Das Gürzenich-Orchester lieferte eine solide Performance ab. Die vom Dirigenten beschworene Klangfülle erinnerte an Leopold Stokowski.
Kölner PhilharmonieLorenzo Viotti erinnert an den Dirigenten von Disneys „Fantasia“
Muss ein Dirigent anlässlich eines Konzert-Debüts unbedingt ein mündliches Statement abgeben? Keineswegs muss er, und manchmal wäre es sogar entschieden besser, er verzichtete darauf. Das war der Fall beim ersten Auftritt des Französisch-Schweizers Lorenzo Viotti mit dem Gürzenich-Orchester im jüngsten Abokonzert.
Der hielt es für nötig, jeweils vor den beiden Programmpunkten nichtssagend-banale Werkangaben und darüber hinaus eine komplett falsche Aussage zu platzieren: Tschaikowskys Streicherserenade und Rachmaninows zweite Sinfonie sollen eine „sehr besondere“ Agenda formieren? Das darf doch wohl nicht wahr sein – es sei denn, jemand findet es „besonders“, wenn in diesen Kriegszeiten im Westen überhaupt noch Russisches erklingt. Auf die abstruse Idee, Putin zu bestrafen, indem man die Musik seines Landes nicht mehr aufführt, kommt allerdings in der aktuellen Lage niemand.
Das Orchester zeigt in der Philharmonie die nötige Ausdauer für die einstündige Sinfonie
Allemal wichtiger ist freilich, wie der smarte 32-Jährige sich am Gürzenich-Pult schlug. Nun, gerade Rachmaninows zweite Sinfonie ist zweifellos ein forderndes Stück – allein, weil es eine Stunde dauert. Da braucht es Kraft und konzises formales Denken, um die großen Bögen überzeugend zu ziehen und die Spannung über lange Strecken hinweg zu halten. Und der Gefahr des Ertrinkens in klebriger Sentimentalität muss mit gezieltem dirigentischen Input begegnet werden.
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Viotti macht das alles im Prinzip ziemlich gut, die große Steigerung etwa in der Durchführung des ersten Satzes gelang samt anschließender Erschöpfungsstrecke auch dank der engagiert mitgehenden Musiker mit respektabler Gewalt. Viotti arbeitet freilich auch sehr viel – gar nicht mal, indem er jeden Takt ausschlägt, wohl aber in der detailbezogenen Hinwendung zu den einzelnen Stimmgruppen.
Inszenierung von Tschaikowski erinnert an den Dirigenten Stokowski
Die Intention ist klar und auch nachvollziehbar: Der Dirigent will den luxurierenden Wohlklang, Rachmaninows unendliches Strömen keineswegs zerstören – immer wieder hielt er die Geigen erfolgreich zu einem betont kantabel-emphatischen Ton an. Aber er will ihn strukturieren, ihm durch präzise Impulse sozusagen Knochen einsetzen, zum Beispiel durch die plastische Formung der Motive im Mittelbau und Keller der Partitur.
Diese Quadratur des Kreises gelang oft, aber nicht immer: Mitunter war die Klangbalance gestört – empfindlich sogar im dritten Satz, wo die Solo-Klarinette zu leise spielte (in den Noten steht immerhin ein mezzoforte), um nicht von der Triolenbewegung der zweiten Violinen ausgebremst zu werden. Da entstand eine nervöse Agilität, die der Stelle nicht gut bekommt. Unter Dmitrij Kitajenko, dem langgedienten Russen-Experten unter den Gürzenich-Dirigenten, klingt sie jedenfalls suggestiver, eindringlicher, besser.
Eindrucksvoll war, ein paar Fehler und überdrückte Einsätze abgerechnet, der massierte Auftritt der (mit Aushilfen aufgestockten) Streicher in der Tschaikowsky-Serenade gewesen. Weder sie noch Viotti mussten da, was die geforderte Opulenz und den pastosen Strich anbelangt, zum Jagen getragen werden. Zuweilen meinte man sogar ein vollbesetztes Sinfonieorchester zu hören. „Stokowski“, sagte nicht ganz zu Unrecht ein Besucher. Opulenz bedeutete hier aber nicht bleibeschwertes Auf-der-Stelle-Treten. Im Gegenteil durfte man sich über ein transparentes, bewegliches Klangbild freuen – angesichts des Riesenapparats keine Selbstverständlichkeit.