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Kölner PhilharmonieIn den Applaus für Daniel Barenboim mischt sich Abschiedstrauer

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Dieses Foto vom 29. September 2017 zeigt den Dirigenten Daniel Barenboim bei einem Fototermin in der Staatsoper in Berlin.

Daniel Barenboim dirigierte man Samstagabend in der Kölner Philharmonie

Daniel Barenboim trat mit seinem West-Eastern Divan Orchestra in der Kölner Philharmonie auf. Pianist Igor Levit sprang für die erkrankte Martha Agerich ein.

Stürmischer Applaus für Daniel Barenboim in der Kölner Philharmonie – mehrfache standing ovations, wie es so schön und sprachlich falsch heißt (die ovations sind es ja nicht, die stehen). Das geht völlig in Ordnung: Eine glanzvolle Karriere ist, das spürt jeder, der dabei sein konnte, definitiv in ihrem Herbst angekommen, und so wird demjenigen, der sie ins Werk gesetzt hat, nicht nur Lob für einen aktuellen Auftritt gezollt, sondern auch Dankbarkeit für eine superbe Lebensleistung – in die sich auch schon ein wenig Abschiedstrauer mischen mag.

Für eine Schrecksekunde hielt der Beifall den Atem an, Barenboim stolperte ganz kurz beim Treppenaufgang. Aber es war nichts, und insgesamt wirkte der 81-Jährige fitter als noch im vergangenen Jahr. Seit der Maestro jeweils im Spätsommer mit seinem West-Eastern Divan Orchestra zu einer von einem Konzert gekrönten Probenphase für die bevorstehende Tournee in der Philharmonie aufschlägt, kann der Musikfreund die einschlägige Entwicklung ja im Jahresrhythmus verfolgen.

Gibt es einen Barenboim'schen Altersstil?

Am Pult macht Barenboim nicht mehr viel. Seinen Laden hat er so oder so gut im Griff – wie sich an vielen Details zeigt. Keine große Geste etwa für den Tutti-Einsatz nach der Solistenkadenz im ersten Beethoven-Klavierkonzert, er, der Einsatz, kommt aufwandlos, irgendwie von selbst. Und der dirigentische Minimalismus hat zunächst einmal nichts mit interpretatorischer Gestaltungsschwäche zu tun.

Ein Beispiel dafür hielt die Orchesterexposition besagten Konzertes bereit: Da erklingt das Seitenthema nach einem G-Dur-Halbschluss im weit entfernten Es-Dur. Die Dreiklänge beider Tonarten haben indes einen gemeinsamen Ton: G, mit dem die zweiten Violinen dann auch einsetzen. Für die Dauer eines Achtels hält Beethoven die Harmonie-Verhältnisse also in der Schwebe. Und Barenboim führt diesen Effekt gezielt vor, indem er das G eine Spur länger als notiert währen lässt.

Es mag ein Klischee sein, aber allemal drängt sich die Frage nach einem Barenboim'schen Altersstil auf. Ja, den gibt es wohl, er zeigte sich, auch in der abschließenden zweiten Sinfonie von Brahms, in der dezidierten Neigung zum Aussingen der Themen bei deutlicher Zurücknahme der internen Dramatik der Musik und auch markant ermäßigten Tempi. Man mag es drehen und wenden, aber es hilft nichts: Ein leichter Verlust an Vitalität war damit leider schon verbunden.

Igor Levit spielte mit unprätentiöser Brillanz

Das fiel auch deshalb auf, weil Barenboim als Spannmann am Flügel mit Igor Levit (Jahrgang 1987) der Repräsentant einer unstrittig jüngeren, wenn nicht jungen Generation zur Seite stand – er war übrigens kurzfristig eingesprungen, weil Martha Argerich krankheitshalber hatte absagen müssen. Levit spielte das Konzert mit einer völlig unprätentiös-selbstverständlichen Agilität, Eleganz und Brillanz, erfüllt und substanzreich im immer wieder aufgesuchten Sotto voce. In sympathischer Selbstzurücknahme wählte er die kürzeste der drei Beethoven-Kadenzen für den ersten Satz und spielte auch nicht applausheischend die letzten Tutti-Takte im finalen Rondo mit.

All das passte nun nur bedingt zur Performance des Orchesters (in dem Barenboims Sohn Michael als Konzertmeister agiert), das allein schon dank seiner Besetzungsstärke (acht Kontrabässe!) die Schwerfälligkeit eines Tankers nicht ganz loswurde. Levit musste da schon mal zuweilen, etwa durch rhythmisch pointierte Bass-Interventionen, regelrecht Beine machen. Auch in der Brahms-Sinfonie, zu der der Starpianist mit seiner Zugabe, dem Intermezzo opus 117/1, inspiriert überleitete, gab es neben vielem Erfreulichen auch Fett-Opakes, sehr Lautes – von technischen Defiziten in Klanggebung und -homogenität einmal abgesehen.

Indes muss klar sein: Wer Genese und Geschichte des West-Eastern Divan Orchestra kennt, weiß, dass er hier nicht die Spielqualität der Wiener Philharmoniker erwarten kann. Diese aus jungen israelischen und arabischen Musikern zusammengesetzte Formation steht bekanntlich für eine Idee, die über das rein Musikalische weit hinaus-reicht. Dank an Barenboim – er hat nicht nur dem Künstler zu gelten.