Das Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx an Papst Franziskus lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Ich habe verstanden.So einfach das klingt, so schwierig, so mühselig war und ist es, an diesen Punkt zu gelangen. Marx ist selbst ein Beispiel dafür. Noch 2018, als die Bischöfe eine Studie zum Ausmaß des Missbrauchs und zu den strukturellen Ursachen vorstellten, verneinte er die Frage nach konkreter eigener Verantwortung. Auch keiner seiner 26 Mitbrüder hielt vor gut zwei Jahren einen Rücktritt als persönliche Konsequenz für geboten. Und Kardinal Rainer Woelki, der in Köln durch ein Gutachten Licht ins Dunkel eines Systems des Verschweigens, Vertuschens und Verharmlosens bringen wollte, bezeichnete einen Rücktritt noch im März als den falschen Schritt. „Das wäre nur ein Symbol.“ Marx zeigt nun, was gerade in der katholischen Kirche hinlänglich bekannt sein sollte: Symbole sind wichtig.
Die Institution Kirche ist kein anonymer Apparat
Bislang haben die Opfer sexuellen Missbrauchs genau darauf vergeblich gewartet. Seit mehr als zehn Jahren müssen sie erleben, wie die Aufarbeitung wieder und wieder in Frage gestellt oder gar ausgebremst wird. Das System Kirche erweist sich als sehr beharrlich und sehr widerständig. Dicke Schwielen liegen auf dem moralischen Sensorium einer Institution, die von ihrer Botschaft her aufs Höchste empfindlich sein müsste für den „Mord an Kinderseelen“, wie der Papst das in seiner typischen, bildmächtigen Sprache formuliert hat. Aber die Institution ist kein anonymer Apparat. Immer handeln in einem System Menschen, die es stabilisieren und verteidigen.
Dass das auch die moralische Verantwortung derer berührt, die heute in Ämtern und Würden sind, hat Marx in seltener Klarheit formuliert.
Es geht auch um Rainer Woelki
Zwar nannte er seinen Rücktritt mehrfach eine ganz persönliche Entscheidung. Doch Marx ist auch ein Politiker. Und so hat er erst gar nicht den Versuch unternommen, die politische Stoßrichtung seines Schrittes zu kaschieren.
In seinem Angriff auf die notorischen Leugner systemischer Zusammenhänge und die Gegner tief gehender Kirchenreformen fehlten im Grunde genommen nur die Namen. Rainer Woelki ist einer davon. Alles, was Marx über eine Verengung der Aufarbeitung auf Verfahrens-Kosmetik sagt, verbindet sich mit dem Agieren des Kölner Kardinals.
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Die Dringlichkeit und die Glaubwürdigkeit von Marx’ Kritik erreichen mit seinem Amtsverzicht ein ganz neues Niveau. Und damit auch der Druck auf Woelki und andere. Die Apostolische Visitation im Erzbistum Köln muss vor dem Hintergrund von Marx’ Demission in neuem Licht gesehen werden.
Aus den Abläufen ist klar: Bei der Entsendung der Kontrolleure nach Köln hatte der Papst auch Marx’ Lagebeschreibung vor Augen. Seine Erlaubnis, das Rücktrittsgesuch und Marx’ Erklärung zu veröffentlichen, ist nicht nur eine Art Beglaubigung. Der Inhalt wird vielmehr zu einer Botschaft aus Rom, die weit über das Erzbistum München hinausweist.