- Der Mord am Kassler Regierungspräsidenten Lübcke und die Drohungen gegen Kommunalpolitiker alarmieren die Politik.
- Der Kern der rechtsextremen Szenen ist in den letzten Jahren gewachsen.
- Wurde die Gefahr durch Neonazis erneut unterschätzt?
Köln – Ibrahim Yetim weiß, wie es sich anfühlt, bedroht zu werden. Der Landtagsabgeordnete ist der Sprecher für Integrationspolitik und kümmert sich um Flüchtlingsfragen. „Üble Beschimpfungen im Nazi-Jargon gegen Politiker sind in den sozialen Netzwerken leider an der Tagesordnung. Da bekomme ich persönlich zum Teil auch ein mulmiges Gefühl“, sagt der der gelernte Bergmechaniker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die aktuellen Drohungen seien der Versuch, vor der Kommunalwahl ein Klima der Angst zu schüren.
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und die Drohung, dass weitere Opfer folgen werden, alarmiert die Politik. Die Befürchtung, dass rechte Terrorzellen in Deutschland weitere Bluttaten verüben, löst eine große Verunsicherung aus. „Ich hoffe nicht, dass sich die Menschen, die sich zum Beispiel für Flüchtlinge engagieren, davon einschüchtern lassen“, sagt Ibrahim Yetim.
„Umfangreiche Schutzmaßnahmen sind nicht bei allen Kommunalpolitikern möglich“
Den Politiker aus Moers wundert, dass die rechtsterroristische Szene auch nach den langwierigen NSU-Ermittlungen „offenbar immer noch nicht richtig ausgeleuchtet“ sei: „Die Polizei kann nicht natürlich nicht alle Betroffenen aktiv beschützen. Aber ich erwarte, dass sie ihre Anstrengungen, zum Beispiel Spuren der Täter im Netz zu verfolgen, weiter ausbaut und die Bedrohungen ernst nimmt.“
Sebastian Fiedler ist Landesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW. „Da es der Polizei nicht möglich ist, bei allen NRW-Kommunalpolitikern umfangreiche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, muss sich die Polizei unter anderem darauf konzentrieren, die Absender der Drohmails zu ermitteln“, sagt der Kripo-Gewerkschafter dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Mit der Zentralstelle für Cybercrime der Kölner Staatsanwaltschaft und dem Cyber-crime-Kompentenzzentrum verfügen wir über ausgezeichnete Einheiten“, fügt Fiedler hinzu.
Harte Kern der rechtsextremen Szenen in den letzten Jahren gewachsen
„Dort sitzen Fachleute, die absolut fit sind. Wenn man weiß, wer hinter den E-Mails steckt, kann man besser einschätzen, wie ernst die Bedrohungen zu nehmen sind.“ Der harte Kern der rechtsextremen Szene sei in den letzten Jahren leider gewachsen. „Die Polizei tut alles Menschenmögliche, um Kommunalpolitiker zu schützen. Es wäre auch fatal, wenn die sich unter dem Eindruck der Drohungen zurückziehen würden. Dann hätten wir ein ernsthaftes Demokratieproblem.“
Ein großes Problem für die Polizei sei die Masse der Bedrohungen. Denn Mails ließen sich viel leichter in Massen verschicken als früher Briefe. Dazu kämen „zahlreiche Möglichkeiten, zu verschleiern, wer der tatsächliche Absender ist“. Entsprechende Anleitungen ließen sich im Internet finden. „Wenn man sich da nur einigermaßen auskennt, kann man die Ermittlungsarbeit erschweren. Sowas können heutzutage auch Amateure“, so Fiedler.
Köln stellt sich quer gegen gesellschaftlichen Rechtsruck
800 Kölnerinnen und Kölner folgten am Donnerstagabend dem Aufruf eines Bündnisses aus antifaschistischen, antirassistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen – und demonstrierten auf den Straßen der Stadt gegen Naziterror, Morde und Drohungen. Ziel der Demonstration war es auch, den gesellschaftlichen Rechtsruck als Grundlage des Mordes am ehemaligen niedersächsischen CDU-Politikers Walter Lübcke durch den Neonazi Stephan E. zu thematisieren. Die Demonstration begann um 18 Uhr am Rudolfplatz und zog durch die Innenstadt zum Bahnhofsvorplatz, wo eine Abschlusskundgebung stattfand. „Der kaltblütige Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke und die erneuten Morddrohungen gegen Oberbürgermeisterin Henriette Reker verlangen nach einer lückenlosen Aufklärung“, mahnt Witich Roßmann vom Sprecherkreis des Kölner Bündnisses gegen Rassismus „Köln stellt sich quer“. Das Bündnis fordert die Kölner Verfassungsschutzzentrale auf, die rechtsextremen Netzwerke, die hinter den Gewalttaten stehen, und die die Substanz einer demokratischen Gesellschaft untergraben, offen- und trockenzulegen. „Die Taten zeigen, dass wir es nicht mit rechtsextremen Einzelgängern zu tun haben.“
Tatsächlich werben in Deutschland und im Ausland etliche Mail-Dienste damit, dass man dort keine Datenspuren hinterlässt. Das ist praktisch und völlig legal, wenn man wirksam seine persönlichen Daten schützen möchte – wie es auch Regimekritiker und Journalisten in Diktaturen zu ihrem Schutz praktizieren. Dieser Datenschutz zieht aber auch Kriminelle und Extremisten an.
„Köln stellt sich quer“ setzt auf verstärkte Nachforschungen des Verfassungsschutzes
Das Bündnis „Köln stellt sich quer“ setzt auf verstärkte Nachforschungen des Verfassungsschutzes beim Kampf gegen rechtsextreme Netzwerke. Man sei entsetzt über die Bedrohung Rekers, heißt es: „Trotz dieser bedrohlichen Situation für sie und ihre Familie möchten wir die OB in ihrer Absicht bestärken, sich weiterhin und noch energischer für Menschenrechte und Demokratie und gegen Rassismus, rechte Hetze und Gewalt einzusetzen“, sagt der Kölner DGB-Chef Witich Roßmann. Polizei, Verfassungsschutz und auch Teile der Politik hätten rechts motivierte Gewalttaten, Attentate und Morde bagatellisiert und versucht, sie als Einzeltaten darzustellen.
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Christian Dahm, Vize-Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag, verlangte eine härteres Vorgehen der Justiz gegen die Absender von Drohmails: „ Wichtig ist, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaften diese Straftaten effektiver verfolgen und bestehendes Recht konsequent durchsetzen können“, sagte Dahm unserer Zeitung. Verena Schäffer, Innenexpertin der Grünen, erklärte, allein im Jahr 2018 habe die Polizei über 200 politisch rechts motivierte Gewaltdelikte in NRW verzeichnet: „Deshalb sind alle Demokraten aufgefordert zusammenzustehen, menschenverachtenden Äußerungen die rote Karte zu zeigen und dem politischen Rechtsruck Stand zu halten.“