Problem erkannt, Problem gebannt? Wie modernisiert man einen Koloss wie die Bahn? Darum ging es bei „hart aber fair“.
„Es ist kompliziert“Talk-Runde bei „hart aber fair“ diskutiert über den Kurs der Bahn
Am Montagabend ging es in der Talk-Runde „hart aber fair“ um das Reizthema Bahn. Die Bahn steht im Zentrum vieler Diskussionen, sie ist nicht wegzudenken aus dem Leben vieler Menschen. Und doch betrachten sie viele momentan nur noch als notwendiges Übel. Ist die Bahn noch zu retten oder hat sie den Anschluss verloren? Diese Frage diskutierte Louis Klamroth mit seinen Gästen.
Die Gäste am 04. September
- Berthold Huber, Vorstand für Infrastruktur bei der Bahn
- Michael Theurer (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium und Beauftragter der Bundesregierung für die Schiene
- Fatma Mittler-Solak, Moderatorin, Presenterin der Doku „Besser Bahnfahren“
- Sarah Bosetti, Autorin und regelmäßige Bahnkundin
- Prof. Dr. Christian Böttger, Professor für Verkehrswesen an der Hochschuke für Technik und Wirtschaft Berlin
Als Erstes richtet Moderator Louis Klamroth das Wort an Moderations-Kollegin Fatma Mittler-Solak. Diese hat den Selbstversuch gemacht und ist für die ARD-Doku „Besser Bahnfahren“ vom Auto auf die Schiene umgestiegen. Ihr Fazit: „Es war kompliziert“, das habe sie so nicht erwartet.
Oft habe sie rennen müssen, manchmal auch umsonst, weil der Zug entweder nicht kam oder sie wieder aussteigen musste. Eben diese Unzuverlässigkeit sei es, was die Kunden, am meisten Pendler, am meisten aufrege. Andere Probleme seien Eingleisigkeit und zu kurze Züge.
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Trotz Stress: Bosetti fährt gerne Bahn
Berthold Huber, Vorstand für Infrastruktur bei der Bahn, sieht die Probleme. Für ihn stehe fest, dass die Frage der Qualität der Bahn mit der Qualität dieser Infrastruktur steht oder fällt.
Sarah Bosetti und Prof. Dr. Böttger sind beide oft unterwegs mit der Bahn und haben ein entspanntes Verhältnis zu ihr. Bosetti hat selbst keinen Führerschein und ist auf die Bahn angewiesen. Sie sagt, sie fahre gerne Bahn, um gleich zu relativieren: Sie sei „großer Fan der Idee des Bahnfahrens.“ Sie nehme jedoch immer mindestens eine Bahn früher. Das kennt auch Böttger, bisher sei er von katastrophalen Erlebnissen verschont geblieben.
Michael Theurer beschreibt seinen Job als Staatssekretär unter Volker Wissing vor allem als Kummerkasten. Auch er fahre oft Bahn und plane bei Umstiegen Knautschzonen ein.
Bahn muss 2022 Rekordsumme an Entschädigungen zahlen
Ein Einspieler thematisiert das Pünktlichkeits-Problem der Bahn: 90 Prozent Pünktlichkeit im Regionalverkehr sind vergleichsweise gut gegen 70 im Güter- und 69 Prozent im Fernverkehr.
Berthold Huber gibt an, „ausgesprochen unzufrieden“ zu sein mit der Pünktlichkeit seiner Bahn. Die 5 Minuten und 59 Sekunden, ab denen ein Zug als zu spät in die Statistik einfließt, hänge mit dem Korridor zusammen, in dem Kunden standardmäßig noch ihre Anschlüsse erwischen. Es würden noch andere Pünktlichkeiten gemessen.
Prof. Böttger weist auf die Entwicklung hin. Die sechs Minuten seien nicht direkt zu beanstanden, jedoch bekämen es andere Länder durchaus besser hin und der Trend in Deutschland verschlechtere sich seit Jahren. Das Problem neben dem Sanierungsstau sei die Überlastung des Netzes. Man habe sich 20 Jahre nicht gekümmert, sodass nun zu viele Züge auf einem zu alten Netz fahren, „das geht einfach zulasten der Qualität.“
Klamroth blendet die Rekordsumme von 93 Millionen Euro Entschädigungen ein, die die Bahn 2022 an ihre Gäste zahlen musste. „Geld entschädigt nicht den ganzen Stress“, sagt Mittler-Solak. Sie beschreibt eine Situation, die sie während ihres Selbstversuchs erlebt hat: „Das macht einen so fertig.“
Investitionen: Deutschlandtakt erst 2070?
Huber stimmt zu, es dürfe nicht Ziel der DB sein, „sich für eine schlechte Qualität freizukaufen.“ Er prangert an, dass in Deutschland in den letzten Jahren deutlich weniger in die Infrastruktur investiert wurde, als in anderen Ländern, das müsse sich ändern. „Da bin ich zuständig.“ Zusammen mit der Bundesregierung habe man Ziele festgelegt: Man wolle doppelt so viel Bahn fahren und den Güterverkehr vergrößern. Mittel dafür sei der Deutschlandtakt. Die letzte Frage sei, wie man das Netz in den Zustand bringt, diese Ziele tragen zu können.
Huber sagt später, er sei neidisch auf die Schweizer Verhältnisse. Das Land gebe pro Kopf circa viermal so viel aus wie Deutschland. Der Investitionsrückstand müsse abgebaut werden. Huber sehe das Glas eher halb voll, als halb leer: „So weit waren wir noch nie.“ Da stimmt Prof. Böttger nicht zu. Zwar stimme, dass wieder mehr Geld in die Schiene fließt, aber es sei auch viel aus dem Auge geraten. So verwunderte die Prognose, dass der Deutschlandtakt erst 2070 kommen solle.
Theurer kündigt „knallharte Zeiten“ für Fahrgäste an
Theurer sei froh, dass nun eine „schonungslose Bestandsaufnahme“ vorgenommen wurde. Eine Generalsanierung sei nötig, denn das Netz sei marode. „Knallharte Zeiten“ kämen auf die Fahrgäste zu, so Theurer.
Prof. Böttger sieht ein breites Versagen bei der Politik. Das Neubau-Budget habe vor 20 Jahren bei 4 Milliarden Euro gelegen. Dieses sei unter der rot-grünen Regierung auf 1,5 Milliarden Euro geschmolzen und habe sich danach nur langsam erhöht: „Man kann da keine Partei schonen.“ Bei der Instandhaltung sehe es ähnlich aus. Die Gesetze hätten den Bundestag passiert, gegen den Rat der Fachleute.
Rundum-Erneuerung nötig
Die Lösung soll nun die Korridor-Sanierung sein, die Strecke wird dann einmalig für längere Zeit gesperrt, dafür sollen die folgenden Jahre keine Baustellen kommen. So können für das ganze System besonders relevante Strecken ausgewählt werden. Mit einer Rundrum-Erneuerung solle so stufenweise die Pünktlichkeit erhöht werden.
Auch Prof. Böttger sieht keine Alternative, der Zustand sei so schlecht, dass man nicht drumherum komme. Huber geht auf Mittler-Solaks Einwände ein, Fahrgäste seien so zusätzlichem Stress ausgesetzt. Auch über finanzielle Entschädigungen denke man nach. Doch auch er ist davon überzeugt, dass das Konzept der Sanierung unter dem rollenden Rad vorzuziehen sei.
Streit zwischen Straße und Schiene
Bosetti fragt nach Autobahnen. Bei dem Thema liegen FDP und Grüne in der Regierung im Streit. Man einigte sich neben Investitionen in die Schiene auch auf 145 Autobahnprojekte.
Theurer verteidigt den Kompromiss, alle Bahnprojekte werden als vordringlich betrachtet. Man lege den Schwerpunkt auf die Schiene, aber insbesondere beim Güterverkehr brauche man auch Kapazitäten auf der Straße.
Bosetti kontert, dass bei einer solchen Situation doch eigentlich noch mehr Mittel in die Schiene fließen sollten. Es wundere sie, dass die Schiene nicht die oberste und einzige Priorität sei. Laut Theurer sei es jedoch nicht möglich 100 Prozent des Güterverkehrs auf die Schiene zu bekommen.
Huber hadert mit der Antwort auf die Frage, ob er zufrieden mit der aktuellen Politik ist. Er vergleicht die Unterstützung mit der vorigen Regierung. „Reicht es oder reicht es nicht?“, will Bosetti wissen. Den Vergleich mit Vorgängerregierungen findet sie zu einfach. Theurer verneint dies, man brauche die Antriebswende, um den Verkehr klimaneutral zu machen. Später sagt Huber, mehr Geld würde gar nicht unbedingt mehr helfen. Das Geld reiche, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Wann der Verkehrssektor die Klimaziele nicht mehr reißt, kann Theurer jedoch nicht genau beantworten. Es hinge von vielem ab, „wir sind ja nicht in einer Planwirtschaft.“ Prof. Böttger verweist außerdem auf die Eigenverantwortung jedes Einzelnen: „Wenn es darum geht, Einzelentscheidungen umzusetzen, lässt die Begeisterung ganz schnell nach.“ Emissionen würden von uns allen erzeugt. Er sieht das Problem außerdem bei Fachkräften, dieser Mangel sei ebenso absehbar, wie die Tatsache, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden.
Verkehrswende: Was kommt nach dem 49-Euro-Ticket?
Moderatorin Mittler-Solak ist als „überzeugte Autofahrerin“ nicht überzeugt vom Autobahn-Ausbau. Sie befürchtet, dass dies noch mehr Verkehr generiert. Das 49-Euro-Ticket, schaffe einen Anreiz, mehr beziehungsweise noch mehr ÖPNV zu nutzen, wenn man das Abo schon einmal hat. Sie kritisiert die Zweigleisigkeit der Verkehrspolitik.
Die Zukunft des Tickets ist nur noch bis 2024 gesichert, Theurer möchte „mit den Ländern im Gespräch bleiben.“ Er hofft, dass das Deutschland-Ticket sich irgendwann selbst trägt. „Das Deutschland-Ticket ist ein Erfolg“, sagt Huber. Es mache das System einfacher nutzbar, entfalte sein volles Potenzial aber erst, wenn die Infrastruktur modernisiert ist.
Böttger hält nichts von dem Ticket. Am Ende würden 0,5 Prozent des Straßenverkehrs auf die Schiene verlagert. Die Milliarden Euro sollten lieber in den Ausbau gesteckt werden, es gäbe genug. Die Subvention lande hauptsächlich bei Pendlern aus der Mittelschicht.
Bosetti widerspricht dem: Es ginge darum, auch Menschen auf dem Land eine Wahl zu geben, Auto oder Bahn zu fahren. Es ginge um räumliche Anbindung, ebenso wie um Zugänglichkeit für Menschen mit weniger Geld.
Mittler-Solak berichtet, dass das Ticket kein Gamechanger gewesen sei. Menschen mit Abo hätten sich gefreut, weniger zahlen zu müssen, aber viele sehen keinen Nutzen, wenn die Infrastruktur nicht ausreichend vorhanden ist. „Die Menschen würden lieber mehr zahlen, aber dafür auf eine Zuverlässigkeit zurückgreifen können“, fasst sie ihre Eindrücke zusammen und macht damit wieder das Thema Infrastruktur auf.
Neubaustrecken stoßen vielerorts auf Ablehnung
In einem Gespräch mit Kollegin Brigitte Büscher wird die Geschichte vieler Städte thematisiert. Mit dem Fokus auf das Auto und dem Straßenausbau wurden Bahnstrecken weniger genutzt und still gelegt. Das rächt sich nun, denn oft ist die Infrastruktur zwar noch erhalten, aber stark modernisierungsbedürftig. Der Wunsch nach Bahnanbindung ist oft groß.
Böttger bestätigt das, oft seien Strecken stillgelegt worden, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt hätten. Oft blieb nur der Güterverkehr übrig. In vielen Regionen gebe es jetzt jedoch Reaktivierungs-Programme, was wiederum zu Überlastungen führen kann. Ein weiterer Grund für die Modernisierung.
Anwohner- und Allgemeininteressen gleichermaßen hören
Neubaustrecken haben aber auch oft Gegner. Theurer berichtet von wöchentlichen Protesten von Verbänden oder aus der Politik gegen neue Strecken durch eine Region. Das Ziel sei bei allen gewollt, aber Neu- und Ausbau bei Bürgern sehr unbeliebt. Es sei jedoch auch unabdingbar, zum Beispiel Häfen besser anzubinden, wenn mehr Güter auf die Schiene sollen.
Auch Böttger kennt viele Projekte, gegen die auch protestiert wird. Oft sei die Bahn in der Vergangenheit eingeknickt. Huber sieht Betroffenen- und Bürgerbeteiligung positiv. Das Ziel müsse dabei sein, das Gemeinwohl-Interesse und Partikularinteressen nebeneinander zu stellen. Anwohner müssten beteiligt werden, sie seien aber nicht die einzigen, die befragt werden sollten.
Das Schlusswort hat Bosetti. Sie „möchte dran glauben“, dass die Bahn besser werden kann. Etwas, das sie wohl mit vielen Gästen der Bahn gemeinsam hat.