Die Oper aus der Feder des französischen Berio- und Boulez-Schülers Arnaud Petit wurde in Anwesenheit des Komponisten in Köln uraufgeführt.
„Das Biest im Dschungel“ an der Kölner OperWarum diese Uraufführung eine Herausforderung ist
Ja, es gibt sie, Opern ohne äußere Handlung – und sie können sogar, scheinbar paradox, erfolgreiche Weltkarrieren hinlegen. „Tristan und Isolde“ ist das wohl berühmteste Beispiel. Die Oper "Das Biest im Dschungel" („La bête dans la jungle“) aus der Feder des französischen Berio- und Boulez-Schülers Arnaud Petit, die soeben in Kölner in Anwesenheit des Komponisten uraufgeführt wurde, setzt diese Reihe fort – wobei man hier allerdings von einer extrem radikalen Version des Prinzips „Oper als Nicht-Oper“ sprechen muss.
Vom Zuschauer wird verlangt, dass er sich auf diese Konstellation bedingungslos einlässt. Vermag er das nicht, droht ihm ein Kunsterlebnis, für welches ihm auch eine Aufführungsdauer von anderthalb Stunden (ohne Pause) noch zu lang erscheinen mag. Der herzliche Beifall des Premierenpublikums kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Werk eine steile Bühnenlaufbahn konstitutionell versagt bleiben dürfte – er war wohl auch in erster Linie der herausragenden Leistung der Interpreten geschuldet.
Das Libretto basiert auf einer Novelle von Henry James
Das von Jean Pavans erstellte Libretto basiert auf der 1903 entstandenen Novelle von Henry James, die sich ganz und gar auf die Psychologie einer komplexen Paar-Beziehung konzentriert: Der Mann, John Marcher, erwartet unbestimmt ein schreckliches Lebensschicksal (eben das Biest im Dschungel) und fällt dadurch aus allen etablierten Lebensbezügen heraus.
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Die Frau, May Bartram, will ihm dabei zur Seite stehen, wird in ihrer rückhaltlosen Liebe allerdings zurückgewiesen. Erst an ihrem Grab wird Marcher der Leerheit seines eigenen gelebten Lebens inne. Nicht das Eintreten, sondern gerade das Ausbleiben eines erwarteten katastrophalen, aber eben möglicherweise auch kathartischen Ereignisses erweist sich als das angstbesetzte „Biest“.
Motivisch nimmt James, dessen hermetischem Spätwerk die Erzählung zugehört, hier teilweise Becketts „Warten auf Godot“ vorweg; ihr Verlust an festem Boden für Figuren und Leser erweist sie jedenfalls als einen Frühvertreter der literarischen Moderne. Die „Oper“ besteht im Wesentlichen aus den dialogischen Reflexionen der beiden Beteiligten, die aus dem Käfig ihrer wechselseitigen Fixierung nicht herausfinden.
Der Regisseur führt als Erzähler durch den Abend
Arrangiert wird das Ganze von einem kommentierenden und durch den Abend führenden Erzähler, dessen Part in der Kölner Produktion sinnigerweise der Regisseur Frederic Wake-Walker übernimmt (er spricht Englisch, während die Darsteller des Paares französisch singen). Er wird so zum Regisseur seiner selbst. Der in Berlin lebende Deutsch-Brite ist in Köln gut ausgewiesen durch seine spektakuläre Inszenierung des „Peter Grimes“ von Benjamin Britten, der mit „The Turn of the Srew“ seinerseits einen Erzähltext von James vertonte.
Wake-Walker übernimmt im Saal 3 des Staatenhauses übrigens auch die üblichen technischen Hinweise vor einer jeden Vorstellung (Smartphones ausschalten etc.), die hier indes schon Teil der Aufführung selbst sind – eine gleichsam schlendernde Vermischung und Verwischung der Realitätsebenen verweist, auf die prinzipielle „Offenheit“ – auch die Deutungsoffenheit – der Bühnenvorgänge.
Die Inszenierung selbst ist reduktionistisch: In der Mitte zwischen den gegenüberliegenden Zuschauerblöcken und dem (je nach Perspektive rechts oder links positionierten) Orchester begibt sich das vom Regisseur dirigierte Kammerspiel der beiden Figuren, die, selbst wenn sie einmal im Duett singen, nie (und am Schluss lediglich imaginär durch einen Spiegeleffekt) zueinanderfinden. Eine Dramaturgie und Choreografie der wechselseitigen Verfehlung. Das Ganze wird von zurückhaltend gehandhabten Bildprojektionen umstellt, die die abstrakt-dunkle Leere der Bühne aber nicht „beschädigen“.
Dagegen ist wenig zu sagen, mehr wäre hier – man spürt es – weniger gewesen. Petits Musik ist konstruktivistisch – das fällt dem Hörer auf, wenn er zum Beispiel mal die Intervallmutationen einer Viertonfolge im Horn realisiert –, hat aber auch einen starken sinnlichen Appeal. Exquisit sind die kammermusikalisch eingesetzten Instrumentalfarben (die samt Glocken und Schlagwerk vom Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth glutvoll-plastisch vor- und aufgetragen werden) zuzüglich Elektronik und transformierten Chorklängen.
Es gibt kreisend-wiederholend angelegte Strecken, aber vom Einerlei einer dissonanzreichen Spannungslosigkeit kann trotzdem kaum die Rede sein: Brüche und Ausbrüche, die die Vorgänge im Inneren der Figuren ausstellen, dramatisieren immer wieder die Textur. Und während viele Avantgarde-Opern geradezu gegen den Gesang geschrieben sind, verzichtet Petit durchaus darauf, diesem den Krieg zu erklären.
Traditionelle Arien und Duette gibt es hier zwar nicht, wohl aber suggestiv geführte, dabei zumal rhythmisch schwierige und die Interpreten damit sehr fordernde vokale Gesten und Bögen. Emily Hindrichs und Miljenko Turk zeigen sich diesen Ansprüchen souverän gewachsen. Soviel stimmlicher Glanz, so viel Intensität und Wohlklang selbst in Trauer und Abwendung – da wächst der Hardcore-Moderne dieser Musik eine eigene, esoterische Schönheit zu.
Musikalische Leitung: François-Xavier RothInszenierung: Frederic Wake-WalkerBühne, Projektionen und Kostüme: Anna JonesDarsteller: Emily Hindrichs, Miljenko Turk, Frederic Wake-WalkerDauer: ca. 1 1/2 Stunden ohne PauseWeitere Aufführungen: 20., 22., 27., 30. April