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Kommentar

Kommentar Lügde
Es wurde Zeit, dass die Landesregierung endlich aus dem Sattel kommt

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Lesezeit 3 Minuten
Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hängt vor dem versiegelten Campingwagen des Haupttäters eine Banderole mit der Aufschrift: „Polizeiabsperrung“.

Auf dem Campingplatz in Lügde wurden Kinder und Jugendliche teilweise über Jahre hinweg missbraucht.

Kommentar zur immer noch ausstehenden Entschädigung der im westfälischen Lügde sexuell missbrauchten Kinder. Die Politik hatte die Betroffenen aus den Augen verloren.

Es wurde auch Zeit, dass die NRW-Landesregierung bei der Entschädigung der in Lügde missbrauchten Kinder endlich aus dem Sattel kommt. Und es war längst überfällig, dass Sozialminister Karl-Josef Laumann eine entsprechende Ansage in Richtung des für die Bearbeitung der Anträge zuständigen Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe schickt.

Dass über die Anträge noch nicht entschieden wurde, ist eine Schande. Und wenn die rechtlichen Vorschriften tatsächlich so sein sollten, dass bisher noch keine Entscheidungen getroffen werden konnten, ist die Schande umso größer. Normalerweise freut man sich als Journalist, wenn Artikel etwas anstoßen. Bestenfalls sogar dabei helfen, einen Missstand zu beheben. In diesem Fall aber, in dem es um übelst geschädigte Kinder geht, verstört die Tatsache, dass Politik und Regierung die noch fehlende Entschädigung erst nach einem Artikel im „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf die Tagesordnung gehievt haben.

„Ein Politikbetrieb wie in einer Blase“

Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass den Verantwortlichen die Hilfe für die geschundenen Jungen und Mädchen, von denen wohl nicht wenige ein Leben lang mit den Folgen des Missbrauchs zu kämpfen haben werden, besonders am Herzen liegt. Trotzdem haben sie die Betroffenen aus den Augen verloren. Trotz aller Beteuerungen, Ankündigungen und Statements voller Empathie. Und trotz eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der unbestreitbar zahlreiche Skandale sowie kaum nachvollziehbare Versäumnisse der Behörden ans Licht zerrte, ohne die die Tortur der Kinder deutlich hätte verkürzt werden können.

Während im Landtag also heftig diskutiert und nach den verhängnisvollen Fehlern gesucht wurde, prüften die Beamten des Landschaftsverbandes die „Bedürftigkeit“. Und sie prüften und prüften. Dass sie bis heute, vier Jahre nachdem die Lügde-Täter enttarnt wurden, immer noch nicht zu Potte gekommen sind, blieb in Düsseldorf unbemerkt. Ein Politikbetrieb wie in einer Blase, gefangen in seinem selbst gestellten Aufklärungsauftrag. Auf knapp 3.000 Seiten fasste der Zwischenbericht des U-Ausschusses am Ende der vergangenen Legislaturperiode zusammen, wie etwa Jugendämter über Jahre versagten, die sexualisierte Gewalt in Lügde zu beenden. Die Frage, wie es den Kindern denn heute wohl geht, wurde dabei genauso offensichtlich wie unverständlicherweise vernachlässigt – falls sie überhaupt gestellt worden ist.

Auf der Suche nach den Fehlern im System

Das Opferentschädigungsgesetz wurde vom Gesetzgeber bundesweit reformiert. Die Neuregelungen, die unter anderem zu einer kürzeren Antragsbearbeitung führen sollen, treten am 1. Januar 2024 als „Soziales Entschädigungsrecht“ bundesweit in Kraft. Experten fürchten, dass durch die Reform noch lange nicht alle Probleme behoben wurden. Mit ihrem Wunsch, die Abläufe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe auf Antrag der SPD noch einmal genau zu analysieren, beweisen die nordrhein-westfälischen Landtagsfraktionen ein gesundes Misstrauen. Sollten weitere Fehler im System gefunden werden, sollte NRW im Bundesrat auch auf weitere Verbesserungen der Gesetzgebung pochen.