In der Kölner Philharmonie führten die Münchner Philharmoniker unter Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla Mahlers „Auferstehungssinfonie“ auf. Das Werk spricht voller Trost in die Nöte der Gegenwart hinein.
Mahlers 2. Sinfonie in KölnGražinytė-Tyla entfacht die Magie des Finales

Die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla
Copyright: Frans Jansen/KölnMusik GmbH
Einst Psychogramm ihrer Zeit, scheint diese Musik auch unsere Gegenwart noch zu spiegeln. Die Krisen und Hoffnungen des Fin de Siècle liegen ebenso darin wie die heutigen Konflikte und Umbrüche unserer sich transformierenden Welt und Gesellschaft. Widerstreitende Kräfte zerreißen Gustav Mahlers 1895 in Berlin uraufgeführte zweite Symphonie, deren imaginärer Held letztlich niemand anderes ist als wir selbst. Wir sind angesprochen, wenn die Altistin im vierten Satz „Urlicht“ singt: „Der Mensch liegt in größter Not!“
Mahlers „Auferstehungssymphonie“ in der Kölner Philharmonie
Der düster marschierende Kopfsatz führt wahlweise zu katastrophischen Ausbrüchen oder euphorisiertem Auftrumpfen. Dazwischen verlocken Erinnerungen an gute alte Zeiten, welche die gegenwärtigen Lasten angeblich noch nicht kannten. Alternativ verheißen Blechbläserfanfaren erlösende Durchbrüche und Wendungen zum Guten. Die drei Zeithorizonte von nostalgisch verklärter Vergangenheit, gegenwärtigem Kampf und Hoffnung auf bessere Tage prägen durchweg die fünfsätzige „Auferstehungssymphonie“, deren Programm nicht einseitig christologisch zu verstehen ist. Schließlich war Mahler Jude, Pantheist und intensiver Nietzsche-Leser.
Der volkstümlichen Schlichtheit des Andante stehen leidenschaftliche Aufwallungen gegenüber. Das rastlose Scherzo ist ein tönendes Sinnbild leer laufender Geschäftigkeit. Als unablässig schnatterndes Perpetuum mobile kreist die Musik in einem fort um sich selbst ohne zielführenden Gedanken. Auch eskapistische Idyllen und Träumereien zieht es ins Unablässige in Wuseln und Wursteln zurück. Die Münchner Philharmoniker agierten unter Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla anfangs zu wenig punktgenau, ähnlich fahrig wie die manisch-depressiv zwischen Auf-, Ab- und Zusammenbrüchen changierende Musik. Hier wackelten Einsätze, dort vertröpfelten Pizzikati. Der finale Sog des Werks band jedoch alle Kräfte zusammen.
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Mirga Gražinytė-Tyla entfachte im Finale der Magie
Die 1986 in Vilnius geborene Dirigentin entfachte im gigantischen Schlusssatz treffsicher alle opernhaften und magischen Momente. Von außerhalb des Saals schmettern Fanfaren und Tschingderassa-Getrommel. Flöten flattern wie Totenvögel über kahlem Gräberfeld. Und der von Posaunen und Tuba erstmals rein instrumental intonierte Auferstehungschoral wird vom silberhellen Wisch eines Triangelstabs auf dem Tamtam gekrönt, als sprühe ein märchenhafter Zauberstab seine Bann brechenden Funken oder hauche ein Gott seinen lebensspendenden Atem.
Körperlos weich gelang der erste Einsatz des Philharmonischen Chors München, engelsgleich von Mezzosopranistin Okka von der Damerau überstrahlt. Dann folgte ein Pontifikalhochamt an Klang und Transzendenzverlangen. Wenn schließlich alle Sängerinnen und Sänger sich erheben, aus vollen Kehlen singen, das Tutti jubiliert, die Orgel dröhnt, Kirchenglocken schlagen und zehn (!) Hörner auf und hinter der Bühne den Schlusschoral mit emporgereckten Schalltrichtern zur siegreichen Apotheose führen, dann, ja dann…? Dann ist tosender Beifall so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach eineinhalbstündiger Kraftanstrengung drängt alles nach Lösung. Denn alle hoffen wir auf glücklichen Ausgang, sei es als Happy End in Kino und Konzert oder dem wirklichen Leben.