Das Corona-Jahr 2020 hat für die Kirchen in Deutschland etwas von Ruhe vor dem Sturm. Zwar weisen die Statistiken einen dramatischen Einbruch beim Gottesdienstbesuch und bei zentralen christlichen Vollzügen wie Taufen, Erstkommunionen, Firmungen oder Trauungen aus. Aber die lassen sich relativ leicht „pandemiebedingt“ erklären.
Wer nicht zur Kirche gehen darf, kann dort eben auch nicht gezählt werden. Manche Kirchenvertreter verweisen gern darauf, dass Online-Formate bisweilen sogar zu einer höheren Beteiligung etwa an Gottesdiensten geführt hätten.
Umgekehrt nehmen sich auch die sonst als Indikator für Relevanzverlust und schwindende Bindekraft der Kirchen angeführten Kirchenaustritte auf den ersten Blick vergleichsweise beruhigend aus: Die Zahlen sanken im Krisenjahr 2020 um ein knappes Fünftel unter das Rekordniveau von 2019. Doch waren die für den Austritt zuständigen Behörden monatelang geschlossen oder fuhren einen Lockdown-Minimalbetrieb.
Wer nicht austreten kann, bleibt eben drin
Auch hier gilt: Wer nicht austreten kann, der bleibt eben drin. Vorerst. Der anhaltende Ansturm etwa auf das Amtsgericht Köln belegt einen erheblichen Rückstau. Auf Dauer jedenfalls lassen sich Austrittswillige von formalen Hindernissen nicht abhalten.
Und auch die Krisenerfahrung des Jahres 2020, die den einen oder die andere zum Bleiben bewogen haben mag, entfaltet keine anhaltende Wirkung. Not lehrt beten – auf diese alte und gar nicht so unwahre Formel können sich die Kirchen jedenfalls nicht mehr verlassen.
Die Offenbarung folgt im nächsten Jahr
Zur schonungslosen Offenbarung und dann womöglich auch zum Offenbarungseid kommt es erst bei der nächsten Statistik: Werden die Kirchen mit ihren geistlichen Angeboten wettmachen, was sie 2020 eingebüßt haben? Oder wirkt die durch Corona bedingte Zwangspause im kirchlichen Leben in nachpandemischen Zeiten als ein Schwundbeschleuniger?
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Menschen verlassen die Kirche, weil sie ihnen nichts mehr zu sagen hat – und weil sie dann nicht auch noch in Haftungsgemeinschaft für das genommen werden wollen, was die Kirche sagt. Oder tut. Dafür steht exemplarisch die laufende Austrittswelle im Erzbistum Köln und darüber hinaus.
Zeichen der Gegenwehr
Wer jetzt geht, setzt das – vielleicht einzig wirkungsvolle – Zeichen der Gegenwehr gegen eine Institution und ihre Vertreter, die sich partout nicht ändern wollen und Reformbestrebungen als Zeitgeistgeklingel abtun, dem die Kirche um ihrer selbst willen nicht nachgeben dürfe.
Dabei wäre dringend eine Perspektiv-Änderung nötig. Der rheinische Präses Thorsten Latzel spricht von „Mitglieder-Orientierung“. Das klingt ein bisschen nach Firmen-Sprech aus der Marketing-Abteilung, ist aber in der Sache richtig. Auch die Kirche hat doch etwas zu „verkaufen“, und sie behauptet sogar, ihr Angebot sei das Wertvollste überhaupt. Dann aber ist es auch das Falscheste überhaupt, sinkende Nachfrage der Kundschaft anzulasten.