AboAbonnieren

MissbrauchsskandalKölner Kripo wühlt sich in Woelki-Ermittlungen durch 800.000 Mails

Lesezeit 6 Minuten
Der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, läuft in den Vatikan. (Archivbild)

Der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, läuft in den Vatikan. (Archivbild)

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr – entgegen anderslautenden Medienberichten – den Grund für die lange Dauer der Ermittlungen.

Die Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft gegen Kardinal Rainer Woelki wegen mutmaßlicher Falschaussagen werden sich vermutlich bis zum Sommer hinziehen. Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, erklärte dies auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit der riesigen Datenmenge, die der Chef der politischen Abteilung der Anklagebehörde, Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn, und die Polizei derzeit auswerten.

Masse an Daten Grund für Verzögerung im Fall Woelki

Entgegen anderslautenden Medienberichten, wonach die Nachforschungen durch die Strafverfolger verzögert würden, ist nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Gegenteil der Fall. Angesichts der Flut von 800.000 beschlagnahmten E-Mails mit einer halben Million Anhängen aus dem Erzbistum sowie etwa 120.000 Chatnachrichten, die sich nebst Anhängen im mutmaßlichen Tatzeitraum auf dem zeitweilig konfiszierten Handy des Kardinals befanden, hat Ermittlungsleiter Willuhn entschieden, die Analyse-Arbeit aufzuteilen. Laut Staatsanwaltschaft sichten Kriminalbeamte des Kölner Staatsschutzes seit November den Mailverkehr.

Zwar war das Material bereits Ende Juni 2023 während einer Durchsuchung sichergestellt worden. Allerdings dauerte es weitere fünf Monate, ehe die Daten konfiguriert werden konnten, um sie mithilfe geeigneter Suchprogramme nach kompromittierenden Hinweisen durchforsten zu können.

Ermittlungen gegen Woelki wegen Verdacht des Meineids sowie falscher eidesstattlicher Versicherungen

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft alle drei Ermittlungsverfahren, die 2022 und 2023 gegen Woelki eingeleitet wurden, zu einem gemeinsamen zusammengeführt. Dabei geht es um den Verdacht des Meineids sowie falscher eidesstattlicher Versicherungen in mehreren Fällen. Der Kardinal bestreitet sämtliche gegen ihn gerichteten Vorwürfe und beharrt auf der Stichhaltigkeit seiner Aussagen.

Alle fraglichen Aussagen, die Woelki vor dem Landgericht Köln beeidet oder in schriftlichen Erklärungen für das Gericht an Eides statt versichert hat, stehen im Zusammenhang mit Presserechtsstreitigkeiten, die der Kardinal gegen die „Bild“-Zeitung führt.

Winfried Pilz starb 2018. Woelki will von Missbrauchsvorwürfen gegen den früheren „Sternsinger“-Präsidenten nichts mitbekommen haben.

Winfried Pilz starb 2018. Woelki will von Missbrauchsvorwürfen gegen den früheren „Sternsinger“-Präsidenten nichts mitbekommen haben.

Es geht zum einen um Berichte der Zeitung über den Umgang des Erzbistums mit Missbrauchsvorwürfen gegen den früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz. Hierzu hatte Woelki behauptet, er sei mit dem Fall Pilz bis Juni 2022 „nicht befasst worden“. Dagegen hat die Bistumsmitarbeiterin Hildegard Dahm eine bereits 2015 für Woelki erstellte Liste mit 14 Täternamen vorgelegt. Der damalige Personalchef, Dahms direkter Vorgesetzter, habe diese Liste zu Woelki mitgenommen, berichtete Dahm im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Woelki will sie nach Angaben seines Anwalts nicht gesehen haben.

Ungewöhnliche Zurückhaltung nach Tod von Winfried Pilz

Als Pilz Ende 2018 starb, reagierte das Erzbistum ungewöhnlich zurückhaltend. Für den Nachruf zeichnete „nur“ der Personalchef verantwortlich. An der Beerdigung des prominenten Geistlichen nahm kein Mitglied der Bistumsleitung teil. Hochrangige Kirchenkenner bezweifeln, dass dies alles ohne die Billigung oder zumindest das Wissen des Erzbischofs geschehen konnte.

Der Verdacht des Meineids sowie weiterer uneidlicher Falschaussagen betrifft Woelkis Angaben zum Fall eines Priesters, den er 2017 in ein herausgehobenes Amt beförderte. Woelki hat dazu erklärt, er habe bis zum Zeitpunkt der Beförderung stets nur vage Gerüchte und unsubstantiierte Vorwürfe zu übergriffigem Verhalten gehört. Dazu sagte die ehemalige Sekretärin von Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, vor dem Landgericht aus, sie habe Woelki in dessen Zeit als Weihbischof ungefähr im Jahr 2010/11 auf seine ausdrückliche Bitte ausführlich über den Lebenswandel und Übergriffigkeiten des später beförderten Geistlichen unterrichtet.

Woelki will von Vorwürfen nichts gewusst haben

Unter Eid gab Woelki vor dem Landgericht Köln im März 2023 überdies an, er habe „bis heute“ keine Kenntnis von Vorwürfen, die ein ehemaliger Messdiener gegen den Priester erhebt. Der Mann hat inzwischen auch vor dem Oberlandesgericht Köln in nicht-öffentlicher Sitzung ausgesagt. Das Gericht erachtete seine Darstellung dem Vernehmen nach für glaubwürdig.

Seine Vorwürfe sind in den Kernpunkten und mit dem Namen des Betreffenden in einem Brief wiedergegeben, den Woelki 2018 nach Rom an den Chef der Glaubenskongregation, die Nummer drei in der Vatikan-Hierarchie, gesandt hat. Der mutmaßlich von Mitarbeitern im Offizialat (Kirchengericht) vorbereitete Brief wurde von Woelki persönlich unterschrieben, auf einer kursierenden Kopie – wohl aus den Bistumsakten – steht seine Paraphe. Im umfangreichen Anhang zu dem Schreiben nach Rom befand sich unter anderem die detaillierte Aussage des Messdieners. Woelki behauptet, den Brief nur unterschrieben, aber nicht gelesen zu haben. Erst recht habe er nicht den Anhang gesehen, von dem auch nicht klar sei, ob er dem Brief nach Rom beigelegen habe, als er ihn zur Unterschrift erhielt.

Das Protokoll einer Sitzung leitender Geistlicher mit Woelki im September 2022 hält fest, Woelki habe zum Inhalt seines Schreibens nach Rom Stellung genommen und betont, es enthalte „der Vollständigkeit halber“ auch die „unbewiesenen Gerüchte“. Unter diesen Begriff fällt auch der vom Erzbistum mehrfach dokumentierte Vorwurf des Messdieners.

Fall Woelki ist Novum in der deutschen Rechtsgeschichte

Es ist das erste Mal in der deutschen Rechtsgeschichte, dass gegen einen Kardinal und Erzbischof strafrechtliche Ermittlungen geführt würden. Im Falle einer Anklage und Verurteilung wegen Meineids könnte Woelki eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr drohen.

Die Auswertung von Woelkis Handy hat Ermittler Willuhn derweil zur Chefsache gemacht. „Dies ist vorliegend mit Blick auf die geltende Unschuldsvermutung und die Wahrung von Persönlichkeitsrechten wegen der besonderen Sensibilität der beim Kardinal selbst gesicherten Daten sachdienlich sowie geboten“, teilte sein Kollege Bremer mit. Dies gelte überdies „vor dem Hintergrund, dass dem Beschuldigen als Berufsgeheimnisträger ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht“. Zudem solle „das Risiko von Durchstechereien“ brisanter Informationen insbesondere an Medienvertreter „auf Null reduziert werden“. Bislang ist dies nach Bremers Einschätzung gelungen.

Die Behörde ist in dieser Sache gebranntes Kind. Als Willuhn im Juni 2023 mit einem Durchsuchungsbeschluss in der Hand an Woelkis Tür im Erzbischöflichen Haus an der Kardinal-Frings-Straße klingelte, waren Kameras und Fotoapparate auf ihn gerichtet. Offenbar hatten Journalisten einen Tipp bekommen. Woelki, so war zu erfahren, habe deswegen „geschäumt“. Sein Verteidiger Björn Gercke erstattete vor diesem Hintergrund Strafanzeige wegen Geheimnisverrats.

Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ begrüßte Gercke das aktuelle Vorgehen. „In Verfahren, in denen es um prominente Personen wie meinen Mandanten geht, ist es üblich, dass die Staatsanwaltschaft selbst draufschaut“, sagte Gercke. Dass die Ermittlungen sich durch umfangreiche Datenanalyse hinziehen, sei nicht zu ändern. Das sei für seinen Mandanten belastend. Am Ende, glaubt Gercke, „wird sich herausstellen, dass mein Mandant sich nicht strafbar gemacht hat, und die Staatsanwaltschaft wird das Verfahren einstellen“.

Juristisch gehen die Auseinandersetzungen Woelkis mit der „Bild“-Zeitung in die nächste Runde. Am 14. März findet vor dem Kölner Oberlandesgericht eine Berufungsverhandlung zur strittigen Berichterstattung der Zeitung statt. Der Springer-Verlag, in dem die „Bild“ erscheint, hatte das Urteil der Vorinstanz, das die Wiederholung etlicher Aussagen untersagte, als „skandalös“ bezeichnet. Konkret geht es in dem Verfahren erneut um Woelkis Kenntnisstand zum Fall des Priesters, den er 2017 beförderte. Wie OLG-Sprecherin Eva Moewes sagte, muss Woelki zu dem Verhandlungstermin nicht persönlich erscheinen.