In der Kölner Philharmonie führten der Gürzenich-Chor und die Rheinische Philharmonie Koblenz die Konzertante Aufführung von Leonard Bernsteins Operette „Candide“ auf.
Kölner PhilharmonieLoriot und die beste aller möglichen Welten
Gleich die schmissige Ouvertüre plaudert aus, wie dann 120 Minuten lang rasant um die Welt gereist wird, allerdings unfreiwillig durch Schicksalsschläge jeglicher Art hin und her getrieben. In Leonard Bernsteins 1956 uraufgeführter Operette „Candide“ nach Voltaires gleichnamiger satirischer Novelle von 1759 bekommt der Titelheld von seinem Hauslehrer eingetrichtert, er lebe in der besten aller möglichen Welten. Doch der uneheliche Spross eines westfälischen Barons wird dann nach allen Regeln der Kunst auf die Probe gestellt. Statt „alles ist gut“ läuft fortan alles denkbar schlecht, geradezu katastrophal.
Kabarretist Konrad Beikircher übernimmt Loriots Texte
Candide wird enterbt, zwangsrekrutiert, in Kriege verstrickt, verliert die Geliebte, gerät in Erdbeben, Vulkanausbruch, Orkan, Schiffbruch und Urwalddickicht, kommt an den Galgen und verliert alles Hab und Gut. Andere Beteiligte bekommen Syphilis, Zahnweh, verlieren ihre Nase, werden prostituiert, exekutiert, erstochen, ermordet und leben wundersam dennoch irgendwie immer weiter. Die schlimmste aller Welten ist vielleicht doch nicht so schlecht? Als Erzähler der Textfassung von Loriot führt Kabarettist Konrad Beikircher galant und süffisant durch die konzertante Aufführung der Groteske in der Kölner Philharmonie, indem er manches satirisch ummünzt und das Leitmotiv „Alles ist gut“ zum Glaubenssatz von Kardinal Woelki erhebt.
Wie für Bernstein typisch flottiert die Musik munter durch verschiedene Epochen und Stile. Es gibt gefühlige Arien, zarte Liebesduette, zündende Märsche, kesse Chansons, wiegende Walzer, leidenschaftliche Tangos und virtuose Koloraturakrobatik. Die entsetzlichsten Schicksalsschläge bereiten allesamt beste Unterhaltung und eine Mords Gaudi. Aller Kitsch ist nicht pur, sondern mit feiner Ironie gewürzt.
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Christian Jeub dirigiert Orchester und Chor mit Schwung
Die Hinrichtung Candides auf dem Scheiterhaufen der heiligen Inquisition schwankt zwischen klerikaler Starre und ausgelassener Volksbelustigung. Im brasilianischen Dschungel kommt es zur absurden Kreuzung aus Radetzky-Marsch und barocker Kantate. Und das pompös beginnende Zwischenspiel zum sagenhaften Eldorado verebbt unversehens in fadenscheiniger Blässe.
Die Rheinische Philharmonie Koblenz spielte unter Leitung von Christian Jeub gestisch pointiert alle Tempowechsel, Schlenzer und Launen, häufig mit lateinamerikanischem Schwung. Stimmschön und klangmächtig sangen Gürzenich-Chor und Universitätschor Koblenz die eigenwillig harmonisierten Choräle. In der schwärmerischen Titelrolle glänzte der junge Essener Tenor Matthias Koziorowski.
Als seine Verehrteste Cunegonde brillierte Sopranistin Jennifer O`Loughlin und als Hauslehrer Pangloss Bassbariton Thomas Gazheli, der zugleich in der Paraderolle des Pessimisten Martin allen Geifer über die schlechteste aller Welter ausspie. Nachdem Candide lange bei sich selbst die Schuld dafür sucht, dass er all die leidvollen Segnungen der Welt nicht wirklich zu genießen weiß, endet schließlich alles mit Hochzeit, Reihenhaus, Biogemüße, Fernseher – und tosendem Applaus.