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Maler Michael Triegel über das Richter-Fenster„Thematisch hinterlässt es mich ratlos“

Lesezeit 6 Minuten

Seit zehn Jahren einer der großen Schätze im Dom: Gerhard Richters Fenster

Köln – Vor zehn Jahren, am 25. August 2007, wurde Gerhard Richters Domfenster eingeweiht. Dem Leipziger Maler Michael Triegel ist das abstrakte Kunstwerk mit seinen 11 200 Farbquadraten inhaltlich zu vage und unverbindlich.

Herr Triegel, das Richter-Fenster im Dom zu loben, ist keine Kunst – oder doch?

Im Kontext des deutschen und internationalen Kunstbetriebs grenzt Nicht-Lob für Gerhard Richter an Majestätsbeleidigung. Mir ist es trotzdem etwas fremd. Als ich es das erste Mal sah, kurz nach der Einweihung, fiel gerade die Mittagssonne darauf. Das war einerseits ein Glück wegen des Farbenspiels auf den Domwänden – eine großartige Interaktion mit dem Raum! Aber ich fand auch: Das Fenster als solches ist zu hell, und thematisch hinterlässt es mich ratlos.

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Warum?

Ich bin nun einmal ein dezidiert figürlicher, gegenständlicher Künstler. Ich male, was ich sehe, und ich versuche, mit Paulus gesprochen, „vom Sichtbaren zum Unsichtbaren“ zu gelangen. Das ist ein ganz anderer Weg, als Richter ihn geht. Wenn es nicht so abfällig klänge, könnte ich sagen: Sein Fenster ist dekorativ. Über Jahrhunderte hätte die gelungene Darstellung des „decorum“, des sinnlich Schönen, als große Tat gegolten. Da ich selbst aber viel stärker von ikonographischen Überlegungen ausgehe, ist dieser Zugang für mich schwierig.

Das Domkapitel habe sich für Richter entschieden, sagt die frühere Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, weil sich alle figürlichen Vorlagen für die Gestaltung eins so monumentalen Fensters in 20 bis 40 Meter Höhe als untauglich erwiesen hätten.

Mir erscheint das als vorschnelle Kapitulation vor dem Auftrag. Ich fürchte, aus lauter Angst vor der Gegenständlichkeit, die nach der gefälligen Beliebigkeit des Akademismus im 19. Jahrhundert und der Ausbeutung durch die NS-Ästhetik wie auch den Sozialistischen Realismus in der DDR doppelt diskreditiert war, ist die von Dogmen befreiende und befreite Abstraktion selbst zu einem Dogma geworden. Sie hat neue Tabus geschaffen. Wie oft höre ich als Kommentar zu meinen Werken, die ja nicht nur gegenständlich sind, sondern dazu auch noch handwerklich auf vergangene Stilepochen Bezug nehmen: „Das geht doch heute gar nicht mehr!“

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Ein Einwand gegen ein gegenständliches Fenster lautete, in so großer Höhe wären kleinere Figuren gar nicht mehr erkennbar.

Das nun hätte mich womöglich veranlasst, es genau deshalb zu machen. Die Figur von, sagen wir, Edith Stein als Märtyrerin könnte ungezählte unbekannte Opfer vertreten, gerade weil der Besucher sie nicht bis ins Detail erkennt, aber weiß, dass es diese Heilige sein soll. Auch mittelalterliche Glasfenster wollten – entgegen der verbreiteten Vorstellung ihrer Funktion als „Biblia Pauperum“, als Bibel für die Armen, die Analphabeten – nicht in erster Linie „gelesen“ und „verstanden“ werden. Es geht in diesen Fensterzyklen um das große Ganze und um die künstlerische Meisterschaft „ad maiorem Dei gloriam“, zur größeren Ehre Gottes. Dafür musste auch die Heiligenfigur in schwindelnder Höhe, die kein Kirchenbesucher je zu Gesicht bekommt, so perfekt ausgearbeitet sein wie die Marienstatue am Hauptportal. Das ist nun eine geistig-geistliche Dimension von Kunst, die uns in der Moderne völlig abhandengekommen ist. Aber ich finde, selbst wenn man solch eine Vorstellung ablehnt, könnte man sich mit ihr produktiv auseinandersetzen.

Ist Auftragskunst ein Problem für die Autonomie des Künstlers?

Was mich betrifft: Ich höre sehr gern darauf, was sich ein Auftraggeber wünscht. Was ich davon umsetze, muss ich natürlich vor mir selbst verantworten. Georg Gänswein, der Sekretär des früheren Papstes Benedikt XVI., verlangte von mir, mein Papstporträt umzuarbeiten, weil ich „die jugendliche Frische Seiner Heiligkeit“ nicht getroffen hätte. Das habe ich natürlich abgelehnt. Die Frage ist immer, was der Auftraggeber möchte – und wie stark er seinen Willen macht. Gerade kirchliche Auftraggeber sind oft besonders defensiv im Umgang mit namhaften Künstlern, um diese nur ja nicht zu verprellen und sich dann stattdessen mit Werken minderer Qualität zufriedengeben zu müssen. Die Gefahr besteht. Nicht umsonst schwingt im Begriff „Kirchenkunst“ heute sofort die Abwertung mit. Kirchenkunst ist leider oft nur Kirchenkitsch. Dagegen war das Kölner Domkapitel im Fall des Richter-Fensters ganz gewiss gefeit. Aber ist das hinreichend? Hat es dem Domkapitel genügt, ein Werk des bedeutendsten, bekanntesten und teuersten Künstlers der Gegenwart in den Dom zu holen?

Eines atheistischen Künstlers obendrein. Stört Sie das – vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass Sie 2014 Christ geworden sind?

Nein. Auch ich habe vor meiner Taufe schon in Kirchen gearbeitet. Ich thematisiere in meinen Bildern meinen Zweifel und meine Sehnsucht. Beides ist sehr produktiv, und vielleicht ist es auch aus Sicht der Kirche interessanter, Zweifel und Sehnsucht des Menschen „zur Ehre der Altäre erhoben“ zu sehen, als die ästhetische Bestätigung dessen, was man vermeintlich immer schon wusste. Ich glaube, Gerhard Richter ist als Künstler so bedeutend für unsere Zeit, weil er ihr genau das gibt, was sie beansprucht: sich nicht festlegen zu müssen, im Vagen bleiben zu können. Im Raum der Kirche allerdings mag das zu wenig sein. Auf jeden Fall sollte dort auch ein atheistischer Künstler wissen: Was er darstellt, hat für einen wesentlichen Teil der Betrachter existenzielle Relevanz.

„In Richters diesseitigem Werk ist auch die „andere Welt“ präsent“

Seit zehn Jahren einer der großen Schätze im Dom: Gerhard Richters Fenster

Geistliche Interpreten des Richter-Fensters sagen, sein Umgang mit dem Licht lasse das Geheimnis Gottes aufscheinen. Ist das für Sie stimmig?

Insoweit ja, als für den gläubigen Menschen die Schöpfung überhaupt nur sichtbar wird durch das göttliche Licht. So ist in Richters ganz und gar diesseitigem Werk doch auch die „andere Welt“ präsent. Der Transzendenz-Bezug des Fensters ist sozusagen unausweichlich, selbst für den Atheisten Gerhard Richter. Und auch wenn er darüber nicht redet, er wird schon gewusst haben, warum er den Auftrag trotzdem angenommen hat. Die bloße Verweigerung jeglicher Gegenständlichkeit aber erschließt das Geheimnis nicht.

Sondern?

Sie ist nur eine Behauptung von Geheimnis, hinter der auch das vollkommene Nichts liegen kann. Kunst kommt dem Geheimnis dann am nächsten, wenn sie wenigstens eine Andeutung enthält, eine Ahnung des Verborgenen. So funktionieren zum Beispiel die großen Stillleben der Niederländer oder Spanier im 17. Jahrhundert. Wir sehen Alltagsgegenstände – einen Früchtekorb, einen Blumenstrauß – und ahnen sofort: Da ist noch mehr dahinter! Auch das mag jetzt wieder despektierlich klingen, als ob ich sagen wollte, „Gerhard Richter hat das Geheimnis nicht gezeigt“. Nein, das tue ich nicht. Ich kann nur für mich sagen: Richter lässt die Frage offen, ob jenseits seiner Verweigerung Gott steht oder das Nichts.

Eine Frage, die Sie lieber beantwortet wüssten?

Hier schließt sich der Kreis zum Beginn unseres Gesprächs. Ich möchte das Übersinnliche im Sinnlichen, das Metaphysische im Physischen zeigen. Theologisch gesprochen: Es ist Gottes Schöpfung, die den Schöpfer ahnen lässt. Doch umso mehr fasziniert mich Richters Fenster, je länger ich mich mit ihm beschäftige: als grandiose Illustration eines großen Verlusts. Des Verlusts an Gewissheit im Glauben. Ob Richter das intendiert hat; und ob er, wenn ja, diesen Verlust für beklagenswert hielte, weiß ich gar nicht. Aber er hat ein Charakteristikum unserer Zeit ins Bild gesetzt.