Düsseldorf – Schwarz-Grün entpuppe sich als „eine Koalition der Zumutung“, das Bündnis habe keine Antworten auf wichtige gesellschaftliche Fragen, mangelnde Bekenntnisse der Koalitionäre wie etwa zum Erhalt des Braunkohledorfes Lützerath oder dem „Tarifvertrag Entlastung“ für die nordrhein-westfälischen Unikliniken seien „fatale Zeichen“: Die Grüne Jugend in NRW bläst zum Aufstand und empfiehlt der eigenen Partei, den schwarz-grünen Koalitionsvertrag bei der Delegiertenversammlung am Samstag in Bielefeld abzulehnen.
Am Donnerstag hatten Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und die Landeschefin der Grünen, Mona Neubaur, die Ergebnisse nach gut dreiwöchigen Verhandlungen präsentiert. Am Samstag entscheiden Parteitage beider Seiten, ob es auf dieser Grundlage tatsächlich zur ersten schwarz-grünen Koalition des Landes kommen wird.
Kritik von Klimaschutzaktivisten
Von Klimaschutzverbänden und -aktivisten kommt ebenfalls massive Kritik am Koalitionsvertrag. Fridays for Future kündigte für den Herbst „geballten Widerstand der Klimabewegung“ an, falls die neue Landesregierung das Dorf Lützerath im Rheinischen Revier nicht vor dem Abbaggern rette. Die NRW-Sprecherin von Fridays for Future, Pauline Brünger, sagte, es mache sie „fassungslos, dass sich die neue Regierung auf keinen konkreten Pfad zur Klimaneutralität einigen konnte“.
Ob das Pariser Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung erreicht werde, hänge auch davon ab, „wie ambitioniert Schwarz-Grün um Lützerath kämpfen wird“. Die Aktivistin warnte: „Schon jetzt haben Tausende Menschen angekündigt, sich im Falle einer Räumung der Zerstörung in Lützerath selber in den Weg zu stellen.“
Ungerechtigkeit in NRW werde kaum angegangen
Auch der Grünen-Nachwuchs formuliert seinen Protest deutlich. Zwar gebe es auch einige wenige Erfolge der Verhandlungen, etwa die Absenkung des Wahlalter auf 16 Jahre oder die geplante Abschaffung der pauschalen Mindestabstände für Windräder, bewertete Landessprecherin Nicola Dichant am Freitag das 146 Seiten starke Vertragswerk. „Die massiven Ungerechtigkeiten in NRW aber werden kaum angegangen“, so Dichant zum „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dabei wäre eine „echte soziale Wohnungspolitik mit einer flächendeckenden Mietpreisbremse das Mindeste gewesen“.
Es sei „unverständlich, dass das Bündnis, gerade im Angesicht der Inflation, kein Programm zur finanziellen Bekämpfung von Armut“ vorgelegt habe. Zudem gebe es keinen „konkret vereinbarten Fahrplan zur Klimaneutralität“, so Dichant: „Noch nicht einmal ein Zieljahr wird genannt, statt konkreter Maßnahmen finden sich schwammige Formulierungen im Vertrag.“
Innenpolitik als repressiv kritisiert
Regieren dürfe aber „kein Selbstzweck sein“, ergänzt Rênas Sahin, ebenfalls Landessprecher der Grünen Jugend. Auch in der Innenpolitik biete das Verhandlungspapier „keine Veränderung zum repressiven Kurs der CDU“. Das sei für den linken Jugendverband „nicht akzeptabel“, so Sahin. „Im Koalitionsvertrag wird erfolglos versucht, gegensätzliche Interessen zusammenzuführen, man will das eine tun, ohne das andere zu lassen.“
Schon bei der Abstimmung beider Parteien über ein erstes kurzes Sondierungspapier Ende Mai hatte die Grüne Jugend ihren Mitgliedern Enthaltung empfohlen. Bei sieben Enthaltungen hatten die rund 100 Delegierten aber ansonsten einstimmig - wie bei der CDU - für schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen gestimmt. Auch am Samstag wird von beiden Parteien ein starkes Signal für Schwarz-Grün erwartet. Wüst, derzeit noch Chef einer schwarz-gelben Regierung, könnte dann am Dienstag im Düsseldorfer Landtag mit schwarz-grüner Mehrheit als Ministerpräsident wiedergewählt werden.
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Bei ihrem Landesparteitag in Bielefeld wählen die Grünen zudem eine neue Parteispitze. Die bisherigen Vorsitzenden Felix Banaszak und Mona Neubaur kandidieren nicht erneut. Banaszak, der seit 2018 im Amt war, will sich künftig auf seiner Arbeit im Bundestag konzentrieren. Neubaur wechselt auf die Regierungsbank und wird Vize-Ministerpräsidentin von NRW. Sie war seit 2014, also schon in der Regierungszeit von Rot-Grün, Grünen-Chefin in NRW.
Zebek und Achtermeyer bewerben sich als Grünen-Chefs
Um die Nachfolge wollen sich die beiden Kommunalpolitiker Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer bewerben. Zeybek ist Fraktionschefin der Grünen in Wuppertal. Die 35-Jährige hat türkische Wurzeln, ihre Eltern sind 1985 als politische Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Die Politikwissenschaftlerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal.
Tim Achtermeyer ist Fraktionschef der Grünen in Bonn und arbeitet bei einem Software-Unternehmen. Der 28-Jährige war früher Sprecher der Grünen Jugend. Er sucht den Dialog mit der Jugendorganisation, der der Koalitionsvertrag nicht weit genug geht. "Im Fall Lützerath gibt es leider eine klare Rechtslage. Die Zukunft kann nur in Verhandlungen mit RWE geklärt werden. Der Auftrag der nächsten Landesregierung wird es sein, diese Verhandlungen jetzt schnellstmöglich zu führen und eine auf den Kohleausstieg 2030 angepasste Tagebauplanung vorzulegen."