Schutzraum für MännerJedes dritte Opfer von häuslicher Gewalt ist männlich
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Kreis Aachen – Gleich nach den Feiertagen hatte NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach zum Ortstermin gebeten – ab Januar soll in einem der ländlicheren Bereiche des Bistums Aachen eine Männerschutzwohnung bereitstehen, es ist die dritte in Nordrhein-Westfalen.
Der Sitz ist ein ehemaliges Klostergebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert mit einem kleinen Park mit Rundgang, einer ausreichend großen Zahl an Zimmern, platzsparend steilen Treppen und einem behindertengerechten Aufzug, sodass auch Menschen mit Handicap die Räume nutzen können. Eine schöne Anlage, vier Männer sollen hier unterkommen, auch für Kinder ist Platz.
Die Dringlichkeit für solche Einrichtungen ist hoch. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2020 in NRW erfasste 32.705 Opfer vollendeter und versuchter Delikte von häuslichen Gewalt – 22.905 der Opfer waren weiblich (70,0 Prozent). Um die nötige Aufmerksamkeit auf dieses gesellschaftliche Drama zu lenken, rief Ministerin Ina Scharrenbach rund um den 40. Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2021 eine landesweite Aktionswoche aus.
Der zweite Teil der Polizeilichen Statistik aber ist im öffentlichen Bewusstsein weniger präsent: 9800 der gemeldeten Opfer in 2020 waren Männer – das waren 30 Prozent der gemeldeten Fälle.
Während für betroffene Frauen in der Vergangenheit ein Netz aus notwendigen Hilfs- und Beratungsangeboten geschaffen wurde und weiter ausgebaut wird, steht eine vergleichbare Infrastruktur für Männer noch ziemlich am Anfang. Im Raum Düsseldorf ist zwischen Juni und Dezember 2020 die erste Schutzwohnung mit vier Plätzen fertiggestellt worden– im Schnitt bleiben die Betroffenen 90 Tage in der Enrichtung.
Das Angebot war kontinuierlich belegt – im Laufe der Zeit waren 19 Männer und 6 Kinder untergebracht, 73 Anfragen waren eingegangen. Seit März 2021 ist auch eine Schutz-Unterkunft mit vier Plätzen im Raum Köln in Betrieb – bisher konnten 11 Männer untergebracht werden.
Neben dem Aachener Projekt soll im Raum Münster ein weiterer Schutzraum im Laufe des Frühjahrs 2022 hinzukommen – in NRW würden dann 16 Plätze für Männer zur Verfügung stehen.
Infrastruktur für Frauen wächst
Die Infrastruktur für betroffene Frauen ist ungleich besser ausgebaut: Die Zahl der geförderten Plätze in Frauenhäusern stieg von 571 im Jahr 2017 auf 630 im Jahr 2021. Im neuen NRW-Haushalt sind für Hilfsangebote an Frauen 22 Millionen Euro eingesetzt, für Männer wird es in 2022 eine Million sein. Zu wenig? „Ja“, sagt die Ministerin, „aber wir gehen diesen Weg jetzt – mit allen Trys and Errors, die uns begegnen.“ Wesentlich sei dies: „In Nordrhein-Westfalen haben von Gewalt betroffene Männer einen Platz. Es ist wichtig, das Thema nicht zu tabuisieren, sondern echte Hilfe anzubieten.“
Impulse aus NRW und Bayern
In der Tat hatte NRW mit seinen Maßnahmen bundesweit Neuland betreten. Ina Scharrenbachs Amtskollegen in Bayern fanden die Ideen überzeugend und sind ebenfalls aktiv geworden. Inzwischen habe der nordrhein-westfälische Umgang mit dem Thema eine „große Impulskraft“ entwickelt, erzählte die Ministerin bei dem Aachener Termin. In Sachsen gebe es bereits drei Männerschutzwohnungen und auch Baden-Württemberg habe nachgezogen mit einem Projekt im Raum Stuttgart.
Das Problem ist gesellschaftlich nicht einzugrenzen. Manfred Höges leitet das Düsseldorfer Zentrum. „Die Fälle lassen sich nicht kategorisieren“, sagt er. Die 19 Männer, die er betreut hatte, waren im Alter von 22 bis 66 Jahren, es waren alle Alters-, Bildungs und Religionsgruppen vetreten. „Es geht um soziale Gewalt, um psychische, physische und sexualisierte Gewalt“, berichtet er, „Männer werden häufiger mit Gegenständen geschlagen.“ Die Gewalt gehe meist von Frauen aus, in homosexuellen Bindungen aber eben auch von Männern und es gebe Fälle, in denen die Bedrohungen von einer Gruppe ausgehe.
Eine der Besonderheiten bei betroffenen Männern beschreibt Höges so: „Die Gewalt wird häufig nicht als solche wahrgenommen oder sie wird verdrängt.“ Im Hintergrund spiele dabei die Sorge vor der gesellschaftlicher Reaktion eine Rolle. „Ein Mann wird zweimal zum Opfer“, sagt Höges, „einmal durch die Tat an sich und ein weiteres Mal durch die abschätzige Bewertung durch die Umwelt.“
Wichtig ist, dass die Schutzwohnungen in einem „anonymen, sicheren und gewaltfreien Rahmen“ angeboten werden. Die Anonymität etwa ist wichtig, weil nicht nur Frauen versuchen, ihre Partner aus geschützter Unterbringung zurückzuholen. Manche Männer flüchteten vor Zwangsheirat oder weil ihre sexuelle Orientierung nicht akzeptiert wird – da brauche es Schutz vor religiös motivierten Repressionen .
In dem ehemaligen Kloster wird der schmucke frühere Kapellenraum erhalten bleiben als Andachtsraum. Stephan Buttgereit, Generalsekretär des Bundesverbands Sozialdienst Katholischer Männer, erklärte: „Wir versuchen das als Meditationsraum für Männer aller Religionen anzubieten. Ob und wie das Angebot angenommen wird, werden wir sehen.“
Im November erst war klar, dass das Haus zur Verfügung stehen würde; die Möbel sind bestellt, einiges ist schon einsatzbereit – die Küche wird von den Vorgängerinnen übernommen und es gibt einen Gemeinschaftsraum. Neben einem Sozialarbeiter, der als Ansprechpartner dient, aber nicht im Haus wohnt, kümmert sich eine hauswirtschaftliche Hilfe um den Alltag in den ehedem heiligen Mauern. Das, so erzählt Buttgereit, sei eine der Hoffnungen der Nonnen gewesen – dass das Haus weiterhin sinnvoll für soziale Zwecke genutzt werden möge.„Gelungen“, sagte Ministerin Ina Scharrenbach.