Neulich hatten wir Besuch von unserer italienischen Patentochter und deren Freund. Großes Hallo, als sie nach 18 Stunden Fahrt am Kölner Flughafen aus dem Fernbus stiegen. Und dann, gleich nach der Wiedersehensfreude, ein kritischer Blick auf die T-Shirts des jungen Paares. „Guns N’Roses“ verkündete ihr Shirt, „Red Hot Chili Peppers“ das seine.
Sie sind 18 und 17 Jahre alt. Guns N’Roses hatten sich mehr als ein Jahrzehnt vor ihrer Geburt zerstritten, die Red Hot Chili Peppers ihr Debütalbum mehr als 20 Jahre vor seiner Geburt veröffentlicht. Was wollen die jungen Zoomer bloß mit alten Boomer-Bands? Ich habe doch in meiner Jugend auch keine Benny-Goodman- oder Comedian-Harmonists-T-Shirts getragen. Und das nicht nur, weil die Harmonists damals noch keinen Merch-Stand hatten.
Einen Modetrend verschlafen?
Wie sich herausstellt, habe ich mal wieder einen Modetrend verschlafen. Und das obwohl meine 15-jährige Tochter schon seit mehr als einem Jahr unübersehbar mit einem David-Bowie-T-Shirt herumläuft. Beziehungsweise, obwohl Kendall and Kylie Jenner bereits vor fünf Jahren eine eigene T-Shirt-Kollektion mit Motiven klassischer Rock- und Rap-Acts herausgebracht haben, von Ozzy Osbourne bis Tupac Shakur.
Dafür wurden die beiden jüngsten Sprösslinge des Kardashian-Clans damals heftig kritisiert. Wie es diese beiden Lip-Gloss-Tanten nur wagen könnten, ihre Gesichter neben solchen Musik-Ikonen zu zeigen, giftete etwa Sharon Osbourne, die flinkzüngige Gattin des ehemaligen Black-Sabbath-Sängers.
Fan-T-Shirts auch im Großhandel
Den Nachhall ihrer Bemerkung hört man in jedem mokanten Kommentar ältere Semester à la „Kennst Du überhaupt einen Song dieser Band?“. Zum Glück habe ich mir den verkniffen. Aber gedacht hatte ich es mir schon. Was ich unsere jungen italienischen Gäste auch nicht gefragt habe, obwohl es mir auf der Zunge lag: „Habt ihr keine eigenen Bands, die ihre Logos auf T-Shirts drucken?“
Vielleicht ist es ja eine Frage des Budgets: Fangemäße Oberbekleidung von, sagen wir mal, Olivia Rodrigo oder Harry Styles hat ihren Preis. Da bekommt man kein Stückchen Stoff unter 40 Euro. T-Shirts mit Nirvana- oder Metallica-Aufdruck bietet C&A dagegen zu einem Bruchteil dieses Betrags an. Und Primark hat unter anderem sogar Def Leppard im Angebot. Def Leppard, echt jetzt?
Ja, warum denn nicht? Noch besser als Rock-Leibchen aus der Fußgängerzone sind selbstredend im Second-Hand-Laden erworbene, alte Tour-Shirts. Der Hashtag „vintagetshirt“ hat auf Tiktok mehr als 20 Millionen Aufrufe. Längst gibt es im Netz eigene Geschäfte für diesen Spezialbedarf. Falls Sie, lieber Gen-Xer, Ihr Nirvana-Tourshirt aus den frühen 1990ern aufbewahrt haben, können Sie das jetzt für bis zu 5000 Euro an solvente 18-Jährige verkaufen.
Es geht letztlich gar nicht um die Musik, sondern um den Style. Und das ist eigentlich eine gute Nachricht. Man höre nicht, aber staune: Spätgeborene dürfen doch tatsächlich eine herausgestreckte rote Zunge auf der Brust tragen, ohne die Discographie der Rolling Stones herunterbeten zu können. So viel zur Verteidigung.
Viele junge Frauen mit Rock-T-Shirts
Es sind auffällig viele Mädchen und junge Frauen, die sich zurzeit die Ästhetik alter, weißer Rockbands aneignen. Vielleicht aus Gründen der Selbstermächtigung. Vielleicht, weil sie die heroischen Jahre der Rockmusik genauso überhöhen wie die, die damals in der Berliner Waldbühne Stühle schmissen. Und in manchen Fällen vielleicht sogar, weil es doch tatsächlich nicht wenige Gen-Z-Frauen geben soll, die genau diese Musik mögen.
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Aber jedenfalls bestimmt nicht, weil sie von alten Männern mit Schallplattensammlungen im Keller (Vorsicht, Selbstbeschreibung!) in ein Fachgespräch über ebendiese Rockbands gezwungen werden wollen.