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Vor genau 200 JahrenWie Goethe dem Kölner Karneval auf die Beine half

Lesezeit 4 Minuten
Johann Wolfgang von Goethe, Portrait, Doppelstandbild Goethe-Schiller-Denkmal, Bildhauer Ernst Rietschel, Weimar

Johann Wolfgang von Goethe

Erst seit 200 Jahren wird der Kölner Karneval in seiner heutigen Form gefeiert. Dabei hatte sogar Goethe seine Finger im Spiel.

Goethe ist immer für Überraschungen gut. Eine davon betrifft den Kölner Karneval. Der wurde im Jahr 1823 von einer eigens gegründeten Gesellschaft gutsituierter und wohl gebildeter Bürger reformiert. Man wollte weg vom leicht chaotischen Straßenfest, von „Ausgeburten der Trivialität“, wie ein zeitgenössischer Kritiker monierte, hin zu künstlerisch Gehobenem, wofür als Vorbild Italien stand. In Rom, Venedig, Florenz rollten seit langem festliche Wagen durch die Straßen, mit prächtig Kostümierten. Die Grundidee des Karnevals vom Umsturz der Ordnung für ein paar Tage hatte kultivierte Formen gefunden. Ob das nun eine gute Idee für Köln war oder nicht: Wenn die Initiative den Start überleben wollte, musste Hilfe her.

Und dabei kommt Goethe ins Spiel. Der Weimarer Geheimrat kannte die italienische Variante, hatte sie 1788 in seinem Essay Das römische Carneval ausführlich beschrieben. Dann besuchte Goethe 1815 Sulpiz Boisserée in Köln, begeisterte sich für dessen Rettung mittelalterlicher Kunst und vor allem das Projekt der Vollendung des Doms, unterstützt von großartigen Rissen. Er blieb mit ihm im Briefkontakt und erfuhr so, dass 1823 die Dombauhütte neu gegründet wurde. Und im selben Jahr eine Karnevalsgesellschaft.

Dom und Karneval – „ein heiterer Zufall“

Was wohl kaum jemandem in den Sinn gekommen wäre, Goethe brachte die beiden Ereignisse zusammen und schrieb einen kleinen Beitrag, den er in seiner eigenen Zeitschrift Über Kunst und Altertum 1824 veröffentlichte: Das Cölner Karneval. Da liest man dann verdutzt, der Zusammenfall von Dom und Karneval sei zwar ein „heiterer Zufall“, so wie das Nebeneinander von Elefant und Ameise, aber dieser Zufall sei doch nicht ohne. Ob „großartigstes Werk“ oder „flüchtigstes, augenblicklichst vorüberrauschendes Erzeugnis“: beides habe etwas „organisch“ in sich „Abgeschlossenes“.

Vielleicht stöhnt man heute auf, angesichts der verschrobenen Formulierung. Aber in Köln witterte man Morgenluft. Ein Mitglied der Karnevalsgesellschaft, das Goethe vom Boisserée-Kreis her kannte, schrieb kurzerhand eine gereimte Einladung zum Rosenmontagsfest von 1825 an den mittlerweile 75-Jährigen in Weimar. Der saß gerade an der Vorbereitung seiner Werkausgabe, dachte über den Panamakanal sowie vieles andere nach. Und dann das: Goethe lehnte zwar den Besuch ab, aber schickte stattdessen ein Gedicht. Als der Eilbote rechtzeitig vor dem Rosenmontag damit in Köln eintraf, war der Jubel groß.

Goethe schickte Köln ein Gedicht zum Rosenmontag

Also ein Gedicht, ein nicht ganz einfaches. Schon der Titel hat einen Widerhaken: Der Kölner Mummenschanz. Es ging Goethe um den Kern der Reform, den Maskenzug oder, wie er formulierte: die Mummenschanz. Ja, „die“, denn Mummenschanz (von französisch chance, einem Spiel) ist Femininum, das „der“ ist als Genetiv Plural zu lesen, also: Mummenschanz der Kölner, nur poetisch umgedreht – wenige Jahre später hat Goethe im zweiten Teil seines Faust „eine“ grammatisch korrekte Mummenschanz eingebaut.

Und der Inhalt? Ganz einfach ist auch der nicht zu verstehen. Es beginnt mit einer Umschreibung des Sprichworts, dass Alter nicht vor Torheit schützt. Dann ist die Rede von der „Mummenschar“, die sich in Köln „zum Gefecht rüstet“. Was erstens auch alten Leuten wie ihm wohl anstehe und zweitens seine persönliche Verbindung mit Köln „ganz verträglich“ mache. Sektkorken in Köln! Worauf die Strophe folgt, die in den Sprichwortschatz einging, beginnend mit: „Löblich wird ein tolles Streben / Wenn es kurz ist und mit Sinn ...“ Also typisch alter Goethe, mit liberaler Grundeinstellung nebst der Aufforderung, die Kirche im Dorf zu lassen.

Die Kölner haben den Wert dieses Gedichts erkannt

Aber dann eine Merkwürdigkeit anderer Art. Natürlich haben die Kölner den Wert dieses Gedichts erkannt und es am 9. Februar 1825 in einem Extrablatt der Kölnischen Zeitung veröffentlicht. Wer in die späteren Gesamtausgaben blickt, findet allerdings eine Variante mit komplett weiterer Strophe. Darin stützt der Dichter seine These, dass auch den Alten „das Irren“ wohl anstehe, durch den Bezug auf Erasmus von Rotterdam und Ulrich von Hutten.

Bei Erasmus ist das harmlose Lob der Torheit gemeint, bei von Hutten dessen grober Angriff auf „Obskure“ in den Dunkelmännerbriefen, was sich in Zeiten des Humanismus gegen die stockkonservativen Kölner Dominikaner richtete – in Köln ein heißes Eisen. Diese Strophe steht in zwei fast gleichzeitigen Veröffentlichungen des Gedichts, wohlweislich nicht in der Kölner Fassung. Deshalb war dort auch kein Zensor aktiv, wie die 143-bändige Sophien-Ausgabe behauptete, der allerdings kein handschriftliches Original vorlag – es war schlicht vorsorgliche Selbstzensur.

Viel Aufwand jedenfalls vom Dichterfürsten für Köln und dessen Karneval. Auch wenn es das Gedicht nicht in gängige Werkzusammenstellungen wie etwa die Hamburger Ausgabe geschafft hat: In Köln ist es eingeschlagen, das Extrablatt hat es verbreitet, es wird für einen Augenblick in aller Munde gewesen sein. Und den Ideen der Karnevalsgesellschaft durchaus auf die Beine geholfen haben.