Köln – Gab’s da was umsonst? Die lange Menschenschlange am Donnerstagabend vor dem Hauptportal des Kölner Doms, die sich bis um die Ecke am Café Reichard schlängelte, ließ solches vermuten. Und in der Tat: Tickets hatte man erwerben müssen, aber die waren kostenfrei: Eingeladen worden war zur Uraufführung von Helge Burggrabes nagelneuem „Dreikönigsoratorium“, das das Domkapitel aus Anlass der 700-Jahr-Feier der Domchor-Vollendung im Jahre 1322 in Auftrag gegeben hatte.
Domkapellmeister Eberhard Metternich hob das opulente Werk aus der Taufe
Die Kölner Dommusik mit Domchor, Mädchenchor, Vokalensemble und Domorganist Winfried Bönig sowie Vokalsolisten und das begleitende Kölner Kammerorchester hatten sich – in der Hauptmasse in Höhe der Vierung im Mittelschiff, der Jugendchor war im rechten Querhaus platziert – versammelt, um unter Leitung von Domkapellmeister Eberhard Metternich das opulente Werk aus der Taufe zu heben. Von den Zuhörerbänken ging der Blick über die Musizierenden hinweg in die Höhe des gefeierten Chores und seine himmelstürmende hochgotische Architektur, die die Lichtinstallationen Michael Suhrs im Lauf des Abends in wechselnde Beleuchtungen zwischen kosmisch-kaltem Blau und „liebesglühendem“ Rot tauchten. Eine eindrucksvolle, ästhetisch ansprechende mediale Erweiterung, die den spirituellen Anspruch des Ganzen suggestiv verstärkte.
Der rote Faden im Werk Burggrabes, der auch das Libretto erstellte, ist die im Matthäus-Evangelium überlieferte Geschichte der „Weisen aus dem Morgenland“ – naheliegend, die Kathedrale wurde schließlich gebaut, weil man dem prachtvollen und intensiv bepilgerten Dreikönigenschrein eine würdige Raumrahmung geben wollte. Sie wird von einer „Erzählerin“ (dem „Testo“ des „klassischen“ Oratoriums) vorgetragen. Interludien, Chöre, Choräle, Arien und Sprechpartien füttern das Gerüst aus. Die Texte stammen nicht nur aus der Bibel, sondern auch von Autoren wie Augustinus, Karl Rahner, Marie Luise Kaschnitz, Dorothee Sölle und Rainer Maria Rilke. Die Könige erscheinen in diesem Kontext als zur Nachfolge einladende Gottsucher.
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Nun stellt die überhallige Akustik der Kathedrale besondere Anforderungen an Komponisten – man kann hier nicht alles singen und spielen. Schnelle Tempi rühren einen Einheitsbrei an, in dem alles mit allem zusammenklingt, und überkomplexe Strukturen gehen rettungslos verloren. Beide Fehler vermeidet Burggrabe mit Glück, und die einzelnen Klanggruppen konnten sich, zumal sie offenkundig sorgfältigst einstudiert worden waren, optimal präsentieren und entfalten. Textverständlichkeit? Nun ja, da waren erwartungsgemäß Abstriche zu machen. Klangschön und durchsetzungsfähig agierten die Solisten Theresa Klose, Elvira Bill, Wolfgang Klose, Konstantin Paganetti und Thomas Laske. Die Konzertmeisterin des Kammerorchesters steuerte ebenfalls manch gewinnendes Solo bei. Als Sprecherin erfreute die Dortmunder „Tatort“-Kommissarin Anna Schudt.
Eine kompromisslos moderne Musik passt schlicht und einfach nicht zu diesem Thema
Etwas befremden mochte immerhin die Faktur der Musik, die zwar Anleihen beim Gregorianischen Choral wie beim Jazz nicht scheut und ins Instrumentarium wirkungsvoll-exotisches wie Gong, Glocken und Marimbaphon integriert, in der Harmonik wie überhaupt in der klangsakralen Anmutung aber über Mendelssohn nicht hinausgeht. Da fehlt nur noch eine waschechte Chorfuge (eine Anlehnung an Bachs Weihnachtsoratorium wird allerdings vermieden).
Wer freilich fassungslos darüber wird, dass man heutzutage noch so komponieren kann, dem sei, wohl auch im Sinne Burggrabes, entgegengehalten: Eine kompromisslos moderne Musik auf der Spur einer Negationsästhetik à la Adorno passt schlicht und einfach nicht zu diesem „positiv-religiösen“ Thema. Das die Kirche ausfüllende Publikum, das am Ende begeistert applaudierte, hätte sie wohl auch kaum goutiert.