Staatliche Institutionen sind zur politischen Neutralität verpflichtet. Die CDU-Ministerin Ina Scharrenbach nimmt es nicht so genau.
Verstoß gegen Neutralitätspflicht?NRW-Ministerium schießt gegen Ampel – Kölner Jurist: „Grenze des Zulässigen überschritten“
Sie ist angriffslustig, schlagfertig – und sehr selbstbewusst. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach gehört zum Führungsteam der NRW-CDU und wird als Nachfolgerin von Ministerpräsident Hendrik Wüst gehandelt, falls dieser nach Berlin wechseln sollte. Jetzt wird in Düsseldorf der Vorwurf erhoben, Scharrenbach habe gegen demokratische Spielregeln verstoßen. Es geht um Botschaften in den sozialen Medien. Die Chefin hatte den Nachrichtenkanal ihres Ministeriums dazu genutzt, um gegen die Bundesregierung zu wettern. Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht der Staatsorgane?
Vor wenigen Tagen erschien auf dem Account des NRW-Bauministeriums bei X (vormals Twitter) diese Nachricht: „Das Ampel-Gehampel um die Finanzierung der Hilfen für den Wiederaufbau muss schnellstens ein Ende haben“. Zuvor hieß es: „Durch das stümperhafte Vorgehen der Bundesregierung verschärft sich die Wohnungskrise.“ Und: „Nach dem Heizungshammer jetzt die Gebäude-Keule“. Meinungsäußerungen, die im öffentlichen Diskurs von Parteipolitikern völlig in Ordnung sind. Es stellt sich jedoch die Frage, ob politische Bewertungen auch durch ein Ministerium verbreitet werden dürfen.
Scharrenbach lässt Kritik abtropfen
Die FDP übt scharfe Kritik an dem Vorgang. „Ministerin Scharrenbach hat mit ihrem Ministerium offenbar beschlossen, die Grenze zwischen Regierungsarbeit und parteipolitischer Agenda zu verwischen“, sagte Marcel Hafke, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Steuermittel und offizielle soziale Medienkanäle einzusetzen, um Parteipolitik voranzutreiben, sei „nicht nur fragwürdig, sondern auch völlig inakzeptabel“, so Hafke.
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Das Vorgehen untergrabe das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Landesregierung und werfe ernsthafte Fragen zur Trennung von Partei und Staat auf. „Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass ihre Regierung in ihrem besten Interesse handelt und nicht in erster Linie die Interessen einer politischen Partei verfolgt“, erklärte der Liberale aus Wuppertal. Scharrenbach müsse sicherstellen, dass die Verwaltungsaufgaben und die Kommunikation ihres Ministeriums strikt von Parteipolitik getrennt bleiben.
Scharrenbach ließ die Kritik an ihrem Vorgehen wortkarg abtropfen. „Wahrheiten muss man aussprechen“, erklärte die Chefin der Frauen-Union in NRW auf Anfrage unserer Zeitung. Eine Reaktion, die bei der Opposition für zusätzliche Verärgerung sorgte.
Auch die Grünen sind irritiert
Scharrenbach sei damit „eindeutig übers Ziel hinausgeschossen“, sagte Ina Blumenthal, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Landtag. „Mit ihrem flapsigen Kommentar macht die Ministerin ihr Verhalten zudem nicht besser, sondern offenbart vielmehr ihr fehlendes Amtsverständnis“, sagte Blumenthal. Scharrenbach hoffe, mit dieser Art und Weise auf einer öffentlichen Zustimmungswelle surfen zu können: „Das macht es umso populistischer und ist der Amtsführung einer Ministerin leider nicht sehr würdig", so die SPD-Politikerin aus Gevelsberg.
Auch beim Koalitionspartner der CDU sieht man das Vorgehen durchaus kritisch. Pointiert geführte politische Auseinandersetzungen gehörten zur Demokratie dazu, sagte Mehrdad Mostofizadeh, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, auf Anfrage. „Schwierig wird es aber dann, wenn politische Spielregeln nicht eingehalten oder Grenzen überschritten werden“, so der Politiker aus Essen. Das gelte insbesondere für Ministerinnen und Minister, denn diese stünden zu Recht unter besonderer Beobachtung. „Niemand verlangt, dass sie sich parteipolitisch zurückhalten. Man sollte aber so klug sein, den passenden Kanal zu wählen. Tut man das nicht, muss man sich über Kritik nicht wundern“, sagte Mostofizadeh.
Professor sieht Grenze überschritten
Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Uni Köln. Der Spitzenjurist erklärte, für Mitglieder der Landesregierung gelte ein politisches Neutralitätsgebot, das unter anderem im Grundgesetz verankert sei. „In einer Demokratie verläuft die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen – und nicht umgekehrt. Regierungsmitglieder dürfen deshalb in amtlicher Funktion keine parteipolitischen Stellungnahmen abgeben“, sagte der Professor dem „Kölner Stadt-Azeiger“.
Kritik einer fachlich zuständigen Landespolitikerin an der Politik der Bundesregierung halte er aber verfassungsrechtlich für unproblematisch. „Nur bei dem Begriff ‚Ampel-Gehampel‘ scheint mir die Grenze des Zulässigen überschritten – hier werden konkurrierenden Parteien der Ampel und nicht die Bundesregierung als Verfassungsorgan kritisiert“, so Ogorek.
„Ich verstehe, dass bei Regierungsvertretern die Versuchung generell groß ist, für ihre Botschaften auch staatliche Kommunikationskanäle zu nutzen, da diese eine hohe Reichweite aufweisen“, sagte der Instituts-Direktor. „Ministerin Scharrenbach hat sich mit diesem einen Detail ihres Tweets über die Ampel etwas zu weit aus dem Fenster gelegt“, fügte der Professor hinzu. Es wäre „gut“, wenn sich die Regierenden in Bund und Ländern „nicht nur in Wahlkampfzeiten an das Neutralitätsgebot erinnern“ würden.