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„Köln fehlt der Mut zum großen Wurf“

Lesezeit 6 Minuten

Herr Becker, Sie wurden 1961 in Köln geboren. Wie sah die Stadt in Ihrer Kindheit aus? Ich habe die Stadt noch als Trümmerlandschaft kennengelernt, gerade im Rechtsrheinischen. Es gab viele Baulücken, es gab die Hochbunker, die ich später als Motiv entdeckte, und es war alles noch sehr heruntergekommen und verfallen. Ich kann mich auch noch sehr gut an die U-Bahn-Bauten rund um den Dom erinnern. Wie der Dom, der damals noch auf dem Domhügel stand, freigelegt wurde und man ins Innere blicken konnte, das fand ich spannend als Kind. Hat Sie das in ihrer künstlerischen Arbeit geprägt? Ja, dieses Unfertige und Improvisierte, das Immer-wieder-irgendwie-Hinkriegen, das Köln sympathisch macht, hat mich geprägt – auch wenn es nicht immer funktioniert. Ich habe in Köln gelernt, dass auch das Provisorische ein Motiv sein kann. Gefällt Ihnen das Kaputte an Köln auch im Alltag? Eigentlich schon. Gerade als Künstler finde ich es wichtig, dass eine Stadt solche Räume bietet, beispielsweise für Ateliers. Denken Sie an die Clouth-Werke, das war mal eine Künstlergegend, die einer langweiligen Wohnbebauung gewichen ist. Natürlich gefällt es mir auch nicht, wenn Sachen brachliegen, die längst hätten fertig sein müssen. Stichwort: Oper. Dieses Ausmaß an Unvermögen ödet mich nur noch an. Ist es die berühmte kölsche Schlendrian-Mentalität? Ich will das nicht auf die Mentalität schieben. Die Stadt wird ja nicht von Jecken regiert, obwohl man manchmal den Eindruck haben könnte. Für mich ist die Opernsanierung, für die ich mich damals starkgemacht habe, gescheitert. Für 800 Millionen Euro wird daraus nichts Gutes mehr, denn anders als bei der Elbphilharmonie werden wir für eine ähnliche Summe kein neues Wahrzeichen bekommen. Schauen Sie da manchmal neidvoll nach Düsseldorf? In Düsseldorf scheint alles etwas geschmeidiger zu gehen. Wobei auch Düsseldorf nicht immer schick war, die Stadt hat sich im 19 Jahrhundert gewandelt von einer Residenz- zur Verwaltungsstadt. Es ist ja nicht so, dass da etwas am Reißbrett entworfen wurde und auf einmal stand das schöne Düsseldorf da. Wie sehen Sie die Diskussion um das Fotoinstitut, das möglicherweise in Düsseldorf errichtet werden soll? Ich wundere mich, dass in Köln noch niemand die Stimme erhoben hat, um das Fotoinstitut in die eigene Stadt zu holen. Schließlich haben wir hier die Photographische Sammlung, bedeutende Sammlungen wie die Sammlung Bartenbach oder Gruber im Museum Ludwig, einen Fotostudiengang an der Kunsthochschule für Medien. Gibt es zu wenig Lobbyarbeit für die Kulturstadt Köln? Ja, aber vielleicht liegt es auch daran, dass sich Köln von einer Kunst und Kultur- zu einer Medienstadt entwickelt hat. Es gibt die Fernsehsender, die Kunsthochschule für Medien, den Mediapark, das sind politisch gewollte Orte, die Kunsthalle wurde dagegen ohne viel Aufhebens abgerissen. Außerdem ist Köln eine Eventstadt geworden: Karneval ohne Ende, Marathon, Public Viewing. Da braucht man sich nicht wundern, wenn Kunst und Kultur zu kurz kommen. Das klingt jetzt aber hart. Manchmal kommen so Schnellschüsse und jemand schlägt vor, ein Gerhard-Richter-Museum bauen. Das ist völlig unkoordiniert abgelaufen und schon gar nicht mit Gerhard Richter abgesprochen gewesen. Anderes Beispiel: das elektronische Studio von Karlheinz Stockhausen im WDR, mit dem die Institutionen gerade Pingpong spielen. Sollten wir zurück in die Zeit des legendären Kulturdezernenten Kurt Hackenberg? Ich glaube nicht, dass man an solche Traditionen einfach wieder anknüpfen kann oder dass früher alles besser war. Zu viel Nostalgie ist auch schädlich, man muss schließlich mit dem arbeiten, was man heute hat. Aber ich befürchte, dass mittlerweile in Köln die alten Freiräume fehlen, in denen kulturelles Leben gedeihen kann. Wie ließe sich das ändern? In Köln fehlt der Mut zum großen Wurf. Man müsste mal wieder was riskieren und zum Beispiel am Breslauer Platz, wo jetzt das blaue Zelt steht, eine kulturelle Institution mit einer hochklassigen internationalen Architektur errichten. Ob das jetzt ein Opernhaus oder eine Kunsthalle ist. Gemeinsam mit Museum Ludwig und Philharmonie ergäbe das ein Portal, das sofort zeigt: Hier ist eine Kulturstadt. Gibt es eine Entfremdung zwischen der Stadt Köln und ihren engagierten Bürgern? Ja, das Vertrauen ist gestört. Warum soll ein Mäzen hier etwas anfangen, wenn alles zerredet, verwässert oder erst in 25 Jahren fertig wird? Nehmen Sie den Ebertplatz. Man sieht eine Problemzone und kommt mit der Antwort: zumauern. Für mich typisches Versagen einer Stadtverwaltung. Man kann alles Mögliche mit dem Ebertplatz machen, aber nicht das. Zur Fotografie: Wie finden Sie die Motive Ihrer Serien? Das ist von Serie zu Serie verschieden. Bei den Hochbunkern habe ich einfach angefangen, bis ich merkte, daraus entwickelt sich etwas. Dann habe ich Adressen von Hochbunkern in ganz Deutschland gesammelt. Wenn ich Landschaften fotografiere, fahre ich dorthin, wo ich mir bestimmte Formationen, Strukturen, Farben erwarte . Das ist dann mehr intuitiv. Woran machen Sie fest, wie ihr Foto aussehen soll? Manchmal habe ich das fertige Bild schon im Kopf. Meine Aufnahme der Opernbaustelle entstand, nachdem ich die Situation von der Krebsgasse aus gesehen hatte. Ich fand es spannend, dass man vom Bühnenraum bis zu den Logen sehen kann, ein Blick, der sonst unmöglich ist. Die Umsetzung ging dann schnell. Meistens mache ich nur eine oder zwei Belichtungen. Bereitet Ihnen die Flut an manipulierten digitalen Bilden im Internet Sorgen? Ja, denn im Grunde wiederholen sich derzeit die 1920er und 1930er Jahre. Damals machten sich die Nazis die neuen Massenmedien Kino und Radio zu eigen. Das funktionierte, weil niemand Erfahrungen damit hatte. Heute haben die Menschen noch nicht gelernt, mit den manipulativen Möglichkeiten der sozialen Medien umzugehen. Werden Bilder durch die Digitalisierung entwertet? Ja und Nein. Das Digitale ist eine Einladung zum Manipulieren. Aber auch analoge Bilder wurden schon immer bearbeitet. Habe ich ja auch gemacht: einen bestimmten Ausschnitt gewählt, die Farben verändert, mit der Hand retuschiert.

ZUR PERSON

Der Fotograf und Filmemacher Boris Becker, geboren 1961 in Köln, ist Sohn des Schriftstellers Jürgen Becker. Er studierte an der Hochschule der Künste Berlin bei Wolfgang Ramsbott und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Bernd Becher. Becker lebt und arbeitet in Köln.

1997 wurde ihm ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom zuerkannt. 2019 erhielt Becker den Kunstpreis der Künstler. Noch bis diesen Sonntag ist seine Reihe der „Hochbunker“ in der Kölner PhotographischenSammlung/

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SK Stiftung Kultur zu sehen.

Der Künstler 1985 mit seinem Volvo P 1800 (l.). Daneben Hochbunker Berlin

Fotos: Becker/Rako