Kriege, Querdenker, Männlichkeit: Mit „Monde vor der Landung“ hat Clemens J. Setz einen hochaktuellen historischen Roman veröffentlicht. Am Mittwoch kommt er mit "Monde vor der Landung" zur lit.Cologne.
Clemens J. Setz auf der lit.CologneEin hochaktueller historischer Roman
Clemens J. Setz schreibt die im allerbesten Sinne merkwürdigsten Romane der deutschen Gegenwartsliteratur - 2021 wurde der 39-Jährige Wiener dafür mit dem renommiertesten Literaturpreis im deutschen Sprachraum ausgezeichnet: Dem Büchner-Preis. Sein neuer Roman spielt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Seine Hauptfigur hat ein historisches Vorbild und glaubt fest an die Hohlwelt-Theorie - ist also davon überzeugt, dass wir in der Erdkugel leben und nicht darauf.
Herr Setz, Ihre Hauptfigur Peter Bender ist ein fanatischer Anhänger der Hohlwelt-Theorie und hat tatsächlich gelebt zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Sie haben über seine Lebensgeschichte gesagt, dass das „die beste Geschichte, die mir je im Leben untergekommen ist“ sei. Was genau hat sie so daran begeistert?
Clemens J. Setz: Begeistert hat mich die Dichte, mit der bei ihm ganz viele verschiedene Dinge zusammenhängen. Er ist jemand, der eine eigene Theorie über das Universum hat und damit versucht, die Leute aufzuwecken. Das hat einerseits etwas stark Heroisches, andererseits auch etwas Stures, Gefährliches. Wenn man nicht mehr versteht, was die Wirklichkeit ist. Spannend ist auch der Moment, wo jemand mit einem Wahngebäude gegen ein viel größeres Wahngebäude antritt - nämlich den Nationalsozialismus, die größte Verschwörungstheorie im 20. Jahrhundert. Die Staatsverschwörungstheorie zermalmt dann die private Verschwörungstheorie. Da ist nirgends ein Vertreter einer gemäßigten Vernunft in Sicht.
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Sie haben für das Buch sehr lange recherchiert und auch teilweise historische Quellen und Bilder eingefügt.
An manchen Stellen waren die Quellen einfach das Beste, das es gab. In den wenigen Fällen, wo ich nicht fiktiv einen besseren Text machen konnte, habe ich dann einfach Originalmaterialien hinein montiert. Aber durch dieses hinein montieren in meinen Roman werden sie dann auch zum Teil der Fiktion, Teil meiner Phantasie. Ich wollte keinen historisch-dokumentarischen Roman schreiben.
Trotz des historischen Hintergrunds liest sich die Geschichte alles andere als verstaubt. Wie haben Sie nach der Recherche in Archiven wieder zu Ihrem eigenen Ton zurück gefunden?
Das waren wirklich nur seltene Momente, in denen ich mich ganz in Peter Benders Denken hinein gestürzt habe. Wenn man zum Beispiel Korrespondenz liest - es gibt hunderte Briefe von ihm in einem Archiv in Florida. Wenn man da den ganzen Tag liest, was ich gemacht habe, dann schwingen die Neuronen im Gehirn auf seiner Frequenz noch lange nach. Aber ich habe ja insgesamt zehn Jahre immer wieder im Wechsel dran gearbeitet. Das ist ja nicht wie Method-Acting, wo man sich stimmungsmäßig in eine Figur hinein versetzt oder hinein denkt. Sondern die Hauptaufgabe ist eher eine kühle, technische Sache. Das Arbeiten an einem Satz, an einem Gesamtverlauf, an der dramaturgischen Manipulation von Absätzen.
Wie würden Sie Ihre Haltung zu Ihrer Hauptfigur beschreiben?
Ich sehe viele der monströsen und auch der lobenswerten Anteile von mir in ihm. Extremer ausgeprägt, auch durch die Zeit, in der er leben musste. Als ich einen Überblick hatte, über die ganze Geschichte - also als mir klar war: So verläuft sie, das waren seine Eckdaten, so hat er gehandelt, so war er als Mensch - dann war es eigentlich klar: Wow, das ist eine Geschichte! Da spürt man den Ruck am Angelhaken. Da gibt es kein Zurück, da muss man dann einfach rein.
Die FAZ moniert in einer Kritik, Sie seien „zu ernsthaft-mitfühlsam“. Warum haben Sie der Versuchung widerstanden, sich über Ihre Hauptfigur lustig zu machen?
Zehn Jahre lang damit zu verbringen, sich über jemanden lustig zu machen - das ist ja eine völlig absurde Haltung! Und dafür sind ja auch Romane nicht da. Der Roman ist eine der vornehmen, der alten edlen Formen, wo man sich in die schwierigsten Sachen vertiefen kann. Kurze Texte, die schnell geschrieben sind - vielleicht schon eher. Thomas Bernhard ist das extremste Beispiel für jemand, der Leute in seinen Büchern als etwas beschrieben hat, was abzulehnen, was verlachbar ist. Da ist wenig Warmes, Empathisches. Der Hass ist kurzlebiger als das faszinierte Studium einer Figur. Man kann viel länger etwas fasziniert, aufgeregt, möglicherweise sogar erotisiert studieren als es einfach zu verlachen, abzulehnen. Außerdem finde ich es auch irgendwie auf einer metaphysischen Ebene unangebracht. Einen Menschen, der schon so lange tot ist, jetzt in den Vorhof des Existierens, nämlich das Fiktive, zu bringen. Und dann aber zu sagen: Schau, wie lächerlich! Das wäre unfair, eine Art metaphysischer Frevel. So etwas tut man nicht.
Ihr Buch stellt die Fragen: Was ist Wirklichkeit? Was ist Fiktion? Und (warum) ist das wichtig? Insofern ist „Monde vor der Landung“ auch ein Buch über die Faszination des Geschichten-Erzählens.
Die Hauptfigur (und bis zu einem gewissen grad auch die historische Figur) Peter Bender war ein begabter Einwickler, Rauswiesler, Rekrutierer. Sozusagen eine Art Bühnenhypnotiseur, der Menschen sofort für sich gewinnen konnte. So ein Effekt ist immer auch ein Triumph des Erzählens.
Sie werden dafür kritisiert, dass sie echte und am Ende tragische Schicksale benutzt haben für Effekt im Roman. Können Sie mit dieser Kritik etwas anfangen?
Nein, gar nicht. Zumindest berührt sie meine Intentionen nicht. Historische Figuren kommen in Romanen schon seit Erfindung des Romangenres überhaupt vor, und deren Schicksal ist sehr häufig ein tragisches.
Ein hochaktuelles Thema des Romans sind "alternative Warheiten". Glauben Sie, das ist vor allem ein Phänomen unserer Zeit oder nehmen wir es jetzt nur stärker wahr wegen der Sozialen Medien?
Soziale Medien machen es wohl leichter, für jede Art von Weltbild zahlreiche Verbündete zu finden. Gerade dieses Element aber fehlte einen Menschen wie Peter Bender schmerzlich. Er wäre vermutlich recht glücklich über die Möglichkeiten von TikTok oder Telegram oder Twitter gewesen.
Wie können wir eigentlich so sicher sein, dass wir auf der Seite der Vernunft stehen? Dass wir nicht die Verblendeten sind?
Ich glaube, man sollte durchaus Angst haben vor Leuten, die sich Tag für Tag für die Unverblendeten halten.
Was wäre Peter Bender wohl heute für ein Mensch?
Sicher war diese spezielle Form der Inflationsheiligen etwas Zeittypisches. Andererseits gibt es eine Wiederkehr dieses Typus. Er wäre vielleicht heute ein sehr erfolgreicher Politiker.
Die Lesung an diesem Mittwoch, 8. März, mit Clemens J. Setz bei der lit.Cologne in der Kulturkirche muss aufgrund unvorhersehbarer Reisekomplikationen abgesagt werden. Online erworbene Tickets werden automatisch erstattet. Bei Fragen kontaktieren Sie bitte unter Angabe Ihrer Bestellnummer unseren Ticketanbieter myticket unter customerservice@myticket.de. An der Theaterkasse Neumarkt erworbene Tickets können dort bis zum 11.03.2023 zurückgegeben werden.