Köln – Der katholische Jugendverband KjG im Erzbistum Köln erhebt schwere Vorwürfe gegen Kardinal Rainer Woelki und die Bistumsleitung. Im Fall des Priesters und Seriensexualstraftäters Hans Ue., dessen Opfer zum Teil Mitglieder der KjG waren, habe das Bistum „die Betroffenen und den Verband mit ihren Sorgen, Fragen und Anliegen im Stich gelassen“, sagte die KjG-Diözesanleiterin Ina Neumann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Der heute 71 Jahre alte Ue. wurde im Februar wegen sexuellen Missbrauchs in 110 Fällen, begangen an neun minderjährigen Mädchen, zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Vom Ende der 1980er Jahre war Ue. mehr als ein Jahrzehnt an seinem Einsatzort in Gummersbach für die dortige KjG-Ortsgruppe zuständig und auch in der KjG-Region Oberberg aktiv. Von 1991 bis 1993 war Ue. überdies als Geistlicher Leiter der KjG auf Diözesanebene tätig.
Jugendverband bittet Erzbistum um Hilfe
Unmittelbar nach ersten Presseberichten über Missbrauchsvorwürfe gegen Ue. im November 2020 stieß die KjG-Leitung eine verbandsinterne Aufarbeitung an und bat das Erzbistum um Hilfe. „Ihnen in einer möglichen geistlichen Erschütterung oder spirituellen Krise beizustehen, hätte auch das Anliegen des Erzbischofs sein müssen", sagte Neumann. Aber es gab weder die von uns angefragte Beratung noch eine andere Unterstützung. Das Bistum war nur an Fakten und Informationen über weitere Opfer interessiert.“
Auch ein erneutes Drängen der KjG-Leitung beim damaligen Bistumsverwalter Rolf Steinhäuser vor der Urteilsverkündung gegen Ue. im Februar blieb im Ergebnis folgenlos. Steinhäuser war zwar zu einem Telefonat bereit, habe aber erklärt, er selbst könne die erbetene Unterstützung wegen des bevorstehenden Endes seines Interims und Woelkis Rückkehr ins Amt nicht mehr leisten. Auf zwei weitere Vorstöße bei Woelki persönlich per Mail Ende Mai und dann noch einmal Anfang Juni per Post hin gab es laut Neumann nicht einmal eine Eingangsbestätigung.
Das Erzbistum ging hierauf nicht ein, erklärte aber auf Anfrage, die Stabsstelle Intervention habe mit der KjG „unter anderem die formalen Meldewege besprochen und ihr angeboten, in kontinuierlichem Austausch zu bleiben. Alle Betroffenen könnten sich an die externen Ansprechpersonen des Erzbistums wenden. Diese vermittelten auch Hilfsangebote. Fachabteilungen des Generalvikariats stünden zudem für geistliche Begleitung von Betroffenen und die Begleitung von Gemeinden und Institutionen bereit, in deren Kreis Missbrauch bekannt geworden sei. Die Unterstützung Betroffener sei dem Erzbistum „ein großes Anliegen“.
Im laufenden Prozess gegen Hans Ue. habe das Erzbistum den Vorsitzenden Richter Christoph Kaufmann gebeten, „den Betroffenen auszurichten, dass die externen Ansprechpersonen des Erzbistums Köln jederzeit für sie zur Verfügung stehen", erläuterte die Pressestelle weiter. Diesem Angebot seien einige Betroffene bereits nachgekommen.
Öffentlicher Aufruf im Juni
Im Juni 2022 habe das Erzbistum dann einen Aufruf an weitere Betroffene veröffentlicht. Dies sei erst möglich gewesen, „nachdem das Urteil gegen Ue. rechtskräftig geworden war, um nicht in das laufende staatliche Verfahren einzugreifen".
Neumann sagte, das Erzbistum dokumentiere damit sein Festhalten an institutionellen und strukturellen Wegen der Aufklärung. Es sei aber gerade „nicht auf die von uns formulierten Bedarfe eingegangen. Von den Versprechen des Kardinals ist uns bis heute nicht das Geringste angekommen.“ Der bisherige geistliche Leiter der KjG, Philipp Büscher, sprach von einer „Riesenkluft zwischen Schein und Sein“. Es fehle an jeglichem Blick für „die Nöte, die Hilflosigkeit, die Überforderung“ so vieler Menschen, die als Jugendliche eng mit Ue. zu tun hatten.
KjG warnt vor dem Erzbistum unter Woelkis Führung
„Einen Satz wie ‚ihr bekommt, was ihr braucht‘ haben wir von unserem Bischof nie gehört“, kritisierte Neumann. „Statt auf die von uns formulierten Anliegen einzugehen, definiert das Erzbistum selbst den Bedarf und schafft sich seine eigene Realität. In der jetzigen Situation können wir guten Gewissens niemandem mehr empfehlen, sich an dieses Bistum unter der Führung von Kardinal Woelki zu wenden.“
Die Leiterin der Kontakt- und Informationsstelle „Zartbitter“, Ursula Enders, die inzwischen die KjG auf deren Initiative ehrenamtlich begleitet, bezeichnete das Verhalten des Erzbistums als „erneuten Verrat“ an allen jungen Menschen, die sich in der KjG engagiert hätten.
„Dass das Erzbistum Köln hier konkret keinerlei Unterstützung angeboten hat, ja noch nicht einmal Interesse an den aktuellen Belastungen gezeigt hat, zeugt von einer grundlegenden Herzlosigkeit“, sagte Enders dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nicht zuletzt würden damit auch die Eltern der Opfer allein gelassen, die oft unter dem Schuldgefühl litten, dem Täter vertraut und diesem ihre Kinder ausgeliefert zu haben.