft. Kann man besser singen, als es hier geschah?

Zum Schluss sinfonischer Kanon mit Dvoráks achter Sinfonie. Auch deren Aufführung war vital, spannungsgeladen, farbenprächtig mit schön herausgespielten Gegensätzen zwischen Tragik und Idylle im zweiten Satz. Hier schien gleichfalls viel Natur zu tönen – jetzt eben nicht aus den karelischen Wäldern, sondern aus Böhmens Hain und Flur.