Köln – Silbrige Zitherklänge umschmeicheln den Besucher bereits beim Eintritt ins Staatenhaus, das Ausweichquartier der Kölner Oper. Deren Intendantin Birgit Meyer hält stilgerecht im Dirndl Hof. Auf der Herrentoilette bietet sich dem Blick des Operettenfreundes das Panorama einer malerischen Alpenkulisse dar. Es ist nicht schwer zu erraten, welchem Objekt all diese liebevollen Bemühungen gelten: An der Kölner Oper hat Ralph Benatzkys „Im weißen Rössl“ Premiere, das Kultstück jener silbernen Operettenära, die sich in den 20er und 30er Jahren vehement, aber letztlich erfolglos dem Siegeszug des Kinos entgegenstemmte.
Das 1930 uraufgeführte Singspiel hat eine faszinierende Karriere erlebt, die viel über die wechselvolle Geschichte des Genres selbst aussagt. Was ursprünglich als rotzfreche, temporeiche Revue-Operette unter starkem Einfluss des Jazz und amerikanischer Modetänze angelegt war, wurde nach dem Krieg zum harmlosen Rührstück im Heimatfilmformat verunstaltet. Dass viele Theater inzwischen zum „Ur-Rössl“ zurückgefunden haben, daran ist zum einen die Wiederentdeckung der konturenscharfen Original-Instrumentierung verantwortlich, zum anderen aber auch ein harter Bruch in der Aufführungstradition: Die legendäre Produktion der Berliner Bar jeder Vernunft (1994) hatte dem Stück den Nachkriegsmief gründlich ausgetrieben und damit auch den ebenso witzigen wie anzüglichen Gesangstexten Robert Gilberts wieder zu ihrem Recht verholfen. Wer heute über das „Weiße Rössl“ spricht, denkt nicht mehr zuerst an Peter Alexander und Waltraut Haas, sondern an Ursli Pfister und Fräulein Schneider.
Viel Raum für erotisches Tauziehen
Die neue Kölner Produktion, von Oberspielleiterin Eike Ecker inszeniert, trägt diesem gewandelten Blick durchaus Rechnung. Was Darko Petrovic in den Saal 2 des Staatenhauses gebaut hat, ist keine bunte alpine Postkartenidylle, sondern eine eher nüchterne, kreisrunde und drehbare Revuebühne, die links von der Hotelfassade, rechts vom Kuhstall begrenzt wird. Im Hintergrund erstreckt sich ein Bergkamm; davor sitzt das abgespeckte Gürzenich-Orchester, das mit Banjo-Rhythmen und samtigem Saxofon-Sound einen Hauch nostalgischer Broadway-Atmosphäre verbreitet.
„Rössl“-Aufführungen können gut und gern ihre dreieinhalb Stunden dauern, was die dünne Story aber trotz aller liebgewordenen Trashnummern und Schenkelklopfer kaum hergibt. Eike Ecker hat das redselige Stück auf eine Spieldauer von netto zwei Stunden gekürzt und damit beinahe schon des Guten zu viel getan. Das erotische Tauziehen zwischen der Rössl-Wirtin Josepha und ihrem Oberkellner Leopold nimmt zu Recht breiten Raum ein, drängt aber das Beziehungsgeflecht von konkurrierenden Berliner Trikotagen-Fabrikanten, ihren Sprösslingen und Rechtsvertretern ein wenig an den Rand. Immerhin stehen am Ende drei Liebespaare auf der Bühne – farblich Ton in Ton; dafür sorgen Ulrich Schulz’ fantasievolle und aufwendige Kostüme.
Gute Balance zwischen Spielhandlung und Revue-Einlagen
Eike Ecker findet eine gute Balance zwischen Spielhandlung und Revue-Einlagen, auch Giorgio Madias Choreographie mit ihren knackigen Lederhosen-Boys und einem Ballett dreieutriger Kühe hat der Schaulust einiges zu bieten. Nur beinhalten solche Mittel zugleich auch eine Verpflichtung zu angezogenem Tempo und schnellen Schnitten – aber leider sind sowohl szenisch als auch musikalisch etliche Spannungslöcher zu verzeichnen. Dirigent Uwe Theimer, eigentlich ein alter Hase im Metier, kommt in den Ensembles nicht vom Fleck, steht den Sängern im Weg, lässt die Koordination teils völlig aus dem Ruder laufen. Das bremst selbst ausgebuffte Operetten-Profis wie Claudia Rohrbach (Josepha) und Martin Koch (Leopold), die indes ausgezeichnet singen und auch ein sympathisches Paar bilden – sie mit burschikoser Herzlichkeit, er mit leicht kragensteifem Charme.
Stückbrief
Musikalische Leitung: Uwe Theimer
Inszenierung: Eike Ecker
Bühne: Darko Petrovic
Kostüme: Ulrich Schulz
Choreographie: Giorgio Madia
Darsteller: Claudia Rohrbach, Martin Koch, Matthias Friedrich, Jutta Maria Böhnert, Michael Siemon, Miljenko Turk, Maike Raschke, Bert Oberdorfer, Nikolaas von Schrader u.a.
Spieldauer: 2 1/2 Stunden, eine Pause
Weitere Aufführungen:
13., 16., 19., 22., 25., 27., 29., 31. Dezember; 05., 10., 13., 18., 20., 27. Januar
Dass der Abend nach der Pause mehr in Fahrt kommt, ist vor allem Miljenko Turk zu danken, der als „schöner Sigismund“ mit Falco-Imitation und knallroter Tolle eine echte Luxusbesetzung ist. Matthias Friedrich gibt den Fabrikanten Giesecke als saftiges Berliner Original; Jutta Maria Böhnert ist seine leicht unterkühlte Tochter Ottilie, Michael Siemon zeigt als deren Verehrer Dr. Siedler tenorales Format. Unter den komischen Chargen ragen Nikolaas von Schrader als quirliger Piccolo und Maike Raschke als liebenswert lispelndes Klärchen hervor – und natürlich Bert Oberdorfer, der die abgeklärten Lebensweisheiten des Kaisers Franz Joseph mit würdevoller Senilität vom Stapel lässt.