Man kam als Besucher der Premiere im Staatenhaus dem Dauerfeuer der Ideen und szenischen Sensationen kaum nach.
Haydns „Schöpfung“ an der Oper KölnIrgendwann wird es auch Satan zu viel
Irgendwann wird es dann auch Satan zu viel. Als Eva dem Adam ihre Ergebenheit adressiert („Dir gehorchen“ und so weiter), wendet er sich genervt und frustriert ab. Den Apfel, den dem Bibelbericht zufolge die Schlange der Eva offeriert, isst er selbst auf. Wie bitte, der Satan in Joseph Haydns „Schöpfung“? Von Haus aus hat er da durchaus nichts zu suchen, Libretto und Komponist belassen es bei einer Welt vor der Sünde – und bei der finalen Warnung des Erzengels Uriel vor „falschem Wahn“. Unstrittig ist er dort indes als Abwesender anwesend, „Die Schöpfung“ kreist um eine unbesetzte Leerstelle.
Das macht sich die britische Theaterregisseurin Melly Still zunutze: In ihrer saisoneröffnenden Inszenierung des Oratoriums im Saal 2 des Kölner Staatenhauses führt sie Satan, den gefallenen Engel, als stumme Tanzrolle ein. Die übrigens mit Francesca Merolla eine Frau versieht – da wird ein Stück weit der Feminismus nachgeholt, dem der Textautor Gottfried van Swieten und der Komponist (zeitbedingt) nichts abgewinnen können.
Dieser Satan ist übrigens nicht ein simpler Böser, sondern eine kritisch-anregende, kommentierende und von den Erzengeln mal abgelehnte, mal akzeptierte, ja umworbene, gestisch jedenfalls durchaus ernst genommene Gestalt. Solche Figuren sind auch die „Höllengeister“ der ersten Arie (plus Chor), weitere sieben Balletttänzer, die im Fortgang Leben, Bewusstsein, Geschichte repräsentieren – all das, was die paradiesische Existenzform irgendwie schuldig bleibt.
Alles zum Thema Oper Köln
- Was in der Region bemängelt wird Kölner Oper zählt zu den Stammkunden im Schwarzbuch
- Eine „Tragödie“ Bund der Steuerzahler prangert Steuergeld-Verschwendung in Köln und Region an
- Kölner „Elektra“-Premiere Oper als blutige Apokalypse
- Budget um 90 Millionen erhöht Kölner Stadtrat gibt erneut Aufklärung des Bühnen-Desasters in Auftrag
- Satirischer Wochenrückblick Der kölsche Banksy
- Verpatzte Bühnensanierung in Köln Kulturdezernent Charles: „Meine Aufgabe ist es nicht, einen Sündenbock zu finden“
- Leserbriefe zur Kölner Oper „Ende der Geldvernichtung nicht abzusehen“
Der Auftritt der Tiere geriet zu einer erheiternden Revue
Man denkt bei all dem automatisch an Goethes „Faust“ und an seinen „Prolog im Himmel“, der Mephisto gleichfalls nicht als einfältig Bösen, sondern als philosophischen Widerpart des „Alten“ inszeniert. Der „Alte“ fehlt freilich bei Haydn, er wird nur immer wieder inbrünstig besungen.
Unstrittig ist Melly Still szenisch viel eingefallen, man kam als Besucher der Premiere dem Dauerfeuer der Ideen und szenischen Sensationen kaum nach. Sie können auch an dieser Stelle nicht nachgehalten werden. Und es gab auch immer wieder was zu lachen: Der Auftritt der Tiere – Löwe, Ross, Rind, Schaf – geriet zu einer erheiternden Revue mit ironischen Accessoires wie Hüpfball und Hirschgeweih. Haydns Genreszenen laden dazu tatsächlich ein, davon abgesehen ist es ein willkommener Kontrapunkt zu jener Erhabenheit, die der Musik sujetbedingt weithin eigen ist und die auch nicht unterspielt werden sollte (unterspielt wird sie, wenn zu der unsterblichen Stelle „Und es ward Licht“ eine funzelige LED-Röhre angeht).
Interessant auch der Schwächeanfall, den der Erzengel Raphael bei den „Wundern des fünften Tags“ erleidet und der veritable Wiederbelebungsversuche nötig macht. Ist da jemand des ewigen Preisens und Lobens müde geworden – vielleicht weil er nicht alles, was er besingen muss, rundherum toll findet? Diese Frage führt freilich auf eines von mehreren Grundproblemen der Inszenierung. Vieles bleibt im Rausch besagter Einfälle schwer- bis unverständlich. Das hatte seine Ursache auch in der notwendig geteilten Aufmerksamkeit des Zuschauers angesichts des informativen Overkills von Text, Musik und Szene.
Ist die Theatralisierung des Oratoriums notwendig?
An dieser Stelle stellt sich dann auch die schlichte Frage nach der Notwendigkeit einer Theatralisierung der „Schöpfung“. Bei vielen Oratorien funktioniert so etwas zweifellos – Dietrich Hilsdorf hat es vor Jahren mit seinen Händel-Bearbeitungen an der Bonner Oper gezeigt. Aber viele Händel-Oratorien sind von Haus aus dramatisch, „Die Schöpfung“ ist es nicht. Andererseits ist Haydns musikalische Bildlichkeit so intensiv, dass ein begleitendes Bühnengeschehen leicht als redundante Verdopplung erscheint. Wenn man hingegen, wie Still, hinzuerfindet, wirkt auch das leicht wie eine in ihrer Notwendigkeit nicht einsehbare lästige Zutat, dramaturgisch überflüssig, ja deplatziert. Da mag sich dann angesichts des tanzenden Satans eine Reaktion wie „Ach, er (sie) nun schon wieder“ einstellen. Dieser Gefahr entgeht die Kölner Produktion leider nicht.
Weithin auf der Habenseite steht der musikalische Teil. Alex Rosen ist ein majestätischer, raumfüllend in den Stimmkeller langender Raphael – trotz seines leicht verpatzten Rezitativ-Einstiegs („Im Anfange schuf Gott“) und teils unerfreulicher Intonationsschwächen. Das „kriechende Gewürm“ gelang mit schöner klangbildnerischer Plastizität. Sebastian Kohlhepps Uriel strahlt und glänzt im Bericht über die Schöpfungsereignisse, den Vogel unter den Solisten aber dürfte das Ensemblemitglied Katrin Zukowski als Gabriel abschießen – ein Muster an stimmlicher Agilität, Leuchtkraft und Sopranfrische.
Weniger überzeugend agierten in der Premiere Giulia Montanari als Eva und André Morsch – sei es, dass sie timbrehalber nicht ganz miteinander harmonierten, sei es, dass sie es an offensiver Gestaltungskraft und Präsenz fehlen ließen. Gewinnend, weil stets schlagkräftig auf den Punkt sang der Opernchor, der, in teils merkwürdigen, an den Ku-Klux-Clan erinnernden Gewandungen, in die Szene einbezogen wird. Oft muss er am linken Rand des Saales singen – keine beneidenswerte Position, die indes geeignet ist, seine Performance erst recht in ein gutes Licht zu rücken.
Er wird freilich schnell laut, die Fugen werden ziemlich martialisch durchgezogen. Dieser Umstand verdankt sich indes auch der trockenen Akustik des Raumes, die jedes Klangcharisma behindert und gegen die die Musiker permanent ankämpfen müssen. Unter der Leitung des französischen Alte-Musik-Matadors Marc Minkowski am Pult des Gürzenich-Orchesters gelang das aber, bei teils recht flotten, teils auch markant ermäßigten Tempi mehr als nur gediegen. Bereits das „Chaos“ überzeugte durch seine Eindringlichkeit und Intensität, die genaue Gliederung, die konsequente Ansteuerung der unterschiedlichen harmonischen Plateaus – und nicht zuletzt die exquisiten solistischen Farben. Einhelliger Beifall im vollbesetzten Staatenhaus!
Stückbrief
Musikalische Leitung: Marc Minkowski
Inszenierung: Melly Still
Darsteller: Kathrin Zukowski, Sebastian Kohlhepp, Alex Rosen, Francesca Merolla, Giulia Montanari, André Morsch
Dauer: 2 ¼ Stunden (mit Pause)
Weitere Aufführungen: 8., 12., 15., 18., 20. Oktober