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Richter statt Rubens

Lesezeit 4 Minuten

Einen Spiegel anstelle eines Gemäldes aufzuhängen, das klingt ein wenig nach Trick 17. Schließlich zeichnet der Spiegel ein Bild an die kahle Wand, für das sich kein Maler der Mühsal der Erfindung unterziehen musste. Das Spiegelbild wirft einfach nur zurück, was ohnehin schon da ist – ist das nicht das Gegenteil von Kunst?

Wo die Kunst an die Grenzen des eigenen Selbstverständnisses geht, liegt die Gefahr der Selbstüberlistung immer in der Luft. Das macht aber beispielsweise gerade den Reiz der „Grauen Spiegel“ aus, mit denen der Maler Gerhard Richter seit Jahrzehnten immer wieder auf eine ketzerische Frage zurückzukommen scheint: Wozu braucht es noch Malerei? Oder etwas persönlicher formuliert: Bin ich wirklich besser als eine Glasscheibe mit getönter Rückwand?

Ab diesem Donnerstag ersetzt ein 2,28 mal 2,28 Meter messender „Grauer Spiegel“ (2018) für mehrere Monate das Prunkstück der Kölner Pfarrkirche Sankt Peter: die „Kreuzigung Petri“ von Peter Paul Rubens (1638/40). Das überaus stattliche Spätwerk des flämischen Barockmalers wird derzeit restauriert und ist für die Kirche und die am selben Ort installierte Kunst-Station selbstredend unersetzlich – weshalb es durchaus konsequent ist, das Gemälde gegen die Leerstelle eines zum Kunstwerk erhobenen Spiegels auszutauschen. Statt des Märtyrers und der biestigen Kraftprotze, die ihn in den prächtigsten Farben kopfüber ans Kreuz nageln, sieht sich der Besucher nun selbst und den Kirchenraum in gedeckten Farben. Ein Teil des Lichts wird vom Spiegel verschluckt, aber das macht den ergrauten Betrachter noch lange nicht zur todgeweihten Kreatur.

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Gerhard Richters „Grauer Spiegel“ in der Kunst-Station Sankt Peter Köln

Im Grunde passt der „Graue Spiegel“ viel besser zu Sankt Peter als der opulente Rubens. Seit Pater Friedhelm Mennekes die Stadtpfarrei außerhalb des Gottesdienstes zum Zentrum für zeitgenössische Kunst umnutzte, regiert im katholischen Gotteshaus zwar nicht die Reformation, aber konservativen Kirchgängern wird es trotzdem nicht warm ums Herz. Mit Macht ist der Bildersturm der Nachkriegskunst durch Sankt Peter gezogen und hat vieles von dem hinweggefegt, was auch Rubens heilig war. Seine auf Überwältigung zielende „Kreuzigung“ wirkte in diesem Rahmen wie das trotzige Überbleibsel einer auf ihrem Gebiet einst unangefochtenen Institution – ein Sinnbild der katholischen Kirche selbst.

Bei Richters Leihgabe geht es also keineswegs nur darum, das Werk eines berühmten Malers zeitweilig gegen das Werk eines anderen berühmten Malers auszutauschen. Vielmehr spiegeln sich die modernen Selbstzweifel zweier ruhmreicher Institutionen nun ins Unendliche hinein. Stephan Kessler, aktueller Pfarrer von Sankt Peter, scheint mit dieser Verwandtschaft gar nicht unglücklich zu sein. Vergnügt blätterte er einige Tage vor der Eröffnung in der Gerhard-Richter-Bibel, einem „Texte“ betitelten Buch mit Aufsätzen und Interviews des Kölner Malers, das, nebenbei bemerkt, erstaunlich dick ist für jemanden, der als verschwiegen gilt.

Das Vergnügen ist verständlich, denn moderne Kunst und aufgeklärte Religion treffen sich auf dem harten Grund ihrer letzten Überzeugungen: der Glaube an die Wahrhaftigkeit einer Fiktion. Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, dass das, was auf einem Gemälde zu sehen ist, nicht mit der Wirklichkeit identisch ist – und trotzdem hat sich die Malerei erfolgreich als Spiegel der Welt definiert, gerade auch, indem sie für sich beanspruchte, zeigen zu können, was in den Dingen verborgen liegt. Der mittelalterliche Theologe Nikolaus von Kues trieb diese Selbstermächtigung früh auf die Spitze, indem er davon sprach, dass sich das Himmelreich auf Erden grundsätzlich nur „wie durch einen Spiegel erfahren lässt“. Für ihn war ein Christus-Gemälde der Vorschein einer göttlichen Wirklichkeit, was man noch heute empirisch nachprüfen kann: Wer den Spiegel vor sich schräg hält, sieht auch, was außerhalb des eigenen Gesichtsfelds liegt.

So fromm war Rubens möglicherweise nicht, und macht man die Probe vor Gerhard Richters grauem Spiegel, sieht man eine sorgsam heruntergedimmte Realität. Aber auch diese erweitert unser Verständnis von Kunst, Glaube und Religion.

„Replace Rubens: Gerhard Richter, Grauer Spiegel“, Kunst-Station Sankt Peter, Jabachstr. 1, Köln, Mi.-So. 12-18 Uhr, bis Mitte November. Eröffnung: 14. Mai, 19.30 Uhr, Kirchhof, Leonhard-Tietz-Str. 6