Düsseldorf – Mona Neubaur scheint ein wenig fassungslos, als sie – wie immer in schwarz gekleidet – um 18 Uhr unter lauten Jubelrufen die Bühne neben dem Apollo-Varieté am Rheinufer betritt. Um die 18 Prozent – die Grünen feiern ein Ergebnis, dass selbst die optimistischen Prognosen überschreitet. „Was für ein Ergebnis, was für ein Vertrauensvorschuss!“, ruft die Spitzenkandidatin, während ihre Worte beinahe im Applaus untergehen. Es liege nun an der Partei, diesen Vertrauensvorschuss „voller Respekt“ in Handeln zu übersetzen.
Keine Lust auf „Stillstandspolitik“
„Das ist ein riesiger, riesiger Auftrag an uns, um in der nächsten Landesregierung endlich eine Politik auf Höhe der Zeit zu machen. Für die Menschen in Nordrhein-Westfalen, für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.“
Auch Vertreter auf Bundesebene feiern den Erfolg direkt vor Ort, in Düsseldorf. „Wir sind begeistert von diese Ergebnis und freuen uns gerade sehr“, sagt Sarah-Lee Heinrich, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend. Die 21-Jährige steht mit Neubaur in den vordersten Reihen, als die ersten Hochrechnungen auf den Bildschirmen erscheinen. „Wir haben keine Lust mehr auf Stillstandspolitik. Junge Leute machen sich Sorgen um die steigenden Mieten, um den Bus vor Ort, der eigentlich nicht mehr fährt und um die Ausstattung der Schulen. Das haben wir als Grüne Jugend angesprochen. Für diese Themen werden wir uns in den Verhandlungen weiter einsetzen.“
Grüne können Sitze im Parlament fast verdreifachen
Die Grünen sind die klaren Gewinner dieses Abends, auch ohne die Ministerpräsidentin zu stellen. Sie erreichen zwölf Prozentpunkte mehr als bei der letzten Landtagswahl – damit können sie die Zahl ihrer Sitze im Parlament fast verdreifachen. Ein Befreiungsschlag, nachdem die Partei 2017 nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag sichern konnte, als schwächste Kraft, mit knapp fünf Prozentpunkten Verlust.
Damals scheiterten die Grünen unter anderem an der Schulpolitik von Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Dieses Jahr lief der Wahlkampf deutlich flüssiger: Die Partei setzte weniger auf Verbote, gleichzeitig haben grüne Kernthemen Hochkonjunktur – allen voran Energiepolitik und Klimaschutz. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Energiewende, die nun auch Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas bedeuten muss, ins Zentrum gerückt.
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Die wohl wichtigsten Wahlkampfhelfer der Grünen sitzen dieses Jahr in Berlin: Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock sind mit ihrer Entschlossenheit angesichts des Ukraine-Kriegs derzeit die beliebtesten Politiker Deutschlands. Im Gegensatz zu SPD und FDP profitieren die NRW-Grünen massiv von der Ampel-Koalition auf Bundesebene. Verantwortung macht wählbar.
Das betont auch Neubaur in ihrem kurzen Auftritt am Rheinufer: Der „Politikstil“ der grünen Ministerriege in der Koalition habe geholfen, sagte sie. Dabei gehe es darum, „Haltung und Kompass zu haben in Krisenzeiten“, „ehrlich zu kommunizieren“ und „trotzdem pragmatische Wege zu finden“. Die „Menschheitsaufgabe Klimaschutz“ nannte sie nun als wichtiges Thema für mögliche Sondierungsgespräche mit anderen Parteien: „Wir haben einen eigenständigen und selbstbewussten Wahlkampf geführt und offensichtlich sind wir dafür jetzt belohnt worden“, sagte Neubaur, und: „Es wird eine starke grüne Handschrift geben.“
Neubaur gilt als mögliche „Frau Habeck“ von NRW
Die Spitzenkandidatin selbst hat nun gute Chancen auf ein Ministerium und das Amt der Vize-Ministerpräsidentin im Land. Bei der Frage, ob trotz des schlechten SPD-Ergebnisses wieder ein Genosse in der Düsseldorfer Staatskanzlei sitzt oder Wüst weiterregieren darf, kommt keine Partei an ihr vorbei. Die 44-Jährige zählt zum Realo-Flügel ihrer Partei und präsentiert sich als Politikerin der Mitte, sie gilt als Moderatorin, als mögliche „Frau Habeck“ von NRW.
Sie setzt sich für Geschlossenheit des Westens angesichts des Kriegs gegen die Ukraine ein und für eine zügige Energiewende. Die Landtagswahl ist ihr bisher größter politischer Erfolg. Dabei war ihre Kandidatur keine Selbstverständlichkeit: Mona Neubaur ist zwar seit 2014 Vorsitzende der NRW-Grünen, parteiintern gab es anfangs jedoch Kritik an ihrer Kandidatur. Neubaur verfüge über keine Parlamentserfahrung, hieß es, im Gegensatz zu den Fraktionsvorsitzenden Verena Schäffer und Josefine Paul. Am Ende setzte sich die gebürtige Bayerin durch – und wird vermutlich zur mächtigsten Frau in der neuen Regierung aufsteigen.
Geradezu euphorisch äußerte sich dazu die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann: „Für uns ist heute Abend klar, das ist ein großartiger Abend.“