Köln – Am Sonntag ist es so weit: Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist der Höhepunkt des politischen Wahljahrs 2022. Der Ausgang ist extrem spannend. Für die amtierende schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dürfte es den Umfragen zufolge keine Neuauflage geben. Aber mehrere andere Regierungsbündnisse sind möglich.
Die NRW-Wahl steht natürlich auch im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine. Die Herausforderungen für die neue Regierung sind gewaltig – auch wegen der jetzt schon spürbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges für das Industrieland NRW. Im jüngsten „NRW-Check“, der Umfrageserie des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und weiterer NRW-Zeitungen, rangieren die Versorgung mit sicherer und bezahlbarer Energie sowie die explodierenden Preise bei den Themen ganz oben, von denen die Menschen in NRW ihre Wahlentscheidung abhängig machen – gefolgt von Klimawandel, Schule, Wohnen, Verkehr und Kriminalität.
Vier Optionen für NRW
Option I: Rot-Grün
Wüst-Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) hat bereits angekündigt, er wolle eine Regierung gegen die CDU bilden, auch wenn diese stärkste Partei wird und die Sozialdemokraten auf Platz zwei landen.
Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur mit ihrer Partei, die auch von der CDU umworben werden wird, kommt mutmaßlich die Rolle der Königsmacherin zu. Einen Kabinettsposten, am liebsten für das Super-Ministerium Wirtschaft und Klimaschutz, strebt Neubaur in der künftigen Regierung auf jeden Fall an.
Leichtere Absprachen mit Berlin
Für Rot-Grün (oder eine Ampel) spräche, dass sich Düsseldorf sicher leichter täte bei Absprachen mit der Bundesregierung in Berlin. Zudem gibt es bei der Grünen-Basis eine eindeutige Präferenz für ein Bündnis mit der SPD. Kutschaty sieht sich als Erneuerer – sozial, ökonomisch und ökologisch. Allerdings hat er es mit strukturkonservativen SPD-Bezirken insbesondere im Ruhrgebiet zu tun. Mit einer SPD-geführten Koalition dürfte es zu einem deutlichen Ausbau des Sozialstaats und zu beträchtlichen Mehrausgaben im Haushalt kommen. Die SPD verlangt mehr Geld für den Wohnungsbau, höhere Einstellungsgehälter für Lehrerinnen und Erzieher und eine höhere Besoldung im öffentlichen Dienst.
Eine spürbare Wende dürfte es unter Rot-Grün in der Verkehrspolitik geben: Die Grünen wollen alle Straßenneubauten auf den Prüfstand stellen. Auch schon geplante Autobahnprojekte sollen gestoppt werden. Die Mittel sollen für den Bau von Schienentrassen, Rad- und Fußwegen umgeschichtet werden.
Option II: Schwarz-Grün
Das Bündnis mit der Öko-Partei ist für Wüst die Top-Option auf den Machterhalt. Voraussetzung dafür ist ein klarer Wahlsieg der CDU. Insider sprechen von etwa vier Prozentpunkten Vorsprung, die sie vor der SPD liegen muss. Dafür betonte Wüst zuletzt die Erfolgsbilanz seiner Regierung bei den Themen Wirtschaft und Innere Sicherheit. Wüst gibt sich aber auch als Regierungschef, der die Lager – etwa im Strukturwandel – zueinander bringen kann.
Für Schwarz-Grün spricht, dass es für das Land neu wäre. Dass aber aus etwas bislang nicht Erprobtem ein Erfolgsmodell werden kann, hat sich in Schleswig-Holstein gezeigt. Der überragende Wahlsieg des dortigen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) am vorigen Sonntag war auch eine eindrucksvolle Bestätigung für die 2017 von ihm als Experiment gebildete Jamaika-Koalition.
Kröten schlucken für Schwarz-Grün
Sollte es jetzt in NRW zu einem schwarz-grünen Bündnis kommen, müsste die CDU wohl einige Kröten schlucken. Dazu zählen die von den Grünen geforderte Abschaffung der 1000-Meter-Abstandsregel für den Bau neuer Windkraftanlagen, die Solardachpflicht für Neubauten und der geplante Stopp beim Flächenverbrauch. Die nach 2017 von der FDP forcierten „Entfesselungspakete“ in der Umweltpolitik würden wohl rückabgewickelt.
In der Kohlepolitik wollen CDU und Grüne trotz der Versorgungskrise am Ausstiegsdatum 2030 festhalten. Einigkeit in dieser zentralen Frage könnte zu einer wichtigen Legitimation für Schwarz-Grün an der grünen Basis werden.
Innere Sicherheit bietet wenig Konfliktstoff
In Fragen der Inneren Sicherheit drohen weniger Konflikte, als es den Anschein haben könnte. Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Innen-Expertin der Grünen, Verena Schäffer, kommen gut miteinander klar. Zusätzliche Stellen bei der Polizei werden beide Seiten unterstützen.
Allerdings wollen die Grünen keine Taser für die Polizeibeamten. Der Law-and-Order-Kurs der CDU dürfte punktuell ausgebremst werden, wo Bürgerrechte und Versammlungsfreiheit tangiert sind.
Option III: Ampel
Ein Ampelbündnis käme in den Blick, wenn es für Rot-Grün allein nicht reicht. In diesem Fall dürfte es großen Druck aus Berlin auf die NRW-Grünenspitze geben, die Hauptstadt-Koalition an Rhein und Ruhr nachzubilden. Damit wären der Bundesregierung die sechs NRW-Stimmen im Bundesrat für Gesetzesvorlagen sicher. Die Grünen in NRW könnten zudem die Geschichte von der Ablösung des schwarz-gelben Lagers und eines Neustarts im Land erzählen.
Die FDP wiederum dürfte alles dafür tun, ihre Chance auf eine Regierungsbeteiligung im Rahmen einer Ampel zu wahren. Sie wird, sofern die prognostizierten Wahlverluste eintreffen, wohl kleinere Brötchen backen müssen. In einer Ampel würden sich die Liberalen weiterhin als Motor für Bürokratieabbau und Digitalisierung inszenieren.
Option IV: Jamaika
Ein Dreierbündnis von CDU, Grünen und FDP ist die unwahrscheinlichste Variante, weil sie für die Grünen, die am Sonntag mit den deutlichsten Stimmenzuwächsen rechnen können, die unattraktivste ist. Jamaika hätte für sie den Makel, dass sie Schwarz-Gelb „verlängern“ würden. Der Parteibasis wäre das kaum zu verkaufen. Und im Regierungsalltag drohten Konflikte, wenn die Grünen als neuer Akteur zu einem bewährten, von vertrauensvollem Umgang geprägten Duo aus Union und FDP stoßen würden.
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