Die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla brachte viel Schwung mit in die Kölner Philharmonie. Der Pianist Kirill Gerstein drückte dagegen auf die Bremse.
Kölner PhilharmonieEine mitreißende musikalische Wucht
Lange Zeit war der Name des polnisch-russischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) nur Insidern ein Begriff; nach der Bregenzer Uraufführung seiner musikalisch wie zeitgeschichtlich bedeutenden Oper „Die Passagierin“ im Jahre 2010 gerieten auch seine zahlreichen Orchesterwerke zunehmend in den Fokus. Zu Weinbergs wichtigsten Fürsprechern gehört die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die von 2016 bis 2022 als Chefdirigentin beim City of Birmingham Symphony Orchestra wirkte. Mittlerweile ist sie dort Erste Gastdirigentin, und in dieser Funktion leitete sie das britische Elite-Orchester auch beim Gastspiel in der Kölner Philharmonie.
Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla sorgt in Köln für Intensivität
An den Anfang hatte sie Weinbergs viersätzige Sinfonietta op. 41 gesetzt, ein Stück gut gemachter, von jüdischer Folklore inspirierter B-Musik, wie sie auch Weinbergs Freund und Kollege Dmitri Schostakowitsch neben seinen ambitionierteren Werken immer mal wieder schrieb. Bei aller Eingängigkeit hat das 1948 entstandene Stück aber mit der anbiedernden Funktionärsmusik der spätstalinistischen Epoche nichts gemein. Da gibt es eine mitreißende musikantische Wucht, einen authentischen Klezmer-Ton - Qualitäten, die das Orchester und seine resolute Dirigentin mit intensiven Farben und festem Tritt effektsicher über die Rampe brachten.
Ähnlich ging das fabelhafte Team bei einer Szenenfolge aus Sergej Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ ans Werk. Was diese Musik auch im Konzertsaal noch an Tanzbarkeit vermittelt, trat hier auffällig zurück: Mirga Gražinytė-Tyla formte die einzelnen Nummern eher wie sinfonische Dichtungen im Miniaturformat; sie hob mit Vorliebe tiefe Bläser (wie Bassklarinette und Kontrafagott) aus dem Tutti und ließ den Melodienstrom der Balkonszene in epischer Breite fließen.
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Kirill Gerstein bremst in der Kölner Philharmonie den romantischen Schwung
Zwischen diesen einschüchternd aufragenden Klangfresken sowjetischer Prägung nahm sich Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll geradezu bescheiden aus. Das lag nicht zuletzt auch an der eigenwilligen Lesart des Solisten Kirill Gerstein, der hier eine schlanke, athletische Linienkunst zelebrierte und dafür den romantischen Schwung des Stückes deutlich ausbremste.
Dieses massearme, pointenreiche und sparsam pedalisierte Spiel zog sich durch alle drei Sätze und wurde vom Orchester loyal mitvollzogen. Gersteins hohe pianistische Elastizität mag auf seine Neigung zum Jazz verweisen - die hatte übrigens auch Sergej Rachmaninow, mit dessen wunderbar kapriziöser Bearbeitung von Fritz Kreislers „Liebesleid“ er sich verabschiedete.