Im Streit um den richtigen Kurs in der Flüchtlingsfrage bemühen sich Politiker auf Bundes- und Landesebene um eine Versachlichung der Debatte.
NRW-Politiker wollen Debatte um Flüchtlinge entschärfen„Wir müssen den Kern des Asylrechts verteidigen“
Immerhin. Nach den Zahnarzt-Äußerungen von CDU-Parteichef Friedrich Merz ist der Ton in der Migrationsdebatte nicht nur innerhalb der CDU deutlich nachdenklicher geworden. Neben NRW-Innenminister Herbert Reul, der im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland („Kölner Stadt-Anzeiger“) dazu aufgerufen hatte, dass „alle, die ein bisschen was im Kopf haben“, sich „zusammenraufen und anfangen“ müssten, „ein paar Wahrheiten auszusprechen und Lösungen zu finden“, um der AfD nicht noch mehr Wähler zuzutreiben, ist das auch Karl-Josef Laumann zu verdanken.
Der Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, mehr als 50 Jahre CDU-Mitglied, beinahe ein Vierteljahrhundert Chef des Arbeitnehmerflügels und das soziale Gewissen seiner Partei, hat schon in der vergangenen Woche bei einer Pressekonferenz der CDU in Berlin, in der es eigentlich um die Aktivrente gehen sollte, klare und versöhnliche Worte in der Migrationsdebatte gefunden.
„Individuell gute Gründe“, nach Deutschland zu kommen
„Wir sehen eine Zuwanderung von 5000 bis 6000 Leuten pro Woche in Nordrhein-Westfalen. Die Flüchtlingsministerin muss sehen, dass sie das irgendwie hinkriegt. Es fällt ihr immer schwerer.“ Es gebe sicherlich „individuell gute Gründe“, nach Deutschland zu kommen. Auch große Armutsprobleme. Aber die seien nicht durch das Asylrecht gedeckt.
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„Es ist Aufgabe von Christdemokraten, den Kern des Asylrechts in Deutschland zu verteidigen, aber auch dafür zu sorgen, dass wir in der Bevölkerung eine vernünftige Akzeptanz behalten“, sagt ein nachdenklicher Laumann. „Ich habe das Gefühl, dass da zurzeit etwas kippt. Und zwar nicht bei irgendwelchen Irren, sondern bei Menschen, die in ihrer Lebensbiografie bewiesen haben, dass sie diejenigen, die zu uns kommen, sehr unterstützen. Und die ein vernünftiges Menschenbild haben.“
Entwicklungen, die dahin führten, dass das „beste Asylrecht der Welt irgendwann infrage gestellt wird“, müssten Politiker „früh genug erkennen, um die Gesellschaft so zu steuern, dass es dazu erst gar nicht kommt“, sagt Laumann. „Solange ein Mensch hier ist, wird er vernünftig behandelt. Wenn ein ausländisches Kind hier ist – und wir haben jedes Kind gern und jedes Kind lieb und wir werden alles tun, dass es einen guten Kitaplatz kriegt, dass es gut in der Schule ist, so gut wie wir können.“ In NRW seien aber aktuell 100.000 Kinder in den Schulen, „von denen wir vor zwei Jahren noch gar nicht wissen konnten, dass sie in unsere Schulen kommen. Die Lehrer kommen nicht von den Bäumen. Schulklassen und Schulen kann man auch nicht einfach so vergrößern. Wir sind in vielen Bereichen an den Grenzen unserer Kapazitäten angekommen. Das spüren die Menschen. Und deswegen muss diese Debatte geführt werden. Als jemand, der 50 Jahre in der CDU ist, würde ich mir sehr wünschen, dass sie von allen Parteien der politischen Demokratie gemeinsam geführt wird.“
Er könne jedem Bundestagsabgeordneten nur raten, mal seine Kommunalpolitiker zu befragen. „In jedem Gemeinderat, in jedem Kreistag streiten sich die Parteien über diese Frage gar nicht mehr“, sagt Laumann. „Und dann könnten wir endlich zu Lösungen in Deutschland kommen, die dafür sorgen, dass sich unsere Gastfreundschaft konzentriert auf wirklich verfolgte Menschen.“
Odenthaler Bürgermeister stimmt Reul zu
Einer dieser Kommunalpolitiker ist Robert Lennerts, Bürgermeister der Gemeinde Odenthal im Rheinisch-Bergischen Kreis. Herbert Reul habe „absolut recht“, sagt er. „Die Kommunen gehen am Krückstock und nirgendwo ist eine Lösung in Sicht. Dass dies jetzt endlich auch ein politisches Schwergewicht in der Landespolitik in aller Deutlichkeit ausspricht, war längst fällig.“ Den Worten jedoch müssten „jetzt auch Taten folgen“.
In Odenthal jedenfalls würden die Geflüchteten mittlerweile „gestapelt“, hatte die örtliche Integrationsbeauftragte zuletzt beklagt. Etwa 180 Personen könne man menschenwürdig unterbringen, mittlerweile seien es mehr als 500, so Lennerts. Es brauche „eine Begrenzung von Zuwanderung, sodass die Kommunen die Möglichkeit haben, die Menschen vernünftig aufzunehmen.“ Wenn das gewährleistet sei, „wenn eben nicht immer mehr Menschen kommen würden und versorgt werden müssten, dann können wir es auch wieder schaffen“, so Lennerts. In Odenthal sei man auf einem sehr guten Weg gewesen. „Jetzt bricht das alles wieder zusammen, wodurch auch der soziale Frieden immer weiter unter Druck gerät und gefährdet ist.“
Natürlich fehle es an Geld, um etwa neue Kitaplätze oder Aufnahme-Kapazitäten aufzubauen. Aber es gebe auch schlichtweg kein weiteres Personal mehr, das in solchen Einrichtungen arbeiten könnte. „Und die Leute, die wir haben, die kommen zu mir, um ihre Verzweiflung und Frustration zu schildern.“
Bei der für das Flüchtlingsthema verantwortlichen NRW-Ministerin Josefine Paul (Grüne) stoßen Bürgermeister wie Robert Lennerts zwar auf Verständnis, aber auch beim Land reicht das Geld hinten und vorn nicht. Und das trotz der 808 Millionen Euro, die in der vergangenen Woche vom Land an zusätzlicher Unterstützung zugesichert wurden.
Josefine Paul: Bund muss Migration besser steuern
Um die Kommunen zu entlasten, müsse der Bund die Migration besser steuern und einen verlässlichen Beitrag leisten, der sich nach den Zuzugszahlen richte, heißt es auf Anfrage. „Bund, Länder und Kommunen bilden eine Verantwortungsgemeinschaft, in der auch der Bund seinen verlässlichen Beitrag leisten muss. Dass der Bund nun zusätzlich auch noch die Mittel bei der Migrationsberatung um 30 Prozent kürzt, ist gerade in der aktuellen Situation kein gutes Signal.“
Verena Schäffer, Vorsitzende der Landtagsfraktion der Grünen, sagt, sie sei „dankbar für jede Form der Versachlichung, denn wir sind als demokratische Parteien mit unseren unterschiedlichen Positionen gefordert, gemeinsam Antworten zu liefern. Wichtig ist jetzt vor allem, die Kommunen bei der Unterbringung und Integration der Geflüchteten zu unterstützen.“
Die überwältigende Mehrheit der Bürger in NRW sei bereit, „Menschen in Not zu helfen und geht rechten Hetzern nicht auf den Leim“, sagt Jochen Ott, Fraktionschef der SPD im Landtag. Die demokratischen Parteien müssten „weiterhin dringend darauf achten, nicht Stammtischparolen der rechten Populisten zu übernehmen oder mit Unwahrheiten zu argumentieren – „auch nicht in einem Wahlkampf im Eifer des Gefechts“, so Ott.
Die Landesregierung schaffe es seit einem Jahr nicht einmal, die versprochene Zahl an Landesunterkünften zur Verfügung zu stellen. „Die jetzt zugesagten 3000 zusätzlichen Plätze reichen doch hinten und vorne nicht, zumal uns die Landesregierung diese Plätze eben schon seit fast einem Jahr verspricht. Die Kommunen fordern insgesamt mehr als 70.000 Plätze“, so Ott.
NRW-Innenminister Herbert Reul habe nach Monaten „offensichtlich den Ernst der Lage erkannt und öffnet sich für probate Lösungen“, sagt Henning Höne, Fraktionsvorsitzender der FDP im NRW-Parlament. „Jetzt müssen noch die gesamte NRW-CDU und der grüne Koalitionspartner überzeugt werden.“ Unkontrollierter Zuzug sei langfristig weder für die Ankommenden noch für die Gesellschaft tragfähig sein. „Es ist vernünftig, alle Anreize zum Asylmissbrauch abzuschaffen. Wir wollen deshalb, dass das Sachleistungsprinzip umfassend in NRW greift. Asylbewerber sollten kein Bargeld mehr erhalten. Wir setzen auf Prepaid-Karten, bei denen eine Bargeldabholung ausgeschlossen ist.“