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Kritik am LockdownKölner Wissenschaftler fordern Kurswechsel in Corona-Politik

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Lockdown, bis die Zahlen deutlich sinken? Prof. Matthias Schrappe hält diese Strategie für falsch. (Symbolbild)

Köln – In einem neuen Thesenpapier kritisieren neun anerkannte Wissenschaftler die Corona-Politik der Bundesregierung scharf. Die Gruppe um den Mediziner Matthias Schrappe, Professor an der Universität zu Köln, schreibt in ihrem siebten, 111-seitigen Thesenpapier: „Die Lockdown-Politik ist für die vulnerablen Gruppen wirkungslos.“ Beteiligt ist auch Professor Holger Pfaff vom Kölner Institut für Medizinsoziologie. Gefordert wird ein konsequenter Schutz der Risikogruppen. Wir haben Matthias Schrappe zu den Vorschlägen befragt und erklären die Positionen der Autoren zu den Themen Lockdown, Risikogruppen, Lockerungen und Virus-Mutationen im Einzelnen.

Lockdown

Schrappe warnte bereits Ende November vor einem „unendlichen Lockdown“, das Ziel einer Inzidenz von unter 50 bezeichnete er als „irreal“. Nach der Entwicklung der letzten Wochen sieht sich seine Autorengruppe im Recht. „Wir stehen in der Pandemie-Bekämpfung nur auf einem Bein – dem Lockdown“, sagt Schrappe dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und: „Unsere Zahlen sagen, dass durch den Lockdown Infektionen bei mobilen Menschen verhindert werden, bei den Über-85-Jährigen aber kaum. Doch die Infektionen dort sind deutlich tödlicher.“

Seine Forderung: Den harten Lockdown überdenken, Risikogruppen besser schützen. Befürworter des Lockdowns halten dagegen, dass eine geringere Infektionslast auch das Infektionsrisiko für Ältere minimiert. Corona ist ein Riesenproblem“, erklärt Schrappe. Eines, mit dem kein Land ohne harten Lockdown fertig wurde. „Es ist aus unserer Sicht denkbar, dass wir uns global irren. Kein Land schützt die Risikogruppe ausreichend“, sagt Schrappe.

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Risikogruppen

Schrappe (65), von 2005 bis 2011 als wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung tätig, schwebt ein hocheffektiver Schutz der älteren Gruppen vor. „Unsere Botschaft ist: Richtet möglichst schnell flexible Einsatzgruppen ein, mit Schutzmasken, Tests und Know-how, die von Altersheimen im Infektionsfall sofort kontaktiert werden können.“ Das, sagt Schrappe, würde an Heimen „viele Todesfälle verhindern.“

Wegsperren wolle auch er die Älteren nicht, vielmehr seien „Kirchen, Sozialverbände und Angehörige sind in der Pflege des sicheren Kontakts gefragt. Aber sie brauchen politische Unterstützung.“ Man hätte „im Mai mit der Entwicklung umfassender Konzepte für Pflegeheimen beginnen müssen“. Doch die Politik habe sich in den vergangen Monaten „leider beratungsresistent bezeigt“, so Schrappe. Entscheidend sei, dass die Risikogruppen „endlich zur politischen Priorität werden.“

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Zudem brauche es auch große Investitionen in Pflegedienste „damit die Pfleger überhaupt Zeit für PCR-Schnelltests haben – bei sich und bei den Menschen, die sie betreuen.“ Auch müsse man die ältere Menschen, die alleine wohnten, in die Lage versetzen, Besuch zu empfangen, sonst geschehe „genau das ohne ausreichenden Schutz“. Für diesen Zustand sei die Bundesregierung verantwortlich.

Lockerungen

Wir müssen unsere politischen Instrumente dort einsetzen, wo sie den größten Ertrag bringen – und das ist im Bereich der Älteren“, sagt Schrappe. Anschließend könne man schauen, ob die Notwendigkeit eines harten Lockdowns für alle noch besteht: „Sollten wir die Älteren tatsächlich effizient schützen, was unserer Ansicht nach möglich ist, wäre der Lockdown in der gegenwärtigen Ausprägung und Härte wohl nicht mehr verhältnismäßig.“

Schrappe argumentiert mit den geringen Todeszahlen bei jüngeren Menschen. Bei den 60-69 Jährigen, die in einer engen Definition nicht zur Risikogruppe gehören, meldete das Robert-Koch-Institut in den vergangenen Wochen Sterblichkeitsraten zwischen 1,5 und 3,3 Prozent. Schrappe sagt dazu: „Man muss immer abwägen, das tun wir auch an den Schulen zugunsten der Bildung.“

Impfungen

„Natürlich ist es gut, dass nun endlich geimpft wird“, sagt Schrappe. Er sogt sich gleichwohl davor, dass die Impfstoffe zwar vor Erkrankungen, nicht aber vor Infektionen schützen. Es brauche dringend weitere Analysen der vorhandenen Daten sowie neue Informationen zu den einzelnen Impfstoffen.

Für besonders schwierig hält der Internist die anstehende Impfkampagne: „Noch stehen wir bei vergleichsweise banalen Frage der Beschaffung und Verteilung. Aber stellen wir uns einmal vor, es gäbe verschiedene Impfstoffe. Wie legen wir fest, wer welchen bekommt? Wir wird diese Festlegung politisch kommuniziert?“ Das müsse eher heute als morgen geklärt werden.

Mutationen

Die in Großbritannien bereits weit verbreitete, neue Variante von Sars-Cov-2 bereitet Schrappe derzeit „keine ganz großen Sorgen“. Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Impfstoffe dagegen nicht wirkten.

Man könne mit einer Kreuzimmunität rechnen – wer also immun ist gegen eine Corona-Variante, könnte es auch gegen eine andere sein. Doch auch hier gebe es derzeit zu wenige Daten. Schrappe schlägt eine Studie vor, in der Wissenschaftler die Virus-Varianten und deren Verbreitung in einer Stadt analysieren, um weitere Schlüsse zu ziehen.