- Die Oper Köln setzt mit "Carmina Burana" einen heidnischen Kontrapunkt zum Fest
Am Tag vor Heiligabend nicht etwa "Hänsel und Gretel" oder das "Weihnachtsoratorium" , sondern ausgerechnet Orffs "Carmina Burana" aufzuführen - ein bisschen "crazy" ist das schon. Sicherlich gehören die vom Komponisten vertonten mehrsprachigen Texte, die aus einer Handschrift des oberbayerischen Klosters Benediktbeuren stammen, dem christlichen Mittelalter an. Aber das Lebensgefühl, das in ihnen zum Ausdruck kommt - all das frühling-induzierte Lieben, Zechen, Spielen unter dem bedrohlichen Rad der Fortuna - es ist nicht nur ein säkulares, sondern vielmehr ein durchaus heidnisches.
Nun muss freilich in unseren verweltlichten Zeiten eine derartige Programmierung niemanden mehr wirklich befremden, und so war der Saal 2 des Staatenhauses, wo die Kölner Oper Orffs legendäre Kantate vorstellte, trotz des ungewöhnlichen Termins recht gut besucht.
Obwohl die Carmina keine zusammenhängende Handlung aufweisen, handelt es sich doch um vom Komponisten auch eindeutig als solche verstandene szenische Bilder eines quasi-barocken Welttheaters. Dies - über die übliche konzertante Aufführung hinaus - geltend und deutlich zu machen, hätte nun ausgerechnet anlässlich einer Produktion in der Kölner (Ersatz-)Oper nahe gelegen. Schade, dass diese Chance nicht oder kaum genutzt wurde: In statischer Formation waren hinter dem Gürzenich-Orchester in aufsteigenden Reihen Solisten und Chor (vorne die von Oliver Sperling und Eberhard Metternich einstudierten Kinder des Domchores, dahinter der von Andrew Ollivant präparierte Opernchor) postiert. Die dreiseitige Wandeinfassung der Ensembles zeigte links und rechts massig-schemenhafte klassizistische Architektur und hinten jene Mondscheibe, mit der und deren Wandelbarkeit die launische Fortuna in den Carmina verglichen wird. Sozusagen für szenische Bewegung sorgte indes lediglich Andreas Grüters Lichtregie, die zum Wechsel der Sätze die Bühne spektakulär in stets neue Farben tauchte. Im Gesamtergebnis war das aber entschieden zu wenig, solchermaßen blieb die Produktion unentschieden zwischen konzertant und szenisch hängen.
Zu kämpfen hatte die von dem Briten Leo Hussain hochengagiert geleitete Aufführung auch mit den Raumverhältnissen im Saal 2 des Staatenhauses: Die für das Werk konstitutiven rhythmischen Protuberanzen kamen jetzt - wegen der geringen Orchesterraumtiefe - akustisch asymmetrisch von rechts statt, wie es angemessen wäre, aus der Mitte der Formation. Disparitäten und Ungleichzeitigkeiten zwischen dem Orchester und Sängern waren solchermaßen nicht ganz zu vermeiden. Der Schaden für Präzision und fokussierte Durchschlagskraft, die die Performance dieser von Strawinsky bösartig als "Neo-Neandertalismus" qualifizierten Musik allemal erfordert, hielt sich aufs Ganze gesehen allerdings in Grenzen.
Verantwortlich dafür waren vor allem die Chöre, mit deren Güte nun mal die Qualität einer jeden Aufführung des Werkes steht und fällt. Sicher gab es auch hier gelegentlich Inhomogenitäten und aus dem Klang herausfallende Einzelstimmen, aber insgesamt vermochten doch die vokale Power, die Wucht der Vertikalen, auch die gute Aussprache zu beeindrucken.
Tatsächlich erstand so jenes für diese Musik essenzielle Fluidum einer wild-entgrenzten Manie, in deren Zeichen Primitivität in eine Kunstfertigkeit höherer Art umkippt.
Erfreulich auch die Solisten Emily Hindrichs, John Heuzenroeder (für den erkrankten Martin Koch) und Stephan Genz (für den erkrankten Miljenko Turk) auch in ihren komischen Rollenwechseln und Rollenspielen - etwa Heuzenroeder als der ein Klagelied anstimmende gebratene Schwan. Aber gerade hier wurde dann auch der Verzicht auf eine szenische Auflösung besonders schmerzlich spürbar. Das Gürzenich-Orchester seinerseits steuerte, vom Geist der Musik hörbar beflügelt, kräftigste Farben bei.
Und die Tatsache, dass man nach Ende des Konzerts auf dem Weg ins Parkhaus die Besucher allenthalben noch die Werkthemen summen und trällern hörte, zeigte an, dass die Carmina wieder einmal zielsicher ihren Weg in Sinne und Hirne gefunden hatten.
Weitere Aufführung: Samstag, 30. Dezember, 19.30 Uhr, im Staatenhaus (Saal 2)