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Vivaldis leiser HorrorStargeigerin Anne-Sophie Mutter zu Gast in Köln

Lesezeit 3 Minuten

Anne-Sophie Mutter

Köln – Vivaldis „Vier Jahreszeiten“-Violinkonzerte sind im Kern ein erzählender Spaziergang durch die ländliche Lebenswelt Italiens im frühen 18. Jahrhundert – im Wechsel von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Da geht es nicht nur um Natur – um Gewitter, Mückenschwärme, Vogelrufe, Hitze und Frost –, sondern auch um die Reaktionen der diesen Erscheinungen einigermaßen wehrlos ausgesetzten Menschen. Tanzfreude angesichts ertragreicher Ernte kommt dabei genauso vor wie die qualvolle Lähmung durch eine quasi tropische Sommernacht.

Arkadisch ist diese bäuerliche Sphäre also nur sehr bedingt, und der Park, durch den die musikalische Reise führt, wird mitunter zum durchaus nicht ungefährlichen Abenteuer-Parcours. Da büßt dann der angeblich zweitklassige Vivaldi alle Harmlosigkeit ein. Man muss ihn freilich auch entsprechend spielen, und allemal haben Solist wie Orchester gegen die mutmaßlich verbreitete Publikumshaltung „Kennen wir doch alles schon!“ anzukämpfen.

Anne-Sophie Mutter und ihrer „Mutter’s Virtuosi“-Stipendiatentruppe ist das jetzt beim Meisterkonzert in der Kölner Philharmonie eindrucksvoll gelungen. Der Schreiber dieser Zeilen musste daheim noch einmal in die altbekannte Partitur gucken, um sicherzugehen, dass die Gäste da nicht bei Kadenzen und Einlagen allzu sehr über die Stränge geschlagen waren. Aber das war nicht der Fall, sie hatten aus dieser Musik nur herausgeholt, was im besten Fall in ihr steckt.

Klar, in Sachen Tongebung, szenische Dramatik, Farbenglut und Kontrastdynamik hat auch Mutter von der historischen Aufführungspraxis gelernt – der Grundklang der Solistin wie ihrer Begleiter ist nicht immer „schön“, sondern oft genug „charakteristisch“. „Naturalistisch“, wenn man so will. Aber das ist völlig in Ordnung: Solchermaßen kommen immer wieder neue, überraschende, auch erschreckende Landschaftsbewohner um die nächste Ecke (oder soll man sagen: Hecke?).

So mochte man beim zweiten Satz des „Sommer“, wo in Mutters hinreißende instrumentale Arie die klirrenden Repetitionen der Streicher hineinfuhren, vielleicht weniger an ein nahendes Donnerwetter denken als an die beklemmende Auseinandersetzung des Orpheus mit den Furien. Und wie im „Frühling“-Mittelsatz die Orchesterbratsche der Sologeige mit hartnäckigen Zweiern reingrätschte, das hatte schon fast etwas von „Horror aus der Tiefe“. Kurzum: Wer dabei als Hörer noch in seinen Vivaldi-Schlaf fiel, war unrettbar selber schuld.

Aufgewärmt hatten sich die Münchner mit einem weiteren Vivaldi-Konzert für vier Violinen, Unsuk Chins nagelneuer und in Mutters Auftrag komponierter „Gran Cadenza“ sowie Mozarts spätem Streichquintett KV 614 – allesamt Gelegenheiten, die Begleiter als Solisten in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. So durfte in Chins Duo der „Zweitgeiger“ Samuel Nebyu der Primadonna der Violine erfrischend in die Parade fahren (in der Mitte herrschte allerdings holde Eintracht), während sich Mutters Partner bei Mozart als Gestalter filigraner Kammermusik profilieren konnten. Was die Interpretationslinie, was Tempogestaltung und -modifikation anbelangte, so führte die Primaria allerdings kompromisslos Regie. Ein richtig eingespieltes Team war das Quintett indes nicht – da fehlte durchaus noch ein Quantum Homogenität.

Merkwürdiges Publikumsverhalten

Die Philharmonie erlebte übrigens an diesem Abend mutmaßlich ihre beste Auslastung seit längerer Zeit. Die Freude darüber wurde allerdings ausgebremst durch einen Teil des Publikums, der unpassenderweise immer wieder die Satzfolge, und sei sie auch noch so kurzatmig, durch Beifall unterbrach. Auch Corona also hat das sattbekannt-ärgerliche Phänomen nicht zum Verschwinden gebracht: Je prominenter die auftretenden Künstler und je teurer die Eintrittskarten, desto uninformierter die Zuhörer.