Nie zuvor wirkte Wladimir Putin, der starke Mann im Kreml, so schwach wie jetzt. Verändert dies die ganze Weltpolitik? Eine Analyse.
Die Kursk-Krise ist eine Kreml-KrisePutin ist in fünf Punkten blamiert wie nie
Alle Kriegsführung beruht auf Täuschung. Das lehrte der chinesische General und Philosoph Sun Tzu schon im 5. Jahrhundert vor Christus. Einer seiner Ratschläge lautet: „Erscheine schwach, wenn du stark bist.“
Ukrainische Armee verzeichnet Gebietsgewinne in russischer Region Kursk
In diesem Sinne hat Wolodymyr Selenskyj alles richtig gemacht in diesem Sommer 2024. Monatelang klagte der ukrainische Präsident tagein, tagaus über eine mangelhafte Ausrüstung seiner Armee – parallel dazu ließ er heimlich Waffen und Fahrzeuge beiseiteschaffen für den massivsten Überraschungsangriff auf Russland seit Kriegsbeginn.
Inzwischen hat die ukrainische Armee in der russischen Region Kursk nach eigenen Angaben mehr als 1000 Quadratkilometer unter ihre Kontrolle gebracht, mit mehr als 80 Siedlungen. Ebenso erstaunlich wie Tempo und Wucht dieses Angriffs ist der Totalausfall der örtlichen russischen Truppen. Noch immer ist die russische Armeeführung damit beschäftigt, eilends Soldaten aus anderen Regionen in Richtung Kursk zu entsenden.
Einmarsch in Kursk ist „Hochrisikostrategie“ laut Politikwissenschaftler
Für den russischen Staatschef Wladimir Putin ist dies alles in jeder Hinsicht peinlich, weltpolitisch wie innenpolitisch. Die Gegner und Gegnerinnen seines Regimes wiederum spüren Aufwind, nicht nur in Kiew, sondern rund um den Globus.
In Australien zum Beispiel will ein besonders eifriger Trupp von Putin-Gegnern am 31. August beim Kursk Freedom Festival auf die „Befreiung durch die Ukraine“ anstoßen, Treffpunkt ist das russische Konsulat in Sydney.
Siegesfeiern solcher Art könnten sich allerdings als voreilig erweisen. Denn noch weiß niemand, wie die Sache ausgeht. Die Ukraine hat besonders gut trainierte Truppen in die Region Kursk entsandt. Sollten Kiews Kämpferinnen und Kämpfer dort früher oder später eingekesselt werden, droht der Ukraine eine Niederlage von mehr als nur regionaler Bedeutung.
Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München sprach gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) von Anfang an von einer „Hochrisikostrategie der Ukraine“: Der Einmarsch in die Region Kursk könne „auch damit enden, dass diese Operation der Ukraine auf Dauer mehr schadet als nützt“.
„Für Putin gibt es aktuell keine guten Optionen“
Ähnlich sieht es der Militärexperte Nico Lange, der aber – ebenfalls im Gespräch mit dem RND – betont, Kiew habe sich jetzt immerhin neue Optionen geschaffen: Denkbar sei etwa eine Verlagerung der ukrainischen Truppen nach Belgorod oder Brjansk. So oder so zwinge Kiew der russischen Seite eine Reaktion nach dem eigenen Drehbuch auf – das sei neu und bringe Putin in eine unerwartet schwierige Lage.
„Für Putin gibt es aktuell keine guten Optionen“, sagt Lange, Senior Fellow der Münchener Sicherheitskonferenz. „Wehrpflichtige aus anderen Regionen nach Kursk zu beordern, ist keine gute Idee. Die treffen dort auf kampferprobte Profis aus der Ukraine. Die Verlegung erfahrener Kampftruppen wiederum würde Russland an den anderen Fronten schwächen.“
1. Putin ist als Militärstratege blamiert
Eins aber steht unabhängig vom weiteren Verlauf schon jetzt fest: Putin hat sich als Militärstratege einmal mehr blamiert. Der russische Staatschef war nicht nur nicht in der Lage, einen Einmarsch in sein Land zu verhindern. Er ist auch seit mehr als zehn Tagen außerstande, die Eindringlinge, wie vom Kreml anfangs angekündigt, wieder zurückzudrängen.
Politisch versucht Putin derzeit – wie immer in für ihn ungünstigen Situationen – Distanz zu schaffen zwischen sich selbst und dem Geschehen auf dem Schlachtfeld. Der britische Moskau-Experte Francis Scarr hielt für die BBC fest, wie Putin sich in der Kursk-Affäre wieder mal öffentlich rarmachte und auf untergeordnete Stellen verwies.
Dem Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, wünschte Putin viel Glück „bei den nicht einfachen Aufgaben, die vor ihm liegen“. Putin schnitt ihm aber laut Institute for the Study of War in einer Videoschalte das Wort ab, als Smirnow begann, über den Einmarsch zu reden: Der Gouverneur solle sich auf das Thema sozialer Hilfen für die Bevölkerung konzentrieren – und zu anderen Dingen schweigen.
Das militärische Desaster Russlands in Kursk wird vom Kreml zum Tabu erklärt. Das hat machtpolitische Gründe: Putin ist nach der russischen Verfassung als Staatschef gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Russischen Föderation. In dieser Rolle hat er mittlerweile schon mehrfach versagt. Bislang kam er damit noch immer durch.
US-Experte jubelt von geopolitischer „Chance von globaler Bedeutung“
Doch Russland-Beobachter glauben inzwischen, es sei eine Frage der Zeit, wann Putin deshalb selbst in den Mittelpunkt einer für ihn machtgefährdenden Debatte gerät. „Irgendwann“, prophezeit der Politikprofessor Thomas Jäger von der Universität Köln, „wird die Verantwortung bei ihm hängen bleiben.“
Was dann? Der britische Kremlkenner Mark Galeotti erwartet zwar keinen Putsch in naher Zukunft, dass der Respekt Kiews und auch der des Westens vor Putin erneut nachgelassen hätten, sei aber eine sehr schlechte Nachricht für den Kremlchef.
Im US-Fachblatt „Foreign Policy“ jubelt A. Wess Mitchell, ehemals Abteilungsleiter für Europa im Washingtoner Außenministerium, die Attacke in Kursk beschere dem eben noch ratlosen Westen eine „geopolitische Chance von globaler Bedeutung“: Zum Glück seien die Karten jetzt neu gemischt worden, bevor es zu einer Auseinandersetzung der USA mit dem Iran kam und auch vor einem Angriff Chinas auf Taiwan.
Russland evakuiert weitere Gebiete in Kursk-Region
Rund um den Globus laufen neue strategische Debatten: Wird die weltpolitische Bedeutung des Einmarsches nach Kursk, wie manche sagen, inzwischen überhöht? Oder wird Kursk, wie man es zunehmend hört, noch immer unterschätzt?
Dass unter Putins Oberkommando militärische Dinge völlig danebengehen, ist jedenfalls nicht neu. Die furchtbaren und stets wiederkehrenden russischen Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht sind ein düsteres Thema für sich. Unabhängig davon aber standen Putins Truppen auch nach rein militärischen Kategorien seit dem Einmarsch in die Ukraine bereits viermal vor aller Welt blamiert da.
- Im März 2022 baute sich ein ominöser, mehr als 50 Kilometer langer russischer Militärkonvoi vor Kiew auf, mit dem Ziel, in die Stadt einzudringen. Der Konvoi blieb stecken, teils wegen ukrainischer Gegenwehr, teils wegen eigener logistischer Probleme. Zur Einnahme Kiews kam es nicht. Die zwecks Siegesfeier gleich in den ersten Kriegstagen von russischen Offizieren mitgebrachten gebügelten Galauniformen blieben in den – liegen gebliebenen – russischen Fahrzeugen.
- Der russische Raketenkreuzer „Moskwa“, Putins größtes und am besten bewaffnetes Kriegsschiff im Schwarzen Meer, fuhr am 14. April 2022 zum Meeresgrund. Die russische Regierung spielt den Vorgang bis heute herunter, Fachleute sprechen von einem Desaster allererster Güte. Russland hatte für den Bau des Schiffs geschätzte 500 Millionen US-Dollar aufgewendet. Den Untergang der „Moskwa“ bewirkten zwei ukrainische Raketen vom Typ Neptun – während die russische Besatzung zeitgleich durch ukrainische Drohnen abgelenkt wurde.
- Bei der ukrainischen Gegenoffensive bei Charkiw im September 2022 ließen russische Soldaten schneller und in größerer Zahl als erwartet ihre Gewehre fallen und wandten sich in Panik der Flucht zu, teils in gestohlenen zivilen Autos, teils gar auf Fahrrädern. Russische Panzer, Lastwagen und Munition wurden zurückgelassen. Die Welt blickte auf eine gemessen an ihrem Nimbus erstaunlich desolate Armee.
- Ein massiver russischer Panzervorstoß bei Wuhledar im Februar 2023 endete in einem Minenfeld, das – wie in einer technologischen Lehrvorführung – im laufenden Geschehen von der ukrainischen Armee ferngelenkt verlegt wurde. Das dabei eingesetzte westliche Remote-Anti-Armor-Mine-System (RAAM) riegelte den mehr als 100 russischen Panzern auch den Rückweg ab und führte zu ungewöhnlich hohen Verlusten auf russischer Seite. Westliche Geheimdienste deuteten den Vorgang kopfschüttelnd als Hinweis auf „schlechte Ausbildung“ und „Unerfahrenheit“ der russischen Truppen.
2. Putin ist als Geheimdienstmann blamiert
Auch der ukrainische Vorstoß in die Region Kursk lief nach allem, was inzwischen zu hören ist, auf eine Deklassierung der russischen Truppen hinaus. Wo deren Schwachstellen in Sachen Wachsamkeit und Bewaffnung lagen, konnte die Ukraine offenbar vorab ungestört orten. Der Angriff begann dann mit einem präzisen Schlag gegen die Kommunikationssysteme der Russen. Dies führte prompt zum kompletten Kollaps der russischen Verteidigungslinien.
Die plötzlich zum Zusammenwirken unfähigen russischen Truppenteile wurden von schnell agierenden ukrainischen Einheiten überrumpelt. Oft bekamen die russischen Soldaten die aus der Ukraine anrollenden Fahrzeuge und Panzer gar nicht zu Gesicht, weil sie bereits in großem Abstand von begleitenden ukrainischen Kampfdrohnen unter Feuer genommen wurden.
Zentral für den Erfolg des ukrainischen Angriffs war seine Geheimhaltung. Genau darin liegt ein harter Schlag für den gelernten KGB-Agenten an Russlands Staatsspitze. Wie konnte einem Mann wie Putin, der sein ganzes Leben lang stets seine Feinde rund um die Uhr zu durchleuchten trachtete, die Vorbereitung einer solchen Attacke verborgen bleiben?
Für den Kreml arbeitet ein ebenso berühmter wie berüchtigter Geheimdienstapparat, dessen Mitarbeiterzahl auf weltweit rund 300.000 geschätzt wird. Allein für den FSB, den größten und wichtigsten Geheimdienst Russlands, zuständig unter anderem für „Inlandsaufklärung“ und Grenzschutz, sollen mehr als 200.000 Menschen arbeiten. Warum bekam niemand von den Vorbereitungen der Ukrainer etwas mit?
Was nun? Will Putin wieder Untergebene für alles verantwortlich machen, Generäle entlassen, Geheimdienstleute, vielleicht den Armeechef? Hauruck-Reaktionen dieser Art durchzuziehen wird in Moskaus Machtsystem immer komplizierter. Zur Erinnerung: Seinen langjährigen Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat Putin erst Mitte Mai dieses Jahres gefeuert.
Die jüngste Attacke der Ukraine jedenfalls, das ahnt inzwischen jeder, erschöpft sich nicht im Militärischen. Sie reicht, besonders wegen ihrer gelungenen „operational security“, weit hinein ins Politische und Psychologische. Der Angriff auf die Region Kursk ist ein Angriff auf Putin selbst: Kiew will ihn entzaubern, dem Kaiser gleichsam die Kleider wegziehen.
3. Das Bild vom gütigen Herrscher leidet
In Russland gibt es ein uraltes Sprichwort: „Der Zar ist gut, die Bojaren sind schlecht.“ Darin spiegelt sich der jahrhundertealte Glaube der Russinnen und Russen an einen gütigen Herrscher ganz oben an der Staatsspitze. Die Bojaren indessen, Adlige und hohe Beamte, wurden oft als die Quelle des Übels angesehen, ihnen wurden Machtgier, Eigennutz und Korruption nachgesagt.
Putin will ebenfalls erscheinen wie ein gütiger Herrscher. Bei Reisen in die Provinz lässt er, wenn Missstände beklagt werden, mit großer Geste Notizen machen und verspricht Besserung. Als im Januar dieses Jahres vielerorts in Russland die Heizungssysteme ausfielen, traten ganze Bewohnerversammlungen vor ihre Plattenbauten und verlasen höfliche Eingaben, die direkt an Putin gehen sollten.
Betroffene in Kursk: „Putin hat uns im Stich gelassen“
Nach wie leben viele Russinnen und Russen in der naiven Vorstellung, Putin werde gewiss alles trefflich regeln, wenn er denn nur von etwaigen Missständen erfahre. In der Region Kursk aber scheinen viele Betroffene diese Sichtweise inzwischen nicht mehr mitzumachen.
In Moskau kümmere es niemanden, was hier gerade passiere, sagen Menschen, die derzeit gegen ihren Willen umgesiedelt werden sollen. „Putin hat uns im Stich gelassen“, schimpfen Betroffene – und blicken auf eine politische Führung, die ihre Not zwar kennt, aber sie sich nicht zu eigen macht, sondern eiskalt herunterspielt.
In russischen sozialen Netzwerken, öffentlichen und geheimen, wird Kritik laut. Vergleichbar verächtliche Töne einfacher Russinnen und Russen über „die da oben“ hörte man zuletzt im Juni 2023, als der Rebell Jewgeni Prigoschin seinen Marsch auf Moskau begann.
Einmal mehr macht Putin jetzt Bekanntschaft mit den Risiken und Nebenwirkungen einer Alleinherrschaft. Seit 1999 sitzt er an den Schalthebeln der Macht. Wer in so extremer Weise wie er Entscheidungen aller Art auf sich selbst ausrichtet, muss am Ende auch damit leben, dass er im Urteil der Leute für alles verantwortlich gemacht wird.
Kremlnahes Staatsfernsehen widerspricht sich
Ist es dieses Dilemma, das Putins Staatsfernsehen derzeit so ratlos wirken lässt? Die Kommentierungen schwanken auffällig zwischen Beschwichtigung und Dramatisierung. Mal heißt es, man werde die Eindringlinge schon in Kürze „krachend vernichten“.
Mal heißt es aber auch, nun erlebe man den schlimmsten Einmarsch in Russland seit dem Zweiten Weltkrieg, angeführt „von den Herren der Nato, die den Banditen in Kiew ihre Befehle geben“. Offenbar wissen auch die kremlnächsten Fernsehleute nicht, wie sie es ihrem obersten Herrn derzeit am ehesten recht machen können. Das wiederum spricht für eine Verunsicherung auch allerhöchster Stelle.
4. In China wächst das Unbehagen
Wenn Putin seinen „strategischen Partner“ Xi Jinping aus China trifft, tun beide Staatspräsidenten immer so, als begegne man sich auf Augenhöhe und verstehe einander wunderbar. In Wirklichkeit blickt China längst herab auf Russland wie auf eine Rohstoffkolonie Pekings – in der man sich endlich etwas mehr Ruhe und Stabilität wünschte.
Pekings offizielle Reaktion auf den ukrainischen Einmarsch in Kursk fiel aus Sicht Moskaus überraschend wortkarg aus – und eiskalt. Nach tagelangem Schweigen erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Peking rufe wie bisher auch „alle Parteien“ auf, sich an die „drei Prinzipien“ zur Deeskalation der Situation zu halten: „Keine Ausweitung des Schlachtfelds, keine Eskalation der Kämpfe, kein Öl ins Feuer gießen.“
Der Sprecher sagte, Peking werde „die Kommunikation mit der internationalen Gemeinschaft aufrechterhalten, um eine konstruktive Rolle bei der politischen Lösung der Krise zu spielen“.
China-Beobachter glauben, die Führung in Peking sei jetzt ein weiteres Mal von Putin enttäuscht worden. Erst habe der russische Präsident Anfang 2022 bei seinem Besuch in Peking falsche Versprechungen gemacht, was die Gesamtdauer des Krieges gegen die Ukraine angehe, und dann grünes Licht bekommen. Jetzt ziehe sich der Krieg schon seit zweieinhalb Jahren hin – und Russland muss sich sogar mit Einmärschen auf sein eigenes Territorium herumschlagen, die es nicht etwa sofort in den Griff bekommt.
Dem machtbesessenen Xi, sagen China-Kenner, sei dies alles ein Graus. Im Times Radio drückte der langjährige britische Geheimdienstler Philip Ingram das Unbehagen des chinesischen Staatschefs so aus: „Der sitzt jetzt da, zieht die Augenbrauen hoch und fragt sich: Sind unsere Investitionen in Russland eigentlich noch sicher?“
Zugleich befeuert die neue Lage in Russland jetzt die seit Jahren laufenden militärischen Strategiespiele rund um Taiwan – zum Nachteil Pekings. Michael Rubin, Senior Fellow am American Enterprise Institute, schreibt im „National Security Journal“, Taiwan müsse vom Vorgehen der Ukraine lernen: Im Falle einer von Xi befohlenen Invasion der demokratisch regierten Insel liege die beste Verteidigung in einem Angriff auf China. So – und nur so – könne Abschreckung funktionieren.
5. In Russland wackelt der Deal mit dem Diktator
Entsetzt hörten Eltern russischer Wehrpflichtiger in der Region Murmansk dieser Tage, dass ihre Jungs in die Region Kursk verlegt werden sollen. Die geografisch um die Ecke erscheinende norwegische Regionalzeitung „Barents Observer“ zitierte Hilferufe von drüben: Junge Mütter flehten, Putin soll „bitte nicht unsere Kinder töten“.
Tatsächlich hatte Putin persönlich immer wieder versprochen, wenigstens die Wehrpflichtigen fernzuhalten von der „Spezialoperation“ gegen die Ukraine. Im Kleingedruckten allerdings, so argumentiert der Kreml, habe es stets den Hinweis gegeben, Wehrpflichtige könnten „innerhalb Russlands zur Grenzsicherung“ eingesetzt werden.
Der Kampf gegen Selenskyjs Invasionstruppen ist, klarer Fall, kein Auslandseinsatz. Aber will Putin im Ernst blasse Neulinge in diesen Kampf schicken? Rund 100 Wehrpflichtige hat die Ukraine in der Regions Kursk schon als Kriegsgefangene festgenommen. Wie wirkt sich das aus auf Russland?
Auch im Kreml ist die Brisanz der Sache, prinzipiell jedenfalls, bekannt. Das Ende der Sowjetunion, das weiß jeder in Russland, hatte viele Ursachen – eine davon war der Protest der Soldatenmütter gegen den Krieg in Afghanistan.
Jetzt wächst erneut Misstrauen. Ins Wanken gerät etwas, das man als den russischen Way of Life bezeichnen könnte, einen demokratiefernen Deal, mit dem viele Russen sich zu allen Zeiten eingerichtet haben: Als russische Familie opfert man dem Zaren seine Freiheit und bekommt dafür immerhin ein geregeltes Leben, eine warme Butze und Sicherheit.
Putin aber, so zeigt sich jetzt, bekommt es zwar seit mittlerweile 25 Jahren hin, seine Landsleute zu unterdrücken, aber die erhoffte Sicherheit bietet er ihnen nachweislich nicht.