Köln – Man stelle sich einmal vor, Ford würde in Köln-Niehl die Produktion schließen. Tausende Menschen verlören ihre Arbeit und ein riesiges Industriegelände läge von heute auf morgen brach. Allzu weit hergeholt ist diese Vorstellung nicht, genau das ist vor einigen Jahren am Opel-Standort Bochum geschehen. Aber müssen wir deswegen in Köln bange nach Detroit blicken, jene Stadt, die einst der Stolz der US-Automobilindustrie war und durch dessen Krise einen beispiellosen Niedergang erlebte?
Der Eröffnungsfilm „We Are All Detroit“ handelt vom Ende der Autoindustrie
Geht es nach Ulrike Franke und Michael Loeken, den Machern des Dokumentarfilms „We Are All Detroit“, kann ein Blick auf die Ruinenlandschaft der einstigen Motor City auch in Köln nicht schaden. Sie begleiten einige Einwohner Detroits durch die teils entvölkerte, von der Wirtschaftskrise buchstäblich verwüstete Metropole und schneiden von diesem bösen Omen immer wieder zurück nach Bochum, wo Stadt und Land versuchen, einen ähnlichen Kahlschlag rund um das Opel-Gelände zu verhindern. Dass die Voraussetzungen dafür im Ruhrgebiet deutlich besser sind, ist auch den Filmemachern klar; Bochum war eben keine Motorstadt, über die Hälfte des Areals wird bereits wieder genutzt. Aber Franke und Loeken konnten aus guten Gründen nicht der Versuchung widerstehen, Unvergleichliches zu vergleichen. Schließlich schreitet auch in Deutschland die De-Industrialisierung unaufhaltsam voran – nur eben nicht als entfesselter Kapitalismus wie in den USA.
Mit „We Are All Detroit“ eröffnen die Macher des Kölner Dokumentarfilmfestivals Stranger than Fiction am Donnerstag ihre 24. Ausgabe – es ist eine gute Wahl, weil schon die Bilder aus Detroit so „strange“, also fremd und seltsam anmuten, wie man es schwerlich erfinden kann. Aber auch die Bochumer Wirklichkeit hat ihre surrealen Momente, etwa wenn ein DHL-Mitarbeiter berichtet, der Konzern arbeite bereits daran, das auf dem Opel-Gelände errichtete und von der Landespolitik als Segen begrüßte neue Frachtzentrum bald vollautomatisch betreiben zu können.
Insgesamt zeigt das Festival 19 Dokumentarfilme in Köln und Brühl, Düsseldorf und mehreren Städten des Ruhrgebiets. Sie kommen aus aller Welt mit einem kleinen Schwerpunkt auf Israel. Drei Filme widmen sich der innerisraelischen Debatte um Militäreinsätze und Siedlungspolitik; besonders eindrucksvoll ist Silvina Landsmanns „Silence Breakers“, ein Porträt der gleichnamigen Organisation, in der ehemalige israelische Soldaten das offenbar weit verbreitete Schweigen über den militärischen Alltag in den besetzten Gebieten brechen wollen.
Jakob Krese und Danilo do Carmo haben für „Lo Que Queda en el Camino“ eine Mutter mit ihren Kindern auf der Flucht von Guatemala in Richtung USA begleitet und geben der im Jahr 2018 medial omnipräsenten „Karawane des Leids“ ein individuelles Gesicht. Der Film lief bereits erfolgreich auf dem Leipziger Dokfestival, aber wie bei vielen Beiträgen von Stranger than Fiction ist mit einem regulären deutschen Filmstart eher nicht zu rechnen.
Bereits im Kino ist dagegen Hauke Wendlers „Monobloc“, eine Weltreise auf den Spuren des titelgebenden, angeblich über eine Milliarde Mal verkauften Plastikstuhls. Auch „Luchadoras“ von Paolo Calvo und Patrick Jasim steht auf dem Spielplan. Im März soll der Film über drei junge Wrestlerinnen in Ciudad Juárez, der berüchtigten mexikanischen „Mörderstadt“, anlaufen. Seltsam, dass er mehr Hoffnung verströmt als die Bilder aus Bochum und Detroit.
Stranger than Fiction, 28. Januar bis 6. Februar, verschiedene Spielorte in Köln und Brühl.