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Interview mit Mai Thi Nguyen-Kim„Attila Hildmann schickt seine Lämmer zu mir“

Lesezeit 16 Minuten
Mai Thi Nguyen-Kim (1)

Mai Thi Nguyen-Kim

Das Erklärvideo „Corona geht gerade erst los“ der Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim war das meistgeklickte deutsche Youtube-Video des Jahres 2020. Im ausführlichen Interview spricht sie über ihr neues Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ und ihr „Hassbeispiel“ für wissenschaftlichen Nonsense in der Krise. Sie erklärt aber auch die Herkunft der wütenden Kommentare unter ihren Youtube-Videos, wichtige nächste Schritte in der Pandemie, die Notwendigkeit von Tierversuchen. Die frisch für das ZDF verpflichtete Wissenschafts-Journalistin bewertet auch Dieter Nuhrs Sticheleien gegen Fridays for Future und Greta Thunberg.

Wissenschaftlicher Diskurs bedeutet, sich vorwärts zu streiten, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Hat das Corona-Jahr mit den vielen darin auftretenden Wissenschaftlern uns besser oder schlechter im Streiten gemacht?

Nguyen-Kim: Das frage ich mich immer noch. Emotional empfinde ich die Debattenkultur gerade als schlimm.

Wenn man sich auf die kleinste gemeinsame Wirklichkeit einigen könnte, wären Diskussionen viel spannender, sagen Sie. Was meinen Sie damit?

Ich spreche in meinem Buch von einem Debatten-Fehlschluss. Es gibt ja Menschen, die behaupten: Je freier die Debatte und der Meinungsaustausch, desto spannender. Ich finde nichts spannend daran, mit jemandem darüber zu diskutieren, ob die Erde flach ist oder nicht. Was für eine Verschwendung von Lebenszeit. Die Frage muss doch immer sein: Wohin will ich mit der Debatte? Die Wissenschaft ist für mich ein gutes Vorbild, weil dort ständig debattiert wird. Dabei ist aber immer Ziel, den Konsens, den man hat, zu erweitern und zu updaten. Natürlich kann es auch verschiedene Hypothesen geben und man ringt darum, was richtig ist. Dabei kann es dann auch zu einem Paradigmen-Wechsel kommen.

Zum Beispiel dem, dass die Erde doch keine Scheibe ist.

Richtig. Lange dachte man auch, das Gehirn sei starr. Heute weiß man, dass es neuroplastisch ist. Aber wir brauchen doch auch Dinge, über die wir nicht mehr grundsätzlich diskutieren. Mein Hassbeispiel in der Krise sind Experten wie Sucharit Bhakdi, die den wissenschaftlichen Konsens in Frage stellen und dafür eine Plattform bekommen. Medien funktionieren oft so, dass außergewöhnliche Ideen erst einmal interessant sind. In der Wissenschaft gelten andere Regeln. Da kann ich natürlich auch mit einer außergewöhnlichen These kommen, aber dann brauche ich auch eine außergewöhnlich hohe Evidenz. Das tut Bhakdi aber nicht, weshalb er in der wissenschaftlichen Community nicht erst genommen wird. Auf einen Laien kann das erst einmal so wirken wie eine dogmatische Wissenschafts-Religion, wo nur eine Meinung erwünscht ist. Aber es geht in Wissenschaft nun mal nicht um Kreativität, sondern um Evidenz. Und Evidenz wird auch nicht demokratisch gebildet, sondern ist faktenbasiert. Wer sich dafür ausspricht, Masken nicht zu tragen, sondern lieber wegzuwerfen, muss das wirklich gut begründen können.

Konstruktive Debatten brauchen eine wissenschaftliche Fehler- und Diskussionskultur, schreiben Sie. Aber auch in der Wissenschaft werden Studien veröffentlicht, die einer genaueren Überprüfung nicht standhalten.

Natürlich gibt es unter den Wissenschaftlern auch welche, die sich nur irren im besten Fall, oder nicht ganz sauber sind, tricksen oder sich sogar knallhart was ausdenken. Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass es Qualitätskontrollen gibt, was die wissenschaftliche Korrektheit angeht. Wenn man eine Studie veröffentlicht, die Quark ist, werden andere ihre Studien nachreichen. Im Zweifel muss man seine eigene zurückziehen. Durch den großen Fokus auf Wissenschaft gerade wird vielen Menschen klarer, dass dort auch Fehler passieren. Aber daraus kann man doch nicht den Schluss ziehen: Ach so, die irren sich ja auch nur. Dann höre ich doch lieber auf den Politiker, der einfach nur meine Meinung vertritt. Das wäre völlig falsch, denn: Die anderen irren ja viel mehr. Der einzige Unterschied zwischen jemandem, der ständig Recht hat und jemandem, der sich immer wieder mal irrt, ist oft nur der, dass der eine es zugibt.

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Mai-Thi spielt gerne mit dem Nerd-Image von Naturwissenschaftlern.

Sie stellen in Ihrem Buch Rüstzeug vor, um Studienergebnisse hinterfragen zu können: Ist die AstraZeneca-Studie ein gutes Beispiel dafür, welche Folgen es haben kann, wenn man Studien nicht vernünftig erklärt?

Ich kann die Aufregung bei Laien gut nachvollziehen und bin ein bisschen sauer auf manche journalistischen Kollegen, die Brandaktualität gerne vor Korrektheit setzen. Man muss aber auch sagen: Die AstraZeneca-Studien waren nicht besonders sauber – damit meine ich in ihrer Durchführung, nicht in ihrer Evidenz –, was am Anfang zu Missverständnissen geführt hat.

Ihr Youtube-Video „Corona geht gerade erst los“ im April 2020 war mit mehr als sechs Millionen Klicks das erfolgreichste deutschsprachige Video des Jahres. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Als das Video damals rauskam, war Ostern die magische Grenze für das Lockdown-Ende. Aber die Frage war doch: Wie geht es nach Ostern weiter? Ich wusste natürlich nicht, wie es weitergeht, aber ich wusste: Die Pandemie geht sicher noch ein Jahr und es wäre vielleicht gut, das mal zu sagen. Also: Keine Salamitaktik, sondern Hammer auf den Kopf. Viele meinen, dass ich eine der ersten war, die das so vorhergesehen und ein großes Bild gezeichnet haben. Das stimmt natürlich nicht, aber vielleicht habe ich es als eine der ersten für die breite Masse übersetzt.

Wäre es am Anfang der Krise von der Politik besser gewesen, nicht nur auf Sicht zu fahren, sondern genau das auch zu tun?

Ja und nein. Wenn man sich im Nebel befindet, muss man auf Sicht fahren. Es wäre doch total blöd, dann aufs Gaspedal zu drücken und ins nächste Reh zu fahren. Auf Sicht fahren gehört zum Wesen einer Pandemie. Ich muss trotzdem wissen: Wie lange ist die Straße? Was ist hinter dem Nebel? Was ist mein Ziel? Und diese Perspektive hat meiner Meinung nach gefehlt. Die Tatsache, dass wir in ein immer feindseligeres, hitzköpfigeres Debattenklima rutschen, ist für mich ein Zeichen, dass die große Perspektive kommunikativ vernachlässigt worden ist. Mit dem Ergebnis, dass man derzeit nur die Konflikte in den Vordergrund stellt. Dabei wollen wir am Ende doch alle das gleiche.

Wird den Menschen klar genug gemacht, dass wir mit dem Ende der Pandemie nicht einfach unser altes Leben zurück haben werden, sondern mit dem Virus leben müssen?

Der Begriff, mit dem Virus leben zu müssen, kann auch missverständlich sein. Natürlich müssen wir das, weil wir das Virus nicht werden ausrotten können. Das Virus wird endemisch, also heimisch werden. Aber ein Virus, das in einer Gesellschaft lebt, in der alle geimpft sind oder die Krankheit erfolgreich durchgemacht haben, wird relativ harmlos sein. Einige ziehen aus der Tatsache aber den Schluss, dass man also wohl nicht verhindern kann, dass einige Menschen noch schwer erkranken werden oder sterben. Das sehe ich völlig anders: Solange wir noch mitten in der Pandemie sind, lohnt es sich weiter zu kämpfen, um jede Infektion zu vermeiden. Die neuen Mutationen werden uns sogar dazu zwingen, jetzt noch eine Schippe drauf zu legen, bis wir alle geimpft sind. Wir werden die gesellschaftlichen Schäden sicher noch lange spüren, aber was unsere Gesundheit betrifft, kann ich nur sagen: Irgendwann wird unsere Pandemie zu Ende sein - und zwar mit der Herdenimmunität.

Ist die Kritik an der Impfstrategie der Bundesregierung gerechtfertigt?

Das übersteigt meine Kompetenz, weil es nicht mehr um Wissenschaft geht. Natürlich würde ich mir wünschen, dass alles schneller voran geht. Aber von meinem emotionalen Stand her bin ich dankbar. Ich denke, es könnte uns so viel schlechter gehen. Ich versuche, nicht immer dahin zu gucken, wo das Gras grüner ist, sondern wo gar kein Gras ist. Was man nicht vergessen sollte: Die Impfstoffentwicklung hat ja die sportlichsten Schätzungen, die wir vor einem Jahr gemacht haben, weit übertroffen.

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Aber die Verunsicherung ist groß. Müsste man über eine neue Impfkampagne nachdenken?

Nachdenken kann man über vieles. Die Frage ist aber doch: Was ist realistisch in der knappen Zeit, die wir gerade haben? Mal ein extremeres Beispiel: Wir sehen jetzt, dass wir eine viel solidere naturwissenschaftliche Allgemeinbildung brauchen. Die muss schon in den Schulen anfangen. Wenn ich nicht einmal den Unterschied zwischen Virus und Bakterium kenne, kann mir sogar Attila Hildmann natürlich noch etwas Interessantes zu einem Virus erzählen. Aber dieses Problem werden wir nicht in der Krise lösen können. Während eines akuten Impf-Misstrauens schnell Aufklärung zu leisten, ist ebenfalls schwierig. In diesen Tumult-Zeiten müssen wir erst einmal pragmatisch denken. Ich würde mir aber wünschen, dass wir nicht alles vergessen haben, sobald wir aus dieser stressigen Zeit raus sind, sondern langfristig für Aufklärung sorgen. Es wäre doch schön, auch mal übers Impfen aufzuklären, wenn nicht gerade Pandemie ist. Was mich wundert an der gegenwärtigen Debatte: Hat sich jemals jemand bei anderen Impfungen erkundigt, was für eine Firma das ist und wie effektiv der Wirkstoff ist? Ich will damit nicht sagen, dass es besser ist, sich etwas uninformiert in den Arm spritzen zu lasen. Schlecht ist aber, wenn es so einseitig läuft, wenn ich superskeptisch bei dieser einen Impfung bin, während mir solche Dinge ansonsten ziemlich egal sind.

Wie bewerten Sie Karl Lauterbach? Dessen Auftritte und Äußerungen polarisieren stark.

Als Wissenschaftlerin beurteile ich in erster Linie seine Inhalte - und da hat er in vielen Sachen Recht. Für meinen Geschmack lehnt er sich manchmal ein bisschen weit aus dem Fenster, aber grundsätzlich ist es schlüssig und nachvollziehbar, wie er argumentiert. Er war und ist sehr nah dran am wissenschaftlichen Konsens. Wenn ich ihn in den vielen Talkshows auftreten sehe, denke ich halt: Der ist Politiker und macht seinen Job. Allerdings bin ich auch dankbar, dass er die Kompetenz hat und Dinge in den allermeisten Fällen richtig einordnet. Da könnte schließlich auch ein anderer Politiker sitzen, der ebenfalls Epidemiologie in Harvard studiert hat, aber eine Minderheitenmeinung in der Wissenschaft vertritt.

Ohne Ihre Leistung als Wissenschafts-Journalistin schmälern zu wollen: Hätten Sie im Jahr 2020 ohne Corona so extrem viel Aufmerksamkeit bekommen?

Auf keinen Fall. Es fühlt sich für mich auch manchmal seltsam an, Profiteurin der Krise zu sein. Als ich Ende 2018 zur Wissenschafts-Journalistin des Jahres gewählt wurde, habe ich gedacht: Ab jetzt kann es nur noch bergab gehen, so viel Aufmerksamkeit werde ich nie wieder haben. Ganz ehrlich: Die Wissenschaft wird auch nicht mehr so im Fokus stehen, wenn die Pandemie vorbei ist. Dann habe ich wieder ein bisschen mehr Ruhe. (lacht) Es ist völlig verrückt: Ich gelte ja jetzt als kontroverse Autorin. Als ich letztes Jahr eine Lesung halten sollte, die dann wegen Corona ausgefallen ist, wollte mein Verlag mir für den Abend Personenschutz an die Seite stellen. Der Verlag arbeitet mit einer Sicherheitsfirma zusammen für seine kontroversen Autorinnen und Autoren. So weit ist es leider gekommen.

Unter Ihren Youtube-Videos finden sich viele gehässige Kommentare. Sind Sie als Frau, die erkennbar vietnamesische Wurzeln hat und auch noch für die Öffentlich-Rechtlichen arbeitet, aus gleich drei Gründen Zielscheibe für Hass in der digitalen Welt?

Ich weiß nur, dass manche Leute wirklich persönliche Probleme haben mit mir. Vor Corona haben mich wissenschaftliche Kolleginnen manchmal gefragt, wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen, ob sie sich das zumuten könnten. Ich habe ihnen immer zugeraten und gesagt: Wissenschaft ist ein dankbares Pflaster. Mit Kolleginnen, die sich im Internet mit Politik oder Feminismus befassen, möchte ich nicht tauschen. Vor Corona habe ich auch die Kommentarspalte meines Youtube-Kanals „Mailab“ immer als Vorzeige-Beispiel präsentiert: Sehr ihr, es geht doch. Lauter konstruktive Diskussionen, die Kritik niemals beleidigend. Das ist seit Corona völlig anders. Man sollte aber auch nicht überbewerten, was man da liest. Fakt ist, dass meine Videos über Corona sofort in einschlägigen Telegramm-Gruppen auftauchen, wo dann Tausende aufgefordert werden, böse Kommentare zu schreiben. Das wirkt dann erst einmal viel, macht aber nur einen Bruchteil aus im Vergleich zu vernünftig Leuten.

„Nach mehreren Jahren Youtube-Schule gibt es kaum eine persönliche Beleidigung gegen mich, die in mir eine spürbare Reaktion auslöst“, schreiben Sie im Buch. Wie haben Sie sich davon frei gemacht?

Ich lese es einfach nicht. Ich glaube, dass es vielen von denen, die mich beleidigen, nicht gut geht. Das meine ich völlig ernst. Ich verbringe aber auch kaum noch Zeit auf Twitter. Früher habe ich viel diskutiert, jeden Kommentar beantwortet. Das geht ab einer bestimmten Reichweite nicht mehr und das ist auch nicht gesund. Ich vergleiche das gern mit unserem Jäger- und Sammler-Stoffwechselproblem: Unser Stoffwechsel lebt noch immer in dieser alten Zeit, weshalb wir jetzt das Problem haben, dass wir umgeben sind von Fett und Zucker, das der Körper unbedingt sofort speichern möchte. Ähnlich ist es mit sozialen Interaktionen: Wir sind von Natur aus soziale Wesen, aber ich denke nicht, dass unsere Psyche gemacht ist für 1000 Kommentare am Tag. Außerdem bin ich 2020 Mutter geworden. Ich habe also gar keine Zeit dafür, auch das ist meine Rettung.

Ein Kapitel widmen Sie Dieter Nuhr, der gerne gegen Fridays for Future und Greta Thunberg stichelt, weil diese dazu aufruft, sich hinter die Wissenschaft zu stellen. Tut Dieter Nuhr der wissenschaftlichen Streitkultur einen Gefallen?

Ich habe mit seinen Äußerungen gar kein Problem. Ich finde es nur irgendwie ironisch, dass er sich selbst gerne als Opfer von „Cancel Culture“ darstellt, obwohl er ja offensichtlich davon profitiert. Wenn Nuhr gecancelt wird, dann werde ich doch erst recht gecancelt. Attila Hildmann hat mich jedenfalls deutlich mehr auf dem Schirm als Dieter Nuhr und schickt bei jedem Corona-Video seine Lämmer zu mir auf die Seite. Ich will übrigens nicht ausschließen, dass solche Angriffe von rechts meine Videos erst in die Trends bringen. Aber diese Klicks nehme ich gerne mit: Meine Inhalte stehen ja für sich.

Dient der Begriff „Cancel Culture“ fast nur noch dazu, berechtigte Kritik von sich zu weisen oder sehen Sie auch eine Bewegung, die andere Meinungen am liebsten verbieten würde?

Ich habe schon das Gefühl, dass wir durch das Internet wirklich schlecht darin geworden sind, andere Meinungen zu tolerieren und miteinander zu diskutieren. Mich wundert es immer, wie stark Leute von etwas überzeugt sind und sich null bewegen, wo ich denke: Hä, hier geht es doch gar nicht um Wissenschaft. Wie du bei deiner Meinung zum Gendern so überzeugt sein kannst, erschließt sich mir nicht, weil es je zunächst einmal nur deine Meinung ist. Ich finde schade, dass Begriffe wie „Fake News“ oder „Cancel Culture“ ihre Bedeutung verloren haben, obwohl sie mal ernsthafte Probleme beschrieben haben. Sie werden mittlerweile von so vielen Seiten beansprucht und missbraucht, dass sie für mich tot sind.

Zur Person

Mai Thi Nguyen-Kim (33) ist Chemikerin und Wissenschafts-Journalistin. Ihr Video „Corona ist noch lange nicht vorbei“ im April 2020 war das meistgeklickte deutsche Youtube-Video des Jahres. Im Oktober erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Sie lebt mit ihrer Familie in Frankfurt. Jüngst wurde bekannt, dass das ZDF sie verpflichtet, an der Sendung „Terra X“ mitwirken. Außerdem bekommt sie eine eigene Sendung bei ZDF NEO. Ihren Youtube-Channel „Mailab“ will sie weiterführen. Ihr neues Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ erscheint am 1. März im Droemer-Verlag.

Ein Ausblick zum Schluss. Wo stehen wir in der Bekämpfung der Pandemie? Was macht Ihnen Bauchschmerzen, was macht Ihnen Hoffnung?

Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass der Schutz bereits nach der ersten Impfdosis so hoch ist, dass man gegebenenfalls mehr Menschen zunächst mit einer Dosis versorgen sollte. Ich habe dazu noch keinen eigenen Schluss gezogen, aber ich würde mir eine Diskussion darüber wünschen, ob es eine Möglichkeit ist, jeden zunächst nur mit einer Dosis zu impfen, um insgesamt schneller voranzukommen. Ansonsten hoffe ich sehr auf Schnelltests, wobei ich da auch viel Aufklärungsbedarf sehe. Die dürfen nicht als Freifahrtschein missverstanden werden. Ich glaube, dass wir so müde und ausgelaugt sind, dass wir mehr Maßnahmen brauchen, die unsere Freiheiten nicht einschränken. Testen, Impfen und Luftfilter an Schulen sind wichtig. Aber wenn es sein muss, halten wir auch noch ein bisschen aus.

Sollten wir Mitte März wieder öffnen oder den Lockdown noch etwas verlängern?

Niemand möchte länger als notwendig im Lockdown sein, aber es wäre fatal zu sagen: Wir öffnen erstmal, und dafür testen wir dann einfach mehr. Das ist Quatsch. Sobald wir mehr testen können, können wir mehr öffnen, nicht andersrum. Wir alle kennen mittlerweile die Dynamik von exponentiellem Wachstum. Man rutscht ganz schnell aus und landet auf der Fresse. Wir sind uns doch einig, dass es uns am meisten stinken würde, jetzt zu öffnen und dann alles wieder zurücknehmen zu müssen. Wir sollten uns noch ein wenig Luft verschaffen.

Sie widmen sich in Ihrem Buch argumentativ verminten Feldern wie Tierversuchen. Ohne diese haben wir in der nächsten Pandemie keinen Impfstoff, schreiben Sie.

Die extrem kontroverse Tierversuchs-Debatte erlebe ich schon lange mit und kenne alle typischen Argumente. Das Hauptargument der Gegner, dass Versuche nicht nötig sind, ist leider faktisch falsch. Wenn Tierversuche nicht nötig sind, warum machen wir sie dann? Weil Wissenschaftler sadistische Monster sind? Das ist doch total bescheuert. Fakt ist, dass Tierversuche sehr aufwendig und teuer sind. Alle würden feiern, wenn es ebenbürtige Laborversuche gäbe, wo man nicht erst ein Tier züchten und halten muss. Klar könnte man auf Tierversuche verzichten, aber dann verzichtet man auch auf einen gewissen Fortschritt. Das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Andererseits machen es sich auch Wissenschaftler zu einfach, die immer nur Impfstoffe als Beispiel nehmen. Klar, in der Pandemie kann man super Werbung für Tierversuche machen, ohne die wir jetzt keinen Impfstoff hätten. Aber die Realität ist, dass der größte Teil von Tierversuchen in der Grundlagenforschung stattfinden. Müssen wir Tierversuche machen, nur um etwas besser zu verstehen, ohne zu wissen, ob ein Medikament dabei rauskommt? Meine persönliche Meinung ist: Ja. Aber man kann das natürlich anders sehen.

Haben Sie auch selbst schon Tierversuche durchgeführt?

Ich habe während eines interdisziplinären Projekts tatsächlich schon mal Mäuse seziert, aber das ist eher eine Ausnahme bei Chemikern.

Sie sind für Ihre Arbeit häufig in Köln. Was mögen Sie an Köln?

Ich empfinde Köln als sehr offen und herzlich. Ich werde ja oft erkannt auf der Straße, aber in vielen anderen Städten kommen nur Blicke und dann wird schnell weggeguckt, wenn ich zurück gucke. In Köln heißt es sofort: Da ist ja die junge Frau aus dem Fernsehen. Das mag ich total und freue mich deshalb umso mehr, dass ich für meine neue Sendung bei ZDF Neo weiterhin nach Köln fahren darf. Ich wohne ja in Frankfurt, das ist nicht so weit weg.

Und was mögen Sie an Köln nicht?

Ich bin kein Karnevals-Fan. Ein wichtiger Grund dafür ist vermutlich, dass ich keinen Alkohol trinken kann. Mir fehlt das Enzym zum Abbau von Alkohol, das viele Ostasiaten nicht haben. Und man kann nicht von der Hand weisen, dass Karneval und Alkohol zusammengehören. Ohne Alkohol bin ich jedenfalls noch nicht auf den Trichter gekommen.