Die Debatte darüber, wie Sexarbeit in Deutschland geregelt werden soll, ist neu entflammt. Im Kern geht es darum, wie man Prostituierte am besten schützt.
Prostitutionsverbot nach Nordischem Modelll Sexarbeit in Deutschland – regulieren oder verbieten?
„Deutschland ist ein Hort für Menschenhandel“, mit diesem Satz hat die CSU-Politikerin Dorothee Bär eine Debatte angestoßen, das war Ende vergangenen Jahres. Nun hat jüngst der Bundestag erneut über die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einem Sexkaufverbot in Deutschland debattiert. Die Union argumentiert in ihrem Antrag, das Prostitutionsgesetz von 2002 sei gescheitert. Die Bedingungen für die Betroffenen zu verbessern, sei nicht gelungen. Tatsächlich habe sich die Situation seitdem erheblich verschlechtert.
In der Diskussion, wie Sexarbeit reguliert werden sollte, spielen die oft prekären Lebensumstände von Prostituierten eine große Rolle, es geht um Gewalt, Zwang, Abhängigkeit. Vor diesem Hintergrund sprechen sich neben Politikern im Bundestag auch EU-Parlamentarier für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells aus.
Was das Nordische Modell bedeutet
Das Konzept stammt aus Schweden und bestraft den Kauf sexueller Dienstleistungen. Bordelle müssten schließen, Prostituierte blieben jedoch straffrei. Ziel ist es, Ausbeutung und Menschenhandel einzudämmen. Zudem sieht es etwa Angebote zum Ausstieg aus der Sexarbeit vor.
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Prostitution in der Realität
Die Lebensumstände von Prostituierten unterscheiden sich stark. Die Bandbreite reicht von jenen, die ihre Arbeit als regulären Beruf betrachten, den sie freiwillig ausüben und der ihnen ein gutes Einkommen ermögliche, bis zu Fällen extremer Verarmung. Etwa bei drogenabhängigen Prostituierten, die ihren Körper auf der Straße für wenig Geld anbieten und gewalttätigen Freiern ausgesetzt sind.
„Das sind Menschen, die sich nicht als Prostituierte verstehen, sondern die anschaffen gehen, um ihren Lebensunterhalt und ihre Sucht zu finanzieren“, sagt Ute Theisen, Vorstandsvorsitzende des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF) Köln. Der Sozialdienst kümmert sich seit seiner Gründung im Jahr 1900 um Frauen in der Prostitution.
Wie viele Menschen in Deutschland als Prostituierte arbeiten, ist unklar, obwohl das Prostituiertenschutzgesetz eine Registrierung vorschreibt. Ende 2022 waren 28.280 Prostituierte offiziell registriert, während inoffizielle Schätzungen von etwa 400.000 ausgehen. Eine neue Studie, die die Anzahl der Prostituierten in 14 deutschen Städten untersuchte, schätzt, dass auf jede registrierte Sexarbeiterin etwa 2,14 nicht registrierte kommen, was einer Gesamtzahl von 88.800 entspricht. Theisen argumentiert jedoch, dass eine verlässliche Zahl aufgrund der Fluidität des Feldes nicht möglich sei.
Befürworter des Nordischen Modells: Missstände durch Menschenhandel und Zwang
Seit 2002 gilt Prostitution in Deutschland als normales Gewerbe und nicht mehr als sittenwidrig. 2017 wurde das Prostituiertenschutzgesetz eingeführt, das hauptsächlich gewerbliche Vorschriften enthält. Seitdem benötigen Bordelle eine Betriebserlaubnis; Prostituierte sind verpflichtet, ihre Tätigkeit anzumelden und regelmäßig Gesundheitsberatungen zu besuchen.
Deutschland habe sich laut der SPD-Politikerin Antje Grotheer seitdem zu „Europas Bordell“ entwickelt, mit systematischer Ausbeutung von Frauen. Menschenhandel, Zwangsprostitution und organisierte Kriminalität hätten ein neues Ausmaß erreicht. Auch Kanzler Scholz hatte sich offen für ein Sexkaufverbot in Deutschland gezeigt. Es sei nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen, so Scholz.
Das Bündnis Nordisches Modell (BNM) sieht Prostitution als unvereinbar mit der Menschenwürde und der Geschlechtergleichheit an, deshalb müsse sie verboten werden. Grotheer betont in diesem Zusammenhang, dass echte Gleichberechtigung nicht erreicht werden könne, solange Menschen, hauptsächlich Frauen, für Sex gekauft werden können.
Das BNM betont, dass die Rolle der Freier in der Debatte um ein Prostitutionsverbot stärker herausgestellt werden müsse. Diese beständen auf die bezahlte Dienstleistung, selbst wenn Widerwillen und Schmerzen erkennbar seien, so der BNM. „Freier schaden den Prostituierten und befördern mit ihrer Nachfrage den Menschenhandel. Denn mit der Übergabe des Geldes denken sie, sie hätten ein Zugriffsrecht auf den Körper eines anderen Menschen.“
Das sagen Gegner des Nordischen Modells – „Verbot macht Sexarbeit unsichtbar und hilft niemandem“
Der Kritik, die Gesetzgebung habe Menschenhandel und Zwangsprostitution gefördert; ein Zustand, der durch die Legalität der Prostitution leichter verschleiert werden könne, hält der SkF Köln Argumente entgegen. Das Prostitutionsgeschehen müsse so transparent wie möglich bleiben, um Betroffene zu erreichen und wenn nötig, auf Zwang und Gewalt reagieren zu können.
„Es ist unerlässlich, dass sich die Prostituierten diskriminierungsfrei und ohne Angst an Beratungsstellen wenden können, wenn sie Gewalt ausgesetzt sind oder Hilfe benötigen. Aus diesem Grund sind Transparenz und eine Entstigmatisierung in der Gesellschaft wichtig – ein generelles Prostitutionsverbot wäre da schlicht kontraproduktiv“, sagt Sozialdienstvorständin Ute Theisen.
„Ein Verbot hilft niemandem. Es würde nur dazu führen, dass sich die Probleme für Prostituierte verschlimmern, da prekäre Situationen entstehen, sie unsichtbar werden und die Sozialarbeit erschwert wird“, sagt Kolja Nolte. Er ist Sprecher des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, der seinen Sitz in Köln hat, und selbst seit elf Jahren als Sexarbeiter tätig.
Die Corona-Pandemie habe zudem gezeigt, welche Auswirkungen ein Berufsverbot für die Szene bedeute. „Das damals eingeführte Prostitutionsverbot führte dazu, dass viele Menschen in die Illegalität abgedrängt wurden, schlechtere Arbeitsbedingungen hatten, weniger geschützt und für uns nur noch schwer erreichbar waren“, sagt Theisen.
Viele Menschen, vor allem Frauen, arbeiten in der Prostitution, weil sie Geld für sich, ihre Familie oder Kinder verdienen müssen. „Ein Verbot der Prostitution würde diesen Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen und ihre Situation noch prekärer machen. Daher: Regulierung der Sexarbeit ja, Verbot nein.“