Vor 100 Jahren wurde die Kölner Musikhochschule gegründet. Ein Wahrzeichen für das musikalische Leben Westdeutschlands, wie Konrad Adenauer damals lobte.
JubiläumWie Köln vor 100 Jahren zu seiner Musikhochschule kam

So soll der neue Anbau der Kölner Musikschule aussehen
Copyright: HPP Architekten
In seiner Amtszeit als Bundeskanzler wurde Konrad Adenauer von Intellektuellen immer wieder wegen seiner notorischen Spracharmut angegriffen. Von dieser konnte indes hinsichtlich seiner – von 1917 bis 1933 währenden – Jahre als Kölner Oberbürgermeister weniger die Rede sein. Als vor hundert Jahren die Kölner Musikhochschule gegründet wurde, griff er jedenfalls während der Festversammlung im Gürzenich am 5. Oktober 1925 – das Bild ist dem Anlass angemessen – pathosmächtig in die Tasten: „Das Pflänzchen, das wir heute liebevoll in diesen Boden einsenken, wird – davon bin ich überzeugt – ein mächtiger und große reiche Frucht bringender Baum werden, ein Wahrzeichen für das musikalische, für das geistige Leben ganz Westdeutschlands. Das Vertrauen und das Wohlwollen der preußischen Staatsregierung, die Tradition unserer Stadt und der rheinischen Lande, die Hilfe der Kölner Bürgerschaft, die Hilfe der Stadt Köln, die, soweit ich Einfluss habe und soweit unser Können geht, immer bereit sein wird, die hervorragende Tüchtigkeit der beiden Männer, die an der Spitze stehen, Abendroth und Braunfels – das alles gibt uns heute die freudige Zuversicht für eine gute Zukunft.“
Für Adenauer selbst war die Gründung Anlass zu persönlicher Genugtuung: Zum zweiten Mal nach der Universitätsgründung 1919 war es maßgeblich ihm, seiner Zähigkeit und Ausdauer sowie dem Zusammenspiel mit dem preußischen Kulturministerium in Gestalt des Pianisten und Ministerialrats Leo Kestenberg gelungen, am Rhein einen kulturellen und bildungspolitischen Leuchtturm zu errichten. Am Rhein, nicht am Main: Dort, in Frankfurt, hatte sich das illustre Hoch'sche Konservatorium – am Ende vergeblich – in Stellung gebracht, nach der Berliner die zweite preußische Musikhochschule zu werden. Dass die Rheinmetropole zum Zuge kam, hatte zweifellos auch mit dem Umfeld zu tun: Köln verfügte in den 20er Jahren – der Germanist, Essayist und Musikfreund Hans Mayer beschreibt das in seinem Buch „Erlebte Musik“ – über eine glanzvolle und der Moderne aufgeschlossene Musikszene, für die hier exemplarisch der Name Otto Klemperer stehen mag – er war von 1917 bis 1924 Kapellmeister und GMD an der Kölner Oper.
Köln verfügte in den 20er Jahren über eine der Moderne aufgeschlossene Musikszene
Auch in Köln folgte die Musikhochschule einem seit 1850 bestehenden Konservatorium nach, in dessen Gebäude in der Neumarkt-nahen Wolfsstraße dann auch die neue Institution einzog. Musikhochschule statt Konservatorium – das war nicht nur ein Etikettenwechsel. Die Tatsache, dass die neue Hochschule auch Abteilungen für Schul- und Kirchenmusik sowie eine Orchesterschule umfasste, deutete vielmehr auf einen neuen musikalischen Bildungsbegriff, dem der Komponist und Pianist Walter Braunfels, der erste Direktor neben dem Städtischen Musikdirektor und Gürzenich-Kapellmeister Hermann Abendroth, 1931 wie folgt beschrieb: Den Konservatorien sei „eine einseitige Ausbildung der Schüler zum ausübenden Musiker eigen. Eine Ausbildung der Studierenden zum universellen Künstler insbesondere aber auch zu vielseitig fundierten musikalischen Pädagogen haben sie nicht geben wollen.“ Nicht nur Startum, sondern auch wissenschaftlich fundierte Schulmusik-Pädagogik – damit waren Leitlinien beschrieben, die immer noch einigermaßen aktuell sind.
Alles zum Thema Gürzenich
- Termine im Überblick Kölner Karneval 2025 – Die wichtigsten Partys in der Übersicht
- Von Schule bis Seniorensitzung Einen Tag unterwegs mit dem Kölner Kinderdreigestirn
- „Selbst entworfen“ Besondere Fahne des Dreigestirns – So feiert Düsseldorf im kölschen Fastelovend mit
- Kölnerin war KZ-Opfer Vergewaltigt, deportiert und weiter stigmatisiert – Stolperstein für Trude Nohr
- Holweider Gürzenich Ehemaliger Drei-Kaiser-Saal in Mülheim in Reihenhäuser umgestaltet
- Karneval Dürscheider feiern zum ersten Mal ein Dreigestirn
- Gürzenich-Konzert Eine interpretatorische Meisterleistung bei Mahlers Fünfter
Der Liste des „Lehrkörpers“ im Jahresbericht der Hochschule für 1925/26 ist zu entnehmen, dass man mit Aplomb in die neue Ära startete. Die Namen der Direktoren waren glanzvoll genug, und das setzte sich bei den Fachdozenten fort: Bram Eldering auf einer Professur für Violine, Eduard Erdmann für Klavier, Paul Grümmer für Cello, Karl Hermann Pillney für Harfe – allesamt seinerzeit erste Adressen. Wie dem Bericht weiter zu entnehmen ist, bewarben sich für das Startsemester im Herbst 1925 364 angehende Musiker, 175 wurden genommen. Davon blieben bis zum Semesterschluss 153 übrig, 87 „Herren“ und 66 „Damen“. Wie übrigens die Klassenbelegung im folgenden Sommersemester zeigt, lagen wenigstens in den Fächern Gesang und Klavier die „Damen“ markant vor den „Herren“.

Das Hauptgebäude der Hochschule für Musik und Tanz in der Dagobertstraße.
Copyright: Stefan Worring
Dem erfolgreichen Start folgte 1933 ein abrupter Einbruch – zeithistorisch naheliegend, für die gerade gegründete Hochschule fatal früh. Ihn spiegelt wiederum der Jahresbericht 1932/33 wider: Das „elementar aufwühlende“ Ereignis der „Nationalen Revolution“ wurde, so heißt es gleich zu Beginn, „zur Dominante des künstlerischen Lebens im achten Arbeitsjahr“ der Hochschule. Professor Richard Trunk wird mit folgenden Worten zitiert: „Ein neues Deutschland ist im Werden begriffen, es mitzugestalten, werden gerade unsere musikalischen Erziehungsstätten in besonderem Maße berufen sein, denn der revolutionäre Geist des neuen Reiches wird unaufhaltsam auch in alle Kulturbereiche eindringen.“
Dieses „Eindringen“ zeigt drastisch der personelle Umbruch im administrativen Bereich: Dominierten im Kuratorium Kölner NS-Größen wie Günther Riesen und Peter Winkelnkemper (Adenauer war nicht mehr da), so fehlte im Direktorium jetzt der Name Braunfels – der bereits vor 1933 von rechts stark angefeindete „Halbjude“ war im Mai 1933 aller seiner Ämter enthoben worden. Im Jahresbericht wird mit dürren Worten seine „Verabschiedung“ notiert. Zwecks „politischer Neuordnung“ der Hochschule – de facto: ihrer Säuberung von unerwünschten Mitgliedern – wurde eigens ein „Kommissariat“ eingerichtet, an dessen Spitze Walter Trienes, Musikredakteur beim „Westdeutschen Beobachter“, viel Gutes im Sinne der neuen Herren tat. Ein weiterer böser Geist der Kölner Gleichschaltung war der Komponist Hermann Unger, Parteimitglied seit 1932 und später Vize-Direktor der Hochschule. Beide landeten übrigens relativ weich im Nachkriegsdeutschland.
Die Selbstmobilisierung der Hochschule im Sinne der „neuen Zeit“ mochte sich im Rahmen des damals üblichen halten, es ging dort nicht „besser“ oder „schlechter“ als in anderen Bildungseinrichtungen zu. Die Gestehungskosten waren so oder so hoch, nur die Spitze eines Eisbergs bezeichnet da das Schicksal zweier prominenter Absolventen: Der Komponist Erwin Schulhoff starb 1942 in einem bayerischen KZ, der Pianist Karlrobert Kreiten wurde 1943 wegen „wehrkraftzersetzender“ Äußerungen von den Braunen hingerichtet.
Eine ähnlich massive Zäsur wie 1933 bezeichnet das Jahr 1945. Die Gebäude in der Wolfssstraße waren unrettbar zerstört, 1946 konnte immerhin im Palais Oppenheim am Rhein in Bayenthal der Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden. Adenauer war wieder, kurzzeitig, im Amt, auf seine Initiative hin übernahm Braunfels, aus der Versenkung aufgetaucht, für drei Jahre erneut den Direktorenposten. Im „Lehrkörper“ saßen freilich noch viele „Gestrige“.
1977 konnte die Hochschule in ein neues Domizil ziehen, wo sie sich heute noch befindet: einen „betonistischen“ Neubau in der Dagobertstraße. Bereits vorher waren die Konservatorien in Aachen und Wuppertal angeschlossen worden, 1995 erweiterte sich das Lehrangebot um den Bereich Tanz. Die Kölner Musikhochschule lief quantitativ und qualitativ zu neuer Größe auf, heute unterrichten dort viele internationale Stars der Szene. Alte Musik, Neue Musik – für die Entwicklung beider Richtungen war die Institution eine ideale und wirkmächtige Brutstätte. Die Zeit bringt neue Herausforderungen mit sich, alte Lehrinhalte büßen ihre Relevanz ein, neue kommen hinzu. Und um den Bildungsauftrag der Hochschule und ihre allfällige Modernisierung wird selbstredend ohn' Unterlass gerungen. Die Jubelfeiern im Jubiläumsjahr werden da für eine nur kurze Atempause sorgen.