Köln – Der Widerstand der Kirchenbasis im Erzbistum Köln gegen Kardinal Rainer Woelki erreicht eine neue Stufe. 140 Aktive aus der Düsseldorfer Pfarrgemeinde Sankt Margareta fordern Woelki in einem offenen Brief auf, der am 9. Juni geplanten Firmung in der Gemeinde fernzubleiben. Die Spendung des Sakraments „kann für uns nur jemand vollziehen, der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaubwürdig ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“, heißt es in einem offenen Brief, der überwiegend von engagierten Gemeindemitgliedern, aber auch von einigen hauptamtlich Tätigen unterschrieben wurde.
Unterzeichnerin ist auch die FDP-Bundestagsabgeordnete und frühere Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Als Bischof könne Woelki andere Geistliche beauftragen, die Firmung stellvertretend zu spenden. „Wir bitten Sie eindringlich, unser Anliegen zu hören und zu respektieren“, heißt es in dem an Woelki gerichteten Brief.
Die Pfarrei in Gerresheim ist die frühere Wirkungsstätte zweier Priester, die des Missbrauchs beschuldigt werden. Den Fall des verstorbenen Pfarrers O., eines guten Freundes von Woelki, hatte der Erzbischof 2015 nicht untersucht und nach Rom gemeldet. Den früheren Kaplan D. ernannte Woelki – trotz eines polizeilich einschlägigen sexuellen Kontaktes zu einem minderjährigen Strichjungen und weiterer Missbrauchsvorwürfe – im Jahr 2017 zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten.
Woelki durch Gutachten entlastet
In beiden Fällen kam das von Woelki in Auftrag gegebene Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke zu dem Ergebnis, dass Woelki sich keiner Pflichtverletzungen schuldig gemacht habe. Dagegen werten verschiedene Kirchenrechtler Woelkis Verhalten im Fall O. als Verstoß gegen päpstliche Normen.
Der Fall D. wiederum löste in weiten Teilen des Erzbistums Entsetzen aus. Kritiker sprechen hier von einem moralischen Versagen Woelkis und seines Generalvikars Markus Hofmann, der D.s Beförderung mit dem Hinweis verteidigt hatte, der Geistliche habe sich nicht strafbar gemacht, als er die Dienste des Prostituierten in Anspruch nahm. Hofmann sprach von einer zweiten Chance, die die Bistumsleitung dem Pfarrer gewährt habe.
„Unzureichende Aufklärung“ der Vorwürfe gegen Priester
Die Gemeinde Sankt Margareta sei „in den letzten Wochen und Monaten besonders betroffen von den offenkundig gewordenen Missbrauchsvorwürfen gegen Priester, die in unserer Gemeinde tätig waren“, heißt es in dem offenen Brief, Bis heute leide die Gemeinde unter der unzureichenden Aufklärung der Vorwürfe. Bei vielen Gemeindemitgliedern würden Erinnerungen an Übergriffe und Grenzverletzungen wach.
Im Fall von Pfarrer O., dem eine schwere Straftat an einem Kind vorgeworfen wird, sei Woelki seiner Verantwortung als Erzbischof und Vorgesetzter nicht gerecht geworden. „Die Befragung Ihres persönlichen Gewissens ist kein Ersatz dafür, kirchenrechtlich vorgeschriebene Verfahrenswege einzuhalten.“ Im Fall von Pfarrer D. sei dieser vom Erzbischof nur aufgrund äußeren Drucks von seinen Aufgaben entbunden worden.
„Viele sind empört“
„In der Gemeinde sind viele empört über dieses Verhalten", sagte Peter Barzel, Mitinitiator und Koordinator des Briefs, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das frühere Mitglied des Pfarrgemeinderats erinnerte daran, dass Woelki der dringenden Bitte um eine persönliche Erklärung zum Fall O. in dessen früherer Gemeinde über Monate nicht nachgekommen sei. Das habe auch der amtierende Pfarrer, Oliver Boss, öffentlich kritisiert. „Unser Brief soll kein Kirchen-Bashing sein“, betonte Barzel. „Vielmehr sind wir in großer Sorge um die Kirche und das Ehrenamt in der Kirche.“
Die juristische Aufarbeitung des Missbrauchsskandals reiche nicht aus, heißt es in dem von Barzel mitverantworteten offenen Brief weiter. „Wir brauchen auch eine systemische, moralische und theologische Aufarbeitung.“ Verantwortlich dafür sei die Bistumsleitung – und namentlich Woelki. „Wir können nicht erkennen, dass Sie diese Verantwortung wahrnehmen. Wir sind fassungslos und empört. Viele Engagierte denken sehr ernsthaft über einen Kirchenaustritt nach. Wir zweifeln nicht nur an unserer Kirchenleitung – wir haben das Vertrauen in Sie als Bischof verloren. Sie sind für uns – leider – nicht mehr glaubwürdig. Wir haben das Vertrauen verloren, dass mit Ihnen als Erzbischof ein wirklicher Neuanfang gelingen kann.“
Vor diesem Hintergrund fühlen sich die Unterzeichner des Briefs durch Woelkis Firmungsabsicht nach eigenen Worten ein weiteres Mal missachtet.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ trafen sich Vertreter der Gemeinde, den Vorsitzenden des Pfarrgemeinderats sowie Pfarrer und Kaplan eingeschlossen, am 6. Mai zu einer Videokonferenz, um über die bevorstehende Firmung zu beraten. Einhellig hätten die Teilnehmenden befunden, das Kommen des Erzbischofs sei derzeit nicht erwünscht.
Pfarrer dringt bei Woelki nicht durch
Die Gemeindeleitung und Mitglieder der Gemeinde hätten dann versucht, den Erzbischof von seinem Vorhaben abzubringen. Doch selbst Pfarrer Boss, der vor seiner Zeit in Düsseldorf als Nachfolger Woelkis Geheimsekretär von Kardinal Joachim Meisner war, gelang es in einem persönlichen Gespräch nicht, bei Woelki durchzudringen. Über den offenen Brief sei der Pfarrer vorab im Bilde gewesen, unterstrich Barzel.
Inzwischen hat Woelki lediglich das seit Monaten ausstehende Klärungsgespräch angeboten. Es soll am 27. Mai mit begrenzter Teilnehmerzahl stattfinden. Bis Montag konnten Gemeindemitglieder und andere Interessierte dem Pfarrgemeinderat Statements oder Fragen an Woelki zukommen lassen.
Journalisten unerwünscht
„Der Herr Kardinal soll ein möglichst breites Spektrum an Meinungen und Fragen aus der Gemeinde erhalten“, heißt dazu im aktuellen Gemeindeblatt. Journalistinnen und Journalisten wurden für das Gespräch laut offenem Brief von Woelki für unerwünscht erklärt. „Einen offenen Dialog auf Augenhöhe stellen wir uns anders vor“, heißt es in dem Schreiben.
Barzel äußerte den Verdacht, der Erzbischof wolle durch das nun eilends anberaumte Gespräch zu seinen Bedingungen die grundsätzlichen Bedenken gegen seine Person und Amtsführung unterlaufen und Kritikern in der Gemeinde den Wind aus den Segeln nehmen.
Gemeinde spricht von Instrumentalisierung
Woelkis Ansinnen, zur Firmung nach Gerresheim zu kommen, sieht der offene Brief zwar als verständlichen Versuch, den „verloren gegangenen Kontakt“ zur Basis aufzunehmen. Tatsächlich ist Woelki zurzeit auch andernorts im Erzbistum zu Firmungen unterwegs. „Aber damit instrumentalisieren Sie die Firmfeier“, hält der offene Brief dem Erzbischof vor. „Das darf nicht sein! Auch wir möchten die Firmung nicht durch Protestaktionen und eventuell anwesende Presse am Tag der Firmung instrumentalisieren. Dies würden Sie durch ein Festhalten an Ihrem Plan provozieren.“
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Die Firmung ist eines der sieben Sakramente der römisch-katholischen Kirche und damit eine ihrer zentralen Vollzüge. In der Firmfeier bekennen sich junge Katholiken öffentlich zu ihrem Glauben. Als Zeichen der Stärkung mit dem Heiligen Geist salbt der Bischof die Firmlinge mit geweihtem Öl und legt ihnen die Hände auf. Die Spendung des Firmsakraments gehört zu den vornehmsten Aufgaben des bischöflichen Amtes.
Ansinnen der Gemeinde ist dramatisch
Daraus wird die Dramatik des offenen Briefes und des Ansinnens erkennbar, dass Woelki der Düsseldorfer Gemeinde fernbleiben und die Firmung delegieren soll. Stadt- und Kreisdechanten im Erzbistum Köln hätten angeboten, anstelle der (derzeit wegen des Missbrauchsskandals beurlaubten) Weihbischöfe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp Firmungen zu übernehmen. Schwaderlapp ist für den Pastoralbezirk Nord und damit auch für die Landeshauptstadt Düsseldorf zuständig.
Die Aktiven aus Sankt Margareta fordern Woelki nun auf, auf dieses Angebot einzugehen. „Wir möchten weiterhin glaubwürdig für die Botschaft Jesu eintreten. Für uns wäre dies ein Zeichen der Demut, ein erster Schritt, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen, und ein kleiner Schritt in Richtung Neuanfang. Wir empfangen Sie gerne zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Tag der Firmung in unserer Gemeinde zum Gespräch – auf Augenhöhe, ohne Vorbedingungen und öffentlich.“