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Minister will Passagierrechte stärkenAnnullierung bringt Fluggästen bis zu 600 Euro – Klageflut an Kölner Amtsgericht

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Verspätungen und Flugausfälle gehören zum Alltag an den deutschen Flughäfen. NRW will es den Airlines jetzt erschweren, sich um berechtigte Ausgleichszahlungen herumzudrücken.

Verspätungen und Flugausfälle gehören zum Alltag an deutschen Flughäfen. NRW will es den Airlines jetzt erschweren, sich um berechtigte Ausgleichszahlungen herumzudrücken.

Köln ist bundesweit Spitzenreiter bei den Klageverfahren. Aber Flugpassagiere haben es schwer, ihre Ansprüche aus Verspätungen und Flugausfällen durchzusetzen. NRW-Justizminister Benjamin Limbach kündigt jetzt eine härtere Gangart gegenüber den Airlines an.

Das Ehepaar Müller wollte dem kalten Februarwetter entfliehen und hat einen Flug nach Gran Canaria gebucht. Doch der Start in den Urlaub verläuft nicht wie geplant. Aufgrund eines Wintereinbruchs müssen am Flughafen Köln/Bonn alle Flugzeuge enteist werden. Der Flugplan gerät durcheinander, es kommt zu erheblichen Verzögerungen beim Abflug. Die Folge: Die Müllers kommen mit einer Verspätung von vier Stunden auf Gran Canaria an. Der Vorgang kann für die Airline teuer werden. Denn die Müllers haben nach Artikel 7 der Fluggastrechte-Verordnung Anspruch auf eine Ausgleichsleistung in Höhe von 400 Euro pro Person.

Kein Wunder, dass die meisten Fluggesellschaften sich um solche Zahlungen gerne herumdrücken würden. Nicht nur Verspätungen verursachen Kosten – wenn Flüge annulliert werden, können Passagiere bis zu 600 Euro geltend machen. Flugpassagiere haben es aber immer noch zu schwer, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. „Denn reine Hartnäckigkeit bei der Abwehr von Kundenansprüchen darf sich nicht lohnen“, sagt NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Oft würden Zahlungen auch in eindeutigen Fällen erst mit erheblicher Verzögerung oder nach Einschaltung der Gerichte erfolgen.

Benjamin Limbach, Minister der Justiz von Nordrhein-Westfalen, spricht bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf.

Benjamin Limbach, Minister der Justiz von Nordrhein-Westfalen, sagt: „Reine Hartnäckigkeit bei der Abwehr von Kundenansprüchen darf sich nicht lohnen.“

Im Jahr 2023 lag die Zahl der Neuzugänge bei den Fluggastrechteverfahren in NRW bei 52.993 Verfahren – das ist ein Anstieg um 24.854 Verfahren binnen eines Jahres. Dies erklärt auch den enormen Anstieg bei den Zivilverfahren in 2023 von 189.040 auf 216.001 Fälle.

Im Jahr 2024 gab es allein beim Amtsgericht Köln 40.809 Neuzugänge in Fluggastrechtesachen (gegenüber 36.687 im Jahr 2023 und 17.377 im Jahr 2022). Das Amtsgericht Köln ist aufgrund des zum Bezirk gehörigen Flughafens Köln/Bonn und des Firmensitzes von mehreren Fluggesellschaften bundesweit Spitzenreiter bei den Klageverfahren.

Amtsgericht Köln: Spitzenreiter bei Klageverfahren gegen Fluggesellschaften

Vor Gericht dreht sich der Streit häufig um die Frage, ob die Fluggesellschaft außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände nachweisen kann, die eine Befreiung von der Entschädigungspflicht zur Folge hätte. Im Fall der Müllers führt der Wintereinbruch und die notwendige Enteisung nicht dazu, dass die Entschädigung entfällt. So entschied der Bundesgerichtshof am 27. August 2024 (Az. X ZR 146/23).

In dem Urteil heißt es, dass die Notwendigkeit der Enteisung eines Flugzeugs vor dem Start in Zeiträumen, in denen mit winterlichen Temperaturen zu rechnen ist, in der Regel keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung darstelle. Es sei die Aufgabe der Airline, das eingesetzte Flugzeug in technisch einwandfreiem Zustand zu halten und im Winterbetrieb eine Eisbildung auf den Tragflächen und Triebwerkseinlässen zu verhindern oder zu beseitigen. „Eine dadurch bedingte Verspätung ist als üblicher und zu erwartender Ablauf in die Flugdurchführung einzuplanen“, sagt ein Sprecher des NRW-Justizministeriums.

NRW will sich für Verschärfung der Regeln einsetzen

Aktuell steht die Wiederaufnahme der Verhandlungen in der EU zur Überarbeitung der Fluggastrechte-Verordnung an. Der Bund hat die Länder im Rahmen einer öffentlichen Konsultation zu etwaigem Änderungsbedarf der Verordnung beteiligt, zu dem diese bis zum 12. März Stellung nehmen können. Dabei stehen sowohl Notwendigkeit und Höhe der Entschädigungsleistungen auf dem Prüfstand als auch Fragen zur Bearbeitung von Beschwerden und Umgang mit Forderungen. NRW wird dies zum Anlass nehmen, auf den nach wie vor andauernden Missstand hinzuweisen und sich auch für eine Verschärfung der Regeln einsetzen, wenn sich keine Verbesserung des Regulierungsverhaltens abzeichnet. „Bei der jetzt anstehenden Überarbeitung der Fluggastrechte-Verordnung werden wir gegenüber dem Bund und der EU deutlich machen, dass an angemessenen Entschädigungen für Passagiere auch in Zukunft kein Weg vorbeiführt“, so Limbach.

Fluggesellschaften könnten dem Staat viel Bürokratie ersparen, wenn sie die Rechte ihrer Passagiere endlich ernst nehmen und bei Annullierungen und Flugausfällen die geschuldete Kompensation anstandslos zahlten. „Dass dies nicht der Fall ist, zeigt der heftige Anstieg von Klagen vor unseren Gerichten“, sagt Justizminister Limbach. Dabei seien die Ansprüche der Kunden häufig berechtigt und könnten ohne viel Aufwand reguliert werden. „Eine reibungslose Abwicklung dieser Ansprüche durch die Airlines wäre nicht nur im Sinne der Kunden, sondern würde auch wertvolle staatliche Ressourcen schonen“, so der NRW-Justizminister.

Kunden treten Anspruch an Legal-Tech-Anbieter ab

Die hohe Zahl der Klagen hängt auch damit zusammen, dass sich betroffene Kunden an sogenannte Legal-Tech-Plattformen im Internet wenden, die sich auf die Bearbeitung von Fluggastrechtefällen spezialisiert haben. Bei einem als berechtigt eingestuften Anspruch lassen sich die Plattformen die Rechte der Kunden abtreten und verfolgen sie gegen die Fluggesellschaften. Kann der Anspruch durchgesetzt werden, behält das Unternehmen eine Provision.

„Seit dem 14. Februar 2024 pilotieren wir beim Amtsgericht Köln erstmals eine automatische Datenaufbereitung, damit die Klageverfahren schneller erfasst und erledigt werden können“, sagt Justizminister Limbach. Perspektivisch sei der Einsatz eines KI-Modells geplant, das die Richterinnen und Richter mit einem aktenübergreifenden Textvergleich und einem Entscheidungsvorschlag unterstützen soll. NRW will die Entwicklung gemeinsam mit den Ländern Niedersachen, Hessen und Brandenburg anstoßen.

Entschädigungen sind auch möglich, wenn die Passagiere sich für eine Weiterreise per Bahn entscheiden, wie dieses Beispiel zeigt. Herr Peters hat einen Flug von Düsseldorf nach Zürich gebucht. Da der Flug überbucht ist, verweigert die Fluggesellschaft ihm die Beförderung. Da der nächste Flug nach Zürich erst am Folgetag geht, entscheidet sich Peters, mit der Bahn zu fahren. Er kann nach Artikel 4 Fluggastrechte-Verordnung eine Ausgleichsleistung in Höhe von 250 Euro und die Rückerstattung der Ticketkosten verlangen.