Kindesmissbrauch, Clans: Die Schwerpunktpolitik des NRW-Innenministers hat ihren Preis. Die Aufklärungsrate bei Alltagskriminalität schwächelt. Herbert Reul spricht über die Herausforderungen seines Ressorts.
NRW-Innenminister Reul im Interview„Demagogen konstruieren die Mär von einer rechtsextremen Polizeitruppe“
Herr Minister, erneut ist ein Fall rechtsextremer Chats bei der NRW-Polizei aufgetreten. Die Verfahren häufen sich, finden Sie nicht?
Herbert Reul: Nach meinem Eindruck gibt es solche Vorfälle leider immer wieder. Allerdings ist es ein gutes Zeichen, dass diese Leute durch die Sicherheitsbehörden enttarnt wurden und werden. Wir haben seit 2017 insgesamt 105 Fälle geahndet, 63 sind noch anhängig. Bei 189 Hinweisen hat sich der Tatverdacht nicht erhärtet. Insgesamt reden wir hier von 357 Fällen. Angesichts von 57.800 Beschäftigten der Polizei NRW liegt der Anteil im Promillebereich. Daraus konstruieren Demagogen und manche Kriminologen die Mär von einer rechtsextremen Polizeitruppe. Dabei handelt es sich tatsächlich um vereinzelte schwarze Schafe, die bei der Polizei nichts zu suchen haben. Wir versuchen alles, um sie aus dem Dienst zu entfernen.
Aktuell reißt die Pensionierungswelle der Boomer-Generation gerade bei der Kripo große Lücken. Da geht viel Know-how verloren, wie wollen Sie den Personalmangel wettmachen?
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In den kommenden Jahren werden in der Größenordnung bis zu 450 Kripo-Beamte ausscheiden. Das ist natürlich ein großer Verlust, allerdings stocken wir gerade insgesamt die Zahl der Polizisten und Polizistinnen um 1.000 auf 41.000 auf, das ist unser Spielraum, die Kripo personell zu stärken.
Reul: „Viele junge Leute sitzen lieber im Streifenwagen, Aktenberge können abschrecken.“
Sowohl Staatsanwälte als auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) monieren, dass die Kommissariate gerade im Bereich Mord, bei der Organisierten Kriminalität, der Wirtschafts-, Betrugs- oder Massenkriminalität absaufen. Wie soll dieser Missstand behoben werden?
Zunächst einmal sollte man konstatieren, dass seit meinem Amtsantritt 2017 die Zahl der Planstellen für Kripobeamte von 9.500 auf 10.000 angestiegen ist. Wir würden gerne noch mehr Beamtinnen und Beamte in die Kommissariate hineinbringen. Allerdings wollen aktuell offenbar viele junge Leute lieber im Streifenwagen bei der Schutzpolizei sitzen, zum Beispiel, weil die Arbeitszeiten hier planbarer sind, man die Ermittlungen nicht mit nach Hause schleppt und auch die Aktenberge manchen abschrecken können.
Experten monieren eine einseitige Schwerpunktsetzung. Stichwort Kampf gegen kurdisch-libanesische Clans oder Kindesmissbrauch.
Man muss sich manchmal entscheiden, neue Schwerpunkte zu setzen. Und da habe ich etwa im Bereich der Bekämpfung der Kinderpornografie die Zahl der Ermittlerinnen und Ermittler verfünffacht. Die kommen natürlich aus anderen Bereichen, doch das war angesichts der monströsen Verbrechen in Lügde oder der BAO Berg mit ihren Hunderten Verfahren die einzig richtige Entscheidung. Dazu stehe ich.
Schwerpunkte können sich verschieben und durch den Zuwachs neuer Kripo-Kräfte sollte sich das Delta auch wieder schließen. Dabei geht es nicht nur darum, die großen Verbrecher-Syndikate zur Strecke zu bringen, die Kripo muss auch wieder mehr die ganz normale Alltagskriminalität wie Taschendiebstahl, Wohnungseinbruch oder Raub angehen. Das sind doch die Delikte, die der normale Bürger am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Bekämpfung des Organisierten Verbrechens gut aufgestellt
Aber gerade in Fällen der Massenkriminalität lässt die Aufklärungsrate zu wünschen übrig.
Ja sehr, allerdings ist dies eine andere Baustelle. Zaubern kann ich nicht, um etwa von heute auf morgen die Fehler jahrzehntelanger personeller Sparmaßnahmen bei der Polizei binnen weniger Jahre auszugleichen. Das Innenministerium steht vor der Mammutaufgabe, die Polizei sukzessive weiter auszubauen und zugleich der Kripo ihre alte Schlagkraft wiederzugeben. Gleichzeitig verändern sich auch die Aufgaben und Schwerpunkte.
Leider werde ich deshalb auf absehbare Zeit zunächst die Bereiche stärken müssen, die sich mit der Alltagskriminalität beschäftigen. Der Bereich zur Bekämpfung des Organisierten Verbrechens ist im Vergleich dazu personell bereits besser aufgestellt. Deshalb liegt unser Schwerpunkt gegenwärtig bei der Bekämpfung der Massenkriminalität.
Wie kann man den Kripo-Job denn attraktiver machen?
Meine Philosophie lautet: Kleine Stellschrauben bewirken mitunter mehr, als große Radmuttern. Die Kripo muss schneller, moderner und digitaler werden, dort steckt die Landesregierung viel Geld hinein. Wir haben das Modell „senior experts“ geschaffen. Versierte Ermittler holt das Land aus dem Ruhestand wieder zurück, um angehende Kommissare zu begleiten, zu schulen und für den Kripo-Job zu begeistern. Auch die Einführungsfortbildung für die Kriminalpolizei wird derzeit modernisiert. Wir müssen unsere jungen Nachwuchskriminalisten besser auf ihren Job vorbereiten und gut qualifizieren.
Wie muss sich aus Sicht des Ministers die Polizei in den nächsten Jahren aufstellen, um den Herausforderungen gewachsen zu sein?
Die digitalen Herausforderungen spielen eine große Rolle. Das heißt nicht, dass die Beamten nicht mehr auf der Straße präsent sind. Die großen Bedrohungen – Wirtschaftskriminalität, Organisierte Kriminalität, Terrorismus oder Kindesmissbrauch – haben sich längst ins Netz verlagert. Deshalb ist dies die größte Baustelle. Daher gilt es, sowohl massiv IT-Experten auszubilden als auch entsprechende Programme anzukaufen, um gerade den Cyber-Tätern auf die Schliche zu kommen. Ferner stellt sich die Frage: Wie und wann kann Künstliche Intelligenz bei der Verbrecherjagd helfen? Das sind in der Tat viele Felder, die es zu beackern gilt.