Kein „Parsifal“ am Karfreitag, keine „Zauberflöte“ am Ostermontag. Und ob man zu Pfingsten wieder in die Oper gehen kann, steht in den Sternen. Die Kölner Oper bleibt vorerst bis zum 3. Mai geschlossen. Die Bayerische Staatsoper hingegen hat die Saison bereits komplett für beendet erklärt.
Für viele Beschäftigte in den Stadt- und Staatstheatern ist das kein Problem – ihre Bezüge laufen weiter. Auch das mit befristeten Festverträgen ausgestattete künstlerische Personal hat zunächst nichts zu befürchten. Anders sieht es bei den Gästen aus, die nur für einzelne Produktionen verpflichtet wurden. Sie werden nicht monatlich entlohnt, sondern bekommen Probenpauschalen und Abendgagen. Die Termine sind in den Gastverträgen meist genau fixiert, aber die betreffenden Vorstellungen fallen aus. Müssen die Theater ihre Gäste trotzdem bezahlen? Viele tun es bis heute nicht – und sorgen damit in der Opernszene für Diskussionen.
„Empörend“ findet Jörg Löwer, Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), diese Praxis. „Es werden landauf, landab an den Theatern Zahlungen nicht geleistet, zum Beispiel mit dem Hinweis darauf, die Gast-Sängerinnen und -Sänger seien ja gar keine richtigen Arbeitnehmer. Wenn die Theater diese Gagen auszahlten, heißt es, bekämen sie ihrerseits Ärger mit dem Rechtsträger, sprich: der Kommune oder dem Land. Wir sagen aber ganz deutlich: Diese Verträge müssen bezahlt werden.“
Die GDBA sieht die befristet und abhängig beschäftigten Gäste durchaus als Arbeitnehmer, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie üblicherweise vom ersten Probentag bis zur letzten Vorstellung sozialversichert sind. Nun enthalten die gängigen Gastverträge der Opernhäuser aber meist Klauseln zur kurzfristigen Absage von Vorstellungen – wenn das wegen „höherer Gewalt“ oder auch nur aus Gründen betrieblicher Disposition geschieht, geht der Gast leer aus. Ob und wann solche Klauseln greifen, ist nicht pauschal zu beantworten. Sogar der Deutsche Bühnenverein, also die Arbeitgeberseite, hat kürzlich festgehalten, dass diese Vereinbarungen möglicherweise unwirksam sind, wenn sie nicht individuell verhandelt wurden, sondern im Standardtext der Gastverträge stehen.
Viele Sängerinnen und Sänger, die gegenwärtig solche Erfahrungen machen, schweigen dazu – man will es sich mit dem Theater nicht verderben, hofft auf weitere Engagements nach der Krise. Einer, der sich offen äußert, ist der international erfolgreiche, auch in Köln wohlbekannte Bariton Johannes Martin Kränzle. Er hat bei Facebook eine Liste jener Theater veröffentlicht, die vereinbarte Gagen vollständig oder zumindest teilweise auszahlen – nicht als Anklage der übrigen, aber schon mit dem Hintergedanken, einen „gewissen moralischen Druck“ aufzubauen. Die Liste ist noch vergleichsweise kurz; nicht jedes Theater rückt mit diesen Informationen bereitwillig heraus. Wie halten es die Opernhäuser der Region?
„Wir haben das noch nicht endgültig entschieden, weil wir noch nicht wirklich rechtssicher sind“, sagt Bernhard Helmich, Generalintendant des Theaters Bonn. Alleine bis Ende April sind hier in den Sparten Schauspiel, Musical und Oper etwa 120 Personen betroffen. Derzeit zahle man in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister nur an Gäste, „die erklären, dass sie in einer sozial schwierigen Situation sind“. Ähnlich wird das in Köln gehandhabt, so Intendantin Birgit Meyer: „Wir machen von Kulanzspielräumen Gebrauch und versuchen, Gäste, die keine hohen Gagen bekommen, auch Statisten und Extrachor-Gäste, anteilig zu bezahlen.“ Allerdings gilt das nur bis zum 19. April – was danach kommt, ist ungewiss. Die Deutsche Oper am Rhein möchte sich zur heiklen Frage der Gastgagen gegenwärtig gar nicht äußern.
Trotz aller Unwägbarkeiten planen die Theater bereits über die Krise hinaus. Manche boten ihren Gästen mittlerweile an, die abgebrochenen Produktionen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen oder sie alternativ in anderen Stücken einzusetzen. Auch die Kölner Oper macht derzeit solche Angebote. Birgit Meyer verweist auf die große Zahl von Sängerinnen und Sängern, die dem Haus als Gäste dauerhaft verbunden sind. „Mit denen möchten wir auch in Zukunft künstlerisch fruchtbar zusammenarbeiten. Man hat ja nicht nur eine Geschäftsbeziehung.“ Aber natürlich werden auch die Gagen erst fließen, wenn die Arbeit weitergeht – man soll also im Oktober das Geld verdienen, von dem man eigentlich im Mai leben musste. Dass Sängerinnen und Sänger solche Änderungsverträge unter dem Druck der allgemeinen Situation dennoch unterschreiben, ist verständlich.
Das Internetportal Theapolis, eine populäre Kontaktbörse für Theaterschaffende, rät indes davon ab, der anderen Seite große Zugeständnisse zu machen. „Abwarten“, so heißt es hier, „ist jetzt die beste Option“. Nachdem sich Verdi mit den kommunalen Arbeitgebern bereits über weitreichende Regelungen zur Kurzarbeit im öffentlichen Dienst verständigt hat, hofft man nun auch auf entsprechende Abschlüsse für das künstlerische Personal der Theater und im Idealfall auch für die Gäste. Eine Klärung ihrer vertraglichen Rechte bedeutet das aber keineswegs. Sollten sich die Theater und ihre Rechtsträger hier weiterhin querstellen, wird den betroffenen Künstlern nur der Gang vor die Gerichte bleiben – oder der Verzicht.
Opernhäuser sind die guten Stuben der Städte, sie werfen ein helles Licht urbanen Bürgerstolzes, in dem sich Lokalpolitiker gerne sonnen. Damit tragen sie, die Politiker wie die Häuser, aber auch Verantwortung für all die Menschen, die ohne feste Arbeitsverträge zu jenem Räderwerk beitragen, das allabendlich den Vorhang hochgehen lässt – auch und gerade dann, wenn er vorübergehend unten bleiben muss.
Birgit Meyer,
Intendantin der Oper Köln
ULRICH KHUON ZUR CORONA-KRISE
Bereits im März mahnte Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, mit Blick auf die Corona-Krise: „Ich glaube, es ist wichtig, dass die öffentlich finanzierten Theater sowohl an ihre festen wie auch ihre freien Mitarbeiter die Zusage geben, dass sie zu ihren Verträgen stehen. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es ist wichtig, das Vertrauen zu festigen und dort, wo juristische Lücken sind, kulant zu sein.“ Khuon verwies dabei auf die „Zuwendungsgarantie“ der öffentlichen Hand, die den Theatern ihre Subventionen auch im Falle der zeitweiligen Schließung nicht entzieht.
Verloren gehen den Opernhäusern also nur die Kasseneinnahmen, die im Schnitt 17,5 Prozent des Budgets umfassen. Dem stehen, wenn das Theater geschlossen bleibt, natürlich auch Einsparungen gegenüber. Von einer aktuellen Notsituation kann hier demnach kaum die Rede sein – auch wenn neun ausfallende Vorstellungen einer Erfolgsproduktion wie etwa der Kölner „Turandot“ fraglos ein Loch ins Budget reißen. (rü)