Flüchtlingsministerin Paul geriet nach dem Anschlag von Solingen unter Druck. Die Grünen-Politikerin erklärt, was sie von Grenzkontrollen und Wiedereinreiseverboten hält.
NRW-MinisterinPaul: „Nächtliche Ausgangsverbote können Abschiebequote erhöhen“
Frau Ministerin, seit dem Anschlag von Solingen sind fast sechs Wochen vergangen. NRW hat ein umfassendes Sicherheitspaket vorgelegt. Hätte der Anschlag verhindert werden können, wenn die neuen Maßgaben schon vor dem Attentat zur Anwendung gekommen wären?
Josefine Paul: Wir haben nach dem schrecklichen Anschlag von Solingen schnell reagiert und ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, mit dem wir in den Bereichen der Sicherheit, Migration und Prävention dringend notwendige Verbesserungen umsetzen. Damit sind wir einen ersten großen Schritt gegangen, damit sich solche Ereignisse wie in Solingen nach Möglichkeit nicht wiederholen. Ein wirksamer Ansatz ist, die Radikalisierung zu verhindern. Gleichzeitig müssen wir denjenigen, die unsere Sicherheit gefährden, rechtzeitig auf die Spur kommen.
Ein zentraler Fehler war offenbar, dass die Ausländerbehörde bei ihrem Abschiebeversuch nicht konsequent genug war. Nachdem der Syrer nicht in seinem Zimmer angetroffen wurde, zogen die Beamten ab und kamen nicht wieder...
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Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Behörden nicht die Möglichkeiten, die sie heute haben. Inzwischen hat die Bundesregierung mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz weitere Möglichkeiten geschaffen, so dass jetzt auch weitere gemeinschaftliche Räume sowie Wohnungen Dritter betreten werden dürfen. Außerdem haben wir die Unterkünfte verpflichtet, den Zentralen Ausländerbehörden zu melden, wenn Personen, die sich der Abschiebung oder Rücküberstellung entzogen haben, wieder auftauchen.
Es gibt die klare Anweisung, dass dann immer sofort ein weiterer Überstellungsversuch zu beantragen ist. Ob es in diesen Fällen einen Flug gibt, ist eine andere Sache. Deswegen haben wir im Bundesrat angeregt, die Verfügbarkeit von freien Plätzen bei den entsprechenden Flügen durch eine bundesweite Storno-Plattform besser einsehbar zu machen.
Sollte ausreisepflichtigen Flüchtlingen ein nächtliches Ausgangsverbot erteilt werden?
Nächtliche Ausgangsverbote können dazu beitragen, die Abschiebe- und Rücküberstellungsquote zu erhöhen. Das ist aber zwingend immer im Einzelfall zu prüfen. Entscheidend ist, was am erfolgversprechendsten ist und wo natürlich die rechtlichen Möglichkeiten gegeben sind.
Josefine Paul zu Drittstaatenverfahren: Keine falschen Erwartungen wecken
Die CDU schlägt vor, Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen. Was halten Sie davon?
Es muss auf fachlicher Ebene einen Klärungsprozess geben, wie das rechtsstaatlich und menschenrechtskonform umgesetzt werden soll. Ich sehe da viele offene Fragen. Man sollte keine falschen Erwartungen durch Modelle wecken, bei denen bislang nicht geklärt ist, ob sie funktionieren.
Deutschland hat die Grenzkontrollen verstärkt. Wie kann verhindert werden, dass auch Flüchtlinge mit einem berechtigten Asylanspruch an der Einreise gehindert werden?
Die Verstärkung der Grenzkontrollen ist Teil des Sicherheitspakets der Bundesregierung. Man muss jetzt genau die Wirksamkeit und die Auswirkungen dieser Maßnahmen bewerten. Die stellen ja auch eine enorme Belastung für den Binnenverkehr und für die Polizeikräfte dar.
NRW setzt im Kampf gegen den Terror auch auf Online-Durchsuchungen. Wie finden Sie den Vorschlag, die Altersgrenze von Personen, die in den Blick genommen werden, auf 14 Jahre abzusenken?
Wir müssen ehrlicherweise feststellen, dass die Bedrohungslage sich verändert hat. In der Vergangenheit sind uns immer wieder Fälle bekannt geworden, bei den sich auch 14-Jährige radikalisiert hatten. Darauf müssen wir jetzt mit einer Anpassung des Instrumentenkastens reagieren. Dabei ist aber wichtig, dass wir mit dem Maßnahmenpaket auch im Bereich der Prävention und hier in der Jugendhilfe ansetzen, damit wir erst gar nicht in den Bereich von Straftaten kommen.
Was halten Sie davon, Extremisten die doppelte Staatsbürgerschaft zu entziehen?
Klar ist zunächst einmal, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und bleibt. Gleichzeitig müssen wir auch konsequent gegen diejenigen vorgehen, die unsere Art, in Freiheit zu leben, zerstören wollen. Bereits jetzt geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, wenn sich Doppelstaatler an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligen.
Bislang kommt es immer wieder vor, dass Flüchtlinge „zu Besuch“ in ihre Heimat reisen. Sollten diese ihren Schutzstatus verlieren?
Es müssen in besonderen Fällen auch Ausnahmen möglich sein. Geflüchtete, die unter Anmeldung bei der Ausländerbehörde beispielsweise zu einer Beerdigung in ihrer Heimat geflogen sind, sollten wieder einreisen dürfen.
Warum sind Sie dagegen, im Fall Solingen einen Sonderermittler einzusetzen?
Die Landesregierung hat sehr schnell ein umfassendes Sicherheitspakt mit Sofortmaßnahmen aufgelegt, und das Parlament wird einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, der alle Umstände des Falls ausleuchten wird. Die polizeiliche Aufklärung wird von der Generalsbundesanwaltschaft mit Hochdruck vorangetrieben. Ich glaube, die Einsetzung eines Sonderermittlers würde nicht zu einem höheren Erkenntnisgewinn führen.
Paul: Rückruf an Reul hatte sich erledigt
Ihnen wird vorgeworfen, am Sonntag nach dem Anschlag nicht persönlich auf die Rückrufbitte des Innenministers reagiert zu haben. War das ein Fehler?
Innenminister Reul hat mich am Sonntagmorgen per SMS mit der Frage kontaktiert, wann wir telefonieren könnten. Einer meiner Mitarbeiter, der mich auf meiner Dienstreise begleitete, hat daraufhin das Büro des Innenministers angerufen. Dieses teilte mit, dass Minister Reul mich zu den mittlerweile öffentlich gewordenen Informationen rund um den Tatverdächtigen informieren wollte. Ein Rückruf hätte sich somit erübrigt.
Also würden Sie künftig genauso verhalten?
Ich war bekanntlich zu dem Zeitpunkt, als mich die Rückrufbitte erreichte, bei einer Gedenkveranstaltung in Frankreich. Es ist ein ganz normaler Vorgang, dass man Referenten bittet, dringende Fragen abzuklären, wenn man selbst gerade nicht sprechen kann – dafür sind sie da. Der notwendige Kontakt hat also bestanden.
Sie gehören zum linken Flügel der Grünen. Fällt es Ihnen schwer, den Kurswechsel in der Sicherheits- und Migrationspolitik mitzutragen?
Die Menschen erwarten zu Recht von uns, dass wir dafür sorgen, dass die rechtsstaatlichen Prozesse funktionieren. Da sind auch die Grünen in der Verantwortung, und der stellen wir uns.