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Thees Uhlmann im Interview„Nazis erreicht man eher mit einem schönen Gedicht“

Lesezeit 5 Minuten

Thees Uhlmann

Thees Uhlmann, verstehen Sie sich als ein politischer Künstler?

Nein, denn meine Antriebsfeder war nie eine Politik, die ich verfolge, sondern mein Antrieb war immer die Kunst an sich. Alles andere ist dann einfach eine Folgeentscheidung. Musik im Sinne von Konstantin Wecker, der sie ja tatsächlich als politisches Vehikel begreift, das war nie mein Ding. Mir kommt es so vor, als ob sich die Leute im Internet heutzutage ständig präsentieren beziehungsweise darstellen müssen. Und dieses Darstellen besteht ja daraus, dass es eine faktische Sache ist: Schau, wie schön ich bin, schau, was ich gerade Nachhaltiges esse, schau mich an, wie ich gerade im Fitnessstudio bin, schau mich an, während ich eine tolle politische Meinung habe. Da gibt es nichts Verhandelbares mehr, du bist gar nicht mehr in der Lage oder bereit dazu die Ambivalenz der Dinge auszuhalten.

Kann Kunst unpolitisch sein?

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Nein, das glaube ich nicht. In meinem Buch über die Toten Hosen schreibe ich, vielleicht sogar ein wenig bewusst provokant, dass ich glaube, dass man Nazis wahrscheinlich eher mit einem schönen Gedicht erreicht, als mit einem politischen Lied. Denn man kann einen Menschen nicht davon überzeugen, kein Antisemit zu sein. Nein, ein Mensch kann sich nur selbst davon überzeugen, kein Antisemit zu sein. Und Kunst trifft die Menschen eben auf einer ganz persönlichen, emotionalen Ebene – anders als Politik, die rational und verkopft ist. Deshalb versuche ich, meine Kunst so schön, tief und dunkel, wie nur möglich zu machen.

Geben Sie mir ein Beispiel dafür?

Leute, die Quidditch spielen werden nicht auf abgedrehte politische Ideen kommen, weil sie sich in sich genügen. Sie sagen: „Wir lieben Harry Potter und es ist uns egal, ob die Leute uns auslachen. Dazu stehen wir, denn wir lieben es, zusammen Quidditch zu spielen.“ Wenn nun ein AfD-Typ kommt und sagt „Hey, was ist das für eine Kultur?“, dann sagen die: „Halt die Schnauze! Wir spielen hier Quidditch, Digga! Wir sind ein zärtlicher Haufen von Quidditch-Spielern.“ Das finde ich sehr romantisch. Es ist überhaupt nicht politisch, Quidditch zu spielen, aber plötzlich kommt eine Dimension von Weichheit und Zärtlichkeit mit hinein – und das ist das, was mir an Kunst gefällt: Man kann nicht Nazi sein und Elliot Smith hören – das geht nicht!

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Das heißt also, es ist sinnlos zu versuchen, mit rechts gesinnten Menschen in ein Gespräch auf politischer Ebene zu kommen?

Das weiß ich nicht. Ich sage, in allererster Linie sollte man die Leute erst mal bestrafen. Wenn jemand „Sieg Heil!“ oder „Du Fotze“ ins Internet schreibt, dann sollte es Geldstrafen geben. Denn ich bin davon überzeugt, dass ein Drittel der Probleme, vielleicht sogar noch mehr, vor denen liberale Menschen gerade stehen, vom Internet befeuert werden. Die großen liberalen Wunderwerke, wie Facebook und Twitter, machen die Leute total verrückt. Die Leute haben eine Möglichkeit, sich mit ihren irren Meinungen zu treffen und denken dann, dass sie viele sind. Und das überschreitet meiner Meinung nach ein Gesetz – also muss man dafür auch ganz normal bestraft werden. Das finden die Leute wahrscheinlich blöd, aber sie werden sich benehmen. Ich finde es auch blöd, dass es im Supermarkt nicht alles umsonst gibt – aber das ist nun mal so!

Das klingt alles sehr negativ. Hat das Internet uns denn wirklich unseren Sinn für den Wert und die Moral der Dinge genommen?

Nein, auf keinen Fall! Ich sehe zum Beispiel auch an meiner Tochter und ihren Freundinnen, was das für edle, junge und schlaue Mädchen sind. Wie die schon mit mir reden, was für Diskurse sie mit mir führen wollen – das muss ich jetzt auch wirklich mal als positives Zeichen sagen, dass sie mit 12 wesentlich weiter, klüger und reflektierter sind, als ich das in dem Alter war. Das finde ich dann schon schön.

Das stößt bei manchen aber auch auf Widerstand.

Deswegen sage ich, und das ist auch nicht konservativ oder so etwas – und wenn ist es mir auch scheißegal – ich muss meine Tochter auf jeden Fall vor den Einflüssen einer Gesellschaft verteidigen, in der so jemand wie Trump als Präsident gewählt wird. Oder die es toll findet, dass Leute sagen, dass junge Menschen Idioten seien, weil sie sich für das Klima engagieren. Seit wann wird denn das gedacht, dass 12-jährige Kinder schlau zu sein haben? Das ist doch frivol als Mann über 40 zu sagen: „Die junge Generation, Klimastreik, was?“. Das ist doch total in Ordnung, wenn zwölfjährige Menschen anpolitisitiert werden. Das werden sie niemals vergessen: „Weißt du noch damals, als wir mit Greta vorm Bundeskanzleramt waren?“. Und im nächsten Moment kriege ich zu hören: „Papa, weißt du, was wir danach gemacht haben? Wir sind zum Hauptbahnhof zu McDonald’s und Starbucks gegangen“.

Widerspricht sich das denn nicht?

Alles andere wäre doch Irrsinn! Warum sollen denn 12-jährige Menschen moralisch sein? Sie sind zum ersten Mal frei und wollen, dass die Erde nicht stirbt. „Digga, wir haben frei. Wir gehen noch zu Starbucks und kaufen uns einen Eistee.“ Alles andere ist doch Wahnsinn. Ich spende Applaus und gebe noch einen Zwanni drauf. Mit 12 muss man doch seine Freiheit entdecken. Es ist doch gerade die Transferleistung, sich erst politisch zu engagieren und dann den Moment der Freiheit zu nutzen. Da wird doch die Gesellschaft heiß, das ist doch geil!

Zur Person

Thees Uhlmann, geboren 1974 in Hemmoor bei Cuxhaven, gründete mit 14 Jahren die Band Tomte. Seit Anfang des Jahrzehnts ist er solo unterwegs und hat mit „Sophia, der Tod und ich“ einen Roman veröffentlicht. Gerade ist sein neues Album „Junkies und Scientologen“ erschienen. Sein Konzert am 30. 9. im Stadtgarten ist ausverkauft. Am 21. 12. spielt er im Palladium.