Land und Bund streiten um den beschleunigten Autobahn-Ausbau - die Fronten sind verhärtet.
Vollgas oder Standstreifen?Um den Autobahn-Ausbau in NRW tobt ein Dauerstreit
So leicht gibt sich Oliver Krischer nicht geschlagen. Auch wenn der grüne Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen für die Autobahnen im bevölkerungsreichsten Bundesland gar nicht zuständig ist, seit die Autobahn GmbH im Januar 2021 deutschlandweit das Kommando für die Sanierung und den Ausbau übernommen hat, legt er sich immer wieder mit dem Bund an. Zuletzt Mitte April, als ein brisanter Brief aus Berlin auf seinem Schreibtisch landete.
Der Absender, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), verlangte darin, Krischer möge ihm innerhalb weniger Tage einen Freifahrtschein zum beschleunigten Ausbau von 66 Autobahnabschnitten in NRW mit einer Länge von 388 Kilometern ausstellen, die der Bund als Stauschwerpunkte ausgemacht habe. Die meisten davon auf der Rheinschiene und im Ruhrgebiet. Darunter auch der Ausbau der Megastelze auf der A 1 in Leverkusen, des Leverkusener Kreuzes und der A 3 auf acht Fahrspuren zwischen Opladen und dem Kreuz Hilden.
Wie will Wissing 873 marode Autobahnbrücken sanieren?
So könne man mit ihm nicht umgehen, polterte Krischer, der seit Januar als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz der Länder immerhin etwas mehr politisches Gewicht auf die Waage bringt, und machte seinem Ärger öffentlich Luft. „Warten wir erst einmal ab, ob der Bundesverkehrsminister überhaupt ausreichend personelle Kapazitäten zur Verfügung hat, um alle Autobahnprojekte auf der Liste und die Brückensanierungen überhaupt in Angriff zu nehmen, oder ob es sich nicht doch wieder nur um Planungsfriedhöfe handelt.“
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Und überhaupt würde er gerne mal wissen, wie Wissing in den kommenden zehn Jahren 873 marode Autobahnbrücken in NRW zu sanieren gedenke. „Was nützt eine zehnspurige Autobahn, wenn sie vor einer Brücke endet, die wegen Baufälligkeit gesperrt ist?“
Am Ende hat Krischer der Liste doch zugestimmt, hält die Kritik am Vorgehen der Bundesregierung aber aufrecht. „Der Bund ist aus guten Gründen allein zuständig für die Autobahnen.“ Es sei eine Farce, von der Landesregierung mit einem Vorlauf von zehn Tagen zu verlangen, das Einvernehmen zu erteilen, „ob die komplexen Regeln eines veränderten Planungsrechts auf die komplette Liste angewandt werden sollen. Wir wollen dem Bund keinen Vorwand liefern, die Verantwortung für sein Handeln und seine Fehler auf das Land abzuwälzen.“
Und vor allem keinen Krach in der schwarz-grünen Koalition mit Ministerpräsident Hendrik Wüst riskieren, der zwischen 2017 und Ende 2021 als Verkehrsminister dafür gesorgt hatte, dass die Sanierung des maroden Fernstraßennetzes in NRW Fahrt aufnehmen konnte.
Krischer will keine Planungsfriedhöfe
Diesen Konflikt für Projekte einzugehen, die am Ende doch auf einem der vielen „Planungsfriedhöfe“ landen, erschien seinem grünen Nachfolger ein sinnloses Unterfangen. Bei der Frage, wie sich die Verkehrsprobleme im Transitland NRW lösen lassen und zeitgleich die zur Erreichung der Klimaschutzziele notwendige Verkehrswende vorangetrieben werden soll, gibt es für Krischer nur einen Weg. Das dichte Netz an Autobahnen auf Vordermann zu bringen, bevor man das Wort „Neubau“ überhaupt in den Mund nimmt. „Wir wollen ja auch noch die Eisenbahn sanieren und komplett ausbauen.“
Der Bundesverkehrswegeplan bestehe zu zwei Dritteln aus „Wünsch-Dir-was-Projekten“, sagt Krischer. Der Bund habe sich in der Vergangenheit viel zu sehr auf den Neubau fokussiert. Auch deshalb seien Probleme wie bei der Rahmede-Talbrücke an der A 45 entstanden, die wegen Einsturzgefahr vor 19 Monaten von einem auf den anderen Tag gesperrt werden musste. Am 7. Mai wurde sie gesprengt. Bis der Neubau steht, könnten bis zu fünf Jahre vergehen.
Wissing kann der Ausbau gar nicht schnell genug gehen
Die Fronten sind verhärtet. Wissing hält an den Ausbauplänen fest, sein Ministerium wirbt offensiv für die bundesweit 145 Projekte, von denen der überwiegende Teil in NRW liegt. Das Bundesamt für Logistik und Mobilität rechne in der Zukunft mit wesentlich mehr Transportverkehr auf deutschen Straßen. „Es sprechen gute Argumente dafür, dass wir unsere Straßen ertüchtigen. Wir erwarten im Jahr 2024 eine Steigerung des Transportaufkommens auf der Straße von 50 Millionen Tonnen“, sagt Wissing.
Die langfristige Verkehrsprognose seines Ministeriums aus dem März sagt bis zum Jahr 2051 eine Steigerung der Güterverkehrsleistung von 46 Prozent voraus. Am stärksten werde der Güterverkehr auf der Straße wachsen – um 54 Prozent. „Es geht um die Frage: Wie schnell soll Deutschland sein? Ich bin der Meinung: Es kann gar nicht schnell genug sein.“
Ein kurzer Blick ins Rheinland genügt, um zu erkennen, dass alles auf einmal gar nicht angepackt werden kann, wenn man den Kollaps des Fernstraßennetzes verhindern will.
In den alten Bundesländern ist bis 2005 einiges liegengeblieben
„Durch die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ist im Westen bis 2005 einiges liegengeblieben“, warnte unlängst Reinhard Maurer, Experte für Betonbau und Statik, bei einer Anhörung im Untersuchungsausschuss des Landtags, der sich mit der Sperrung der Rahmede-Talbrücke befasst. „Dadurch ist ein Riesen-Rückstau entstanden. Das sind die Probleme, die wir heute haben. Man kann nicht alles auf einmal machen. Dazu haben wir weder die Ressourcen noch die Kapazitäten.“
Sein Kollege, Brückenexperte Gero Marzahn und Referatsleiter im Bundesverkehrsministerium, hat dieser Auffassung nicht widersprochen. Es müsse in den nächsten zehn Jahren wenigstens gelingen, „die wichtigsten Strecken abzuarbeiten“ und dabei die Ausweichrouten „möglichst nicht anzupacken“.
Leverkusen gibt den Widerstand nicht auf
Sollte die neue Leverkusener Rheinbrücke mit ihren baugleichen Zwillingen tatsächlich Ende 2027 oder 2028 fertig werden, stehen der Neubau der Fleher Brücke in Düsseldorf, der Rodenkirchener Brücke in Köln und die Sanierung des Bonner Tausendfüßlers an. Und wie lange die A1-Stelzen in Leverkusen noch mitspielen, wenn ab Anfang 2024 wieder schwere Lastwagen über sie fahren können, ist völlig offen.
In Leverkusen gibt man den Widerstand gegen den geplanten Ausbau der Megastelze an der A 1 nicht auf. Mehr als 11.000 Unterschriften hat die Initiative „Keinen Meter mehr“ gesammelt. Ihr Ziel ist klar formuliert: Die Planungen für den oberirdischen Ausbau der Autobahnen A 1 und A 3, beides Projekte, die ganz oben auf der Liste der beschleunigten Bauvorhaben von Wissing stehen, müssen sofort gestoppt werden. „Wir wollten die Unterschriften eigentlich am Fronleichnamstag in Berlin übergeben, weil dort ja kein Feiertag ist“, sagt Gisela Kronenberg, die als Einzelabgeordnete im Leverkusener Stadtrat sitzt.
„Wir haben aber keinen Termin bekommen. Weder bei Herrn Wissing noch bei seinem Staatssekretär. Wir haben den Eindruck, dass man uns derzeit einfach ignoriert.“
Für die A3 rückt eine kleine Lösung mit der Standstreifenfreigabe näher
Jetzt will das Bündnis, dem die Ratsfraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und Opladen Plus angehören, nach den Sommerferien einen neuen Anlauf nehmen und hofft auf einen Gesprächstermin im Oktober.
Die Wissing-Liste der beschleunigten Ausbauprojekte müsse mit ganz heißer Nadel gestrickt worden sein, glaubt Kronenberg. Beim geplanten beschleunigten Ausbau der A 3 auf acht Spuren zwischen den Kreuzen Leverkusen und Hilden enthalte sie einen kleinen, aber entscheidenden Fehler. „Die haben die 2000 Meter zwischen der Ausfahrt Leverkusen und dem Kreuz wohl vergessen“, sagt Kronenberg.
Dem sei nicht so, widerspricht Sebastian Bauer, Sprecher der Niederlassung Rheinland der Autobahn GmbH. Aus verkehrlichen Gründen werde der Ausbau der A 3 im Bundesverkehrswegeplan anders als in der Wissing-Liste in drei Einzelprojekten geplant: zwischen Leverkusen-Opladen und dem Kreuz Hilden sowie zwischen Leverkusen-Zentrum und Opladen. Auch das Hildener Kreuz sei ein eigenes Projekt.
Ob der achtspurige Ausbau jemals kommen wird, ist völlig unklar. Und warum es auf die Liste der zu beschleunigenden Projekte gelandet ist, ebenfalls.
Bürgerinitiative „3reicht“ schöpft Hoffnung
Die Autobahn GmbH hat vorgeschlagen, zwischen Opladen und Hilden zunächst nur die Freigabe des Seitenstreifens in Angriff zu nehmen. Eine Machbarkeitsstudie liegt dem Bundesverkehrsminister bereits vor. „Derzeit erstellen wir dazu weitere Unterlagen“, sagt Bauer. Diese kleine Lösung hätte den Vorteil, dass sie deutlich schneller umgesetzt werden könnte. Ob dann in ferner Zukunft der achtstreifige Ausbau überhaupt noch erforderlich ist, sei eine politische Entscheidung. „Solange das Projekt im Bundesverkehrswegeplan steht, werden wir es weiterverfolgen.“
Das klang vor zwei Jahren noch anders. Damals ging die Autobahn GmbH in einer ersten Studie davon aus, dass sich durch den Vollausbau Staus und Behinderungen, die mit rund 89.000 Stunden pro Jahr berechnet wurden, um knapp 85 Prozent verringern ließen, bei der temporären Freigabe der ausgebauten Seitenstreifen jedoch nur um 15 Prozent. Der Ausbau der Standstreifen sei nur eine zeitlich begrenzte Lösung. Heute glaubt Sebastian Bauer, dass der Weg, den die Bürgerinitiative „3 reicht“ verfolgt, durchaus zum Erfolg führen könnte.
Für Karl-Wilhelm Bergfeld von der Bürgerinitiative „3 reicht“ ist das schon ein Erfolg. „Alle wollen die kleine Lösung, weil sie deutlich schneller kommt und zu einer großen Entlastung führen wird.“ Seit mittlerweile vier Jahren kämpft die kleine Initiative gegen die Großen und weiß mehrere Kommunen entlang der A 3, darunter Hilden, Langenfeld, Leichlingen, Solingen und den Kreis Mettmann an ihrer Seite. Auch die Industrie- und Handelskammer Düsseldorf und die Bergische IHK haben den Bundesverkehrsminister schon im Januar aufgefordert, die Freigabe der Seitenstreifen als schnelle Lösung endlich in Angriff zu nehmen. Was zwischen Hilden und Ratingen Ost erfolgreich funktioniere, müsse doch auch zwischen Opladen und dem Hildener Kreuz machbar sein.
Es sei „ein erstaunlicher Vorgang“, dass nicht einmal mehr die Industrie- und Handelskammern der Region in Sachen A3-Vollausbau mit einer einheitlichen Stimme sprechen . „Die Wirtschaft hat offenbar verstanden, dass die große Variante über viele Jahre ein noch größeres Verkehrschaos nach sich ziehen wird. Das kann nicht in ihrem Interesse liegen. Nur die Kölner IHK fährt noch auf dem alten Kurs“, sagt Bergfeld. Und das Bundesverkehrsministerium.