Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Volker Wissing„Das Deutschlandticket ist eine Riesenchance“

Lesezeit 4 Minuten
Volker Wissing, noch amtierender Bundesverkehsminister, spricht in einem Interview über die Rosenmontags-Motivwagen. (Archivbild).

Volker Wissing, noch amtierender Bundesverkehsminister, spricht in einem Interview über die Rosenmontags-Motivwagen. (Archivbild).

Als Verkehrsminister hat Volker Wissing für die Bahn einiges aufs Gleis gesetzt. Jetzt warnt er davor, Generalsanierung und Deutschlandticket infrage zu stellen.

Herr Wissing, heute früh konnte man aus dem verspäteten Pendlerzug einen Blick auf den Stau auf der Berliner Stadtautobahn werfen, der durch die Sperrung einer maroden Brücke ausgelöst worden ist. Kommt das Geld im Infrastrukturfonds nicht schon viel zu spät?

Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn man auch in den vergangenen Legislaturen kontinuierlich mehr in die Infrastrukturen investiert hätte. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen, sondern muss in die Zukunft schauen und überlegen, was man künftig besser machen kann. Ich begrüße, dass man mit dem Sondervermögen für Infrastruktur nun einen großen Schritt gehen möchte.

Mehr als drei Jahre mussten Sie Christian Lindner um Geld für Infrastruktur anbetteln. Jetzt fließen die Milliarden. Wie waren Ihre Empfindungen am Dienstag, als auch Sie im Bundestag den Gesetzesänderungen zugestimmt haben?

Positiv, weil ich es richtig finde, dass man die Infrastrukturinvestitionen jetzt beherzter angeht. Aber es ist auch nicht so, dass wir keinen Beitrag geleistet hätten. Wir haben erstmals Sanierungskonzepte erarbeitet, mit denen wir viele überzeugt haben. Denn Geld allein reicht nicht aus. Als ich ins Amt kam, gab es bei der Bahn kein wirkliches Sanierungskonzept. Was ich vorgefunden habe, war: Flicken, wenn etwas kaputtgeht. Wir haben in der Legislatur dann ausreichend Mittel bekommen, um die Generalsanierung der Bahn anzufangen. Jetzt muss man dranbleiben.

Wie sind Sie zum Bahnminister geworden?

Dass wir ein so großes Infrastrukturproblem bei der Bahn haben, wurde erst bei der Bestandsaufnahme deutlich, die ich nach meinem Amtsantritt sofort veranlasst habe. Ich finde es wichtig, dass politisch Verantwortliche ihre Themen nicht nach persönlichen Neigungen aussuchen, sondern sich der Probleme annehmen, die da sind. Das hat in meiner Fraktion sicher auch zu einem gewissen Maß an Unzufriedenheit geführt, weil man es dort lieber gesehen hätte, wenn die Straße noch stärker im Fokus gewesen wäre. Aber die Bahn ist nun einmal eines der größten Probleme. Und das bin ich angegangen – das hat auch bei der Bahn den ein oder anderen überrascht.

Alles zum Thema Deutsche Bahn

Die Generalsanierung der Riedbahn war ein Vorzeigeprojekt und hat funktioniert. Berlin-Hamburg wird schon schwieriger. Wie schauen Sie darauf und auf die anderen anstehenden Projekte?

Natürlich ist jeder Korridor anders. Vor allen Dingen sind die Maßnahmen, die man ergreifen muss, um Ersatz- oder Umleitungsverkehre zu organisieren, jeweils andere. Manchmal haben wir kaum Alternativstrecken, manchmal sind sie sehr lang. Aber vom Grundkonzept her bleibt es dabei, dass wir alles runderneuern müssen, um die Störanfälligkeit aus den Hauptkorridoren rauszunehmen. Das Konzept funktioniert. Es ist umsetzbar und die Ziele – mehr Pünktlichkeit, weniger Störungen – werden erreicht. Deswegen rate ich dazu, bei dem Konzept zu bleiben, auch wenn es natürlich erst einmal eine Belastung für die Menschen in der Region und den Güterverkehr ist.

Was wird aus dem Deutschlandticket?

Das Deutschlandticket ist für den ÖPNV in Deutschland eine Riesenchance. Es ist der größte Modernisierungsschub der letzten Jahrzehnte und eine Digitalisierungsoffensive. Gleichzeitig ist es sehr attraktiv, weil es einlädt, den ÖPNV stärker zu nutzen als bisher. Und es ist eine Entlastung für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem im ländlichen Raum, denn dort ist der Entlastungseffekt besonders groß. Jetzt müssen weitere Schritte folgen. Zum Beispiel die digitale Erfassung der Fahrleistung, damit man die Einnahmen gerecht auf die Verkehrsträger verteilen kann. Und das Angebot muss weiter ausgebaut werden. Aber diese große Reform, die Millionen Haushalte finanziell enorm entlastet, auf der Strecke wieder abzubrechen, wäre Rückschrittspolitik. Vor dem Zorn der fast 14 Millionen Nutzerinnen und Nutzer kann ich nur warnen.

Manche sehen ein Problem darin, dass Netz und Betrieb unter dem Dach der DB AG zusammenbleiben. Sie nicht, oder?

Frühere Fehlanreize für die Deutsche Bahn, nicht in die Instandhaltung des Netzes zu finanzieren, sind Geschichte. Wir haben sie gesetzlich beseitigt. Die Integrität des Konzerns hat auch Vorteile – vor allem bei der Rolle der Infrastruktur für innere und äußere Sicherheit. Wenn wir im Eskalationsfall sehr schnell Schienen und Wagenkapazitäten zur Verfügung stellen müssten, um etwa Truppen oder Waffen zu verlegen, dann ist es gut, einen integrierten Konzern zu haben, um das von einer Stelle aus zu steuern.

Was empfehlen Sie ihrer früheren Partei?

Eine Partei, die sie sich als Problemlöser für die Gesellschaft anbieten möchte – was sie bei einer Wahl ja letztlich tut – sollte sich damit befassen, was die Menschen umtreibt und beschäftigt. Wer sich thematisch verengt, entfernt sich von den Menschen. Die FPD sollte ein Generalangebot und kein Spezialangebot machen.

Woran ist die Ampel gescheitert – und was kann Schwarz-Rot jetzt besser machen?

Man hat die Regierung als Experiment begriffen und blieb auf latenter Distanz. Man sollte eine Koalition zwar nicht mit einer Ehe vergleichen, aber wenn sich die Ehepartner jeden Morgen aufs Neue fragen, ob sie sich nicht besser scheiden lassen oder mit jemand anderem glücklicher wären, ist die Trennung nur eine Frage der Zeit. (rnd)