Wie geht es nach der Bundestagswahl in NRW weiter? CDU und SPD führten bislang im Landtag heftige Grabenkämpfe. Den Sozialdemokraten fällt es schwer, Vertrauen zur Merz-CDU aufzubauen.
Zweier-Bündnis mit der Union?NRW-SPD ist wenig begeistert vom Pakt mit „Graf Merzula“
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„An der Seite von Graf Merzula wird sich die SPD bestimmt nicht erholen“, warnt ein SPD-Kommunalpolitiker aus Köln.
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Der Abend war lang und hat Nerven gekostet. Serap Güler, Bundestagskandidatin der CDU im Wahlkreis Köln 1, hatte sich gute Chancen ausgerechnet, das Direktmandat zu gewinnen. Bei der Auszählung gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem am Ende SPD-Gegenkandidatin Sanae Abdi mit 0,3 Prozent Vorsprung die Siegerin war. Der Ernüchterung folgte Erleichterung. „Gegen Mitternacht hat mich Hendrik Wüst angerufen. Er sagte, dass ich wahrscheinlich über die Liste in den Bundestag einziehen würde. Das hat mir natürlich gutgetan, weil ich damit nicht gerechnet hatte.“
Güler bleibt im Bundestag die einzige CDU-Vertreterin aus Köln
Am Tag nach der Wahl sitzt Güler im ICE nach Berlin. Der Wahlkampf ist vorbei, jetzt stehen die nächsten Aufgaben an. In der NRW-CDU hat die Nachricht, dass ein Zweier-Bündnis mit der SPD rechnerisch möglich ist, gemischte Gefühle ausgelöst. „Unser Land braucht Tempo und keine Blockadepolitik“, sagt Serap Güler. „Die SPD muss bereit sein, schnell Verantwortung zu übernehmen. Alle müssen ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden und nach vorne blicken.“
Güler bleibt auch im nächsten Bundestag die einzige CDU-Vertreterin aus Köln. „Klar, ich hätte mir für die CDU ein besseres Ergebnis gewünscht“, sagte die Verteidigungsexpertin. In der CDU hatten viele mit einem Wert von deutlich mehr als 30 Prozent gerechnet. 28,2 Prozent sind daher eher enttäuschend – und verschaffen Kanzlerkandidat Friedrich Merz nicht gerade Rückenwind. Güler bleibt bei einem positiven Blick auf die Ausgangslage: „Wir sind die stärkste Kraft und ohne uns geht nichts. Das ist doch das, was am Ende zählt.“
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Künftige Regierung solle sich an NRW orientieren
Auch bei der CDU in Düsseldorf ist die Stimmung von Zweckoptimismus geprägt. Die Erleichterung, kein Dreier-Bündnis schmieden zu müssen, ist groß. Nathanael Liminski, NRW-Europaminister und Chef der Staatskanzlei, setzt darauf, dass der Stil der Zusammenarbeit einer künftigen Bundesregierung sich ein Vorbild an NRW nehmen wird.
„Dass nach drei Jahren Ampel neben der Union als demokratischer Opposition vor allem drei extreme Parteien dazugewinnen konnten, zeigt, wie wichtig gutes Regierungshandwerk für das Vertrauen in die Politik ist oder eher wohl gewesen wäre“, erklärt der Chef der CDU-Mittelrhein. Die Wählerinnen und Wähler wollten nun einen Politikwechsel in Deutschland: „Die Parteien der Mitte tragen jetzt eine große Verantwortung, Deutschland aus der Krise zu führen. Dafür braucht es Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit.“
In NRW arbeitet die CDU mit den Grünen seit 2022 in einer Regierungskoalition miteinander. Beide Seiten betonen immer wieder, wie professionell die „geräuschlose Zusammenarbeit“ funktioniert. In Düsseldorf war daher ein Zweier-Bündnis mit den Grünen als Wunschkoalition favorisiert worden. Aber dazu ist das Ergebnis von CDU und Grünen zu schwach ausgefallen. Merz muss jetzt sehen, wie er mit der SPD klarkommt. Das wird wohl nicht leicht.
Weiter Weg zu einer möglichen Koalition
In Düsseldorf liefert sich die SPD als Oppositionspartei schon seit 2017 zum Teil heftige Grabenkämpfe mit der CDU. SPD-Fraktionschef Jochen Ott wirft Ministerpräsident Wüst ein Generalversagen vor. Einer Zusammenarbeit auf Bundesebene mit der CDU sieht man naturgemäß wenig euphorisch entgegen. „Der Ball liegt jetzt bei der Union“, sagt Ott. „Sie ist es, die jetzt Brücken bauen muss, die sie vorher eingerissen hat.“ Eins sei jedenfalls klar, sagt der Politiker aus Köln: „Der Weg zu einer möglichen Koalition ist noch weit.“

Die SPD in NRW steht einer Zusammenarbeit mit der CDU auf Bundesebene kritisch gegenüber.
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Trotz der herben Niederlage gibt sich die SPD selbstbewusst. Am Nachmittag tritt NRW-Parteichefin Sarah Philipp vor die Mikrofone. Merz habe durch seine Zusammenarbeit mit der AfD und seine aggressive Rhetorik das Vertrauen der demokratischen Mitte stark erschüttert, sagt die Politikerin aus Duisburg. Es sei „höchste Zeit“, dass Merz jetzt rhetorisch abrüsten müsse.
Auch an der Basis sieht man einer künftigen Zusammenarbeit mit Skepsis entgegen. „An der Seite von Graf Merzula wird sich die SPD bestimmt nicht erholen“, warnt ein SPD-Kommunalpolitiker aus Köln mit Nachdruck. Karsten Rudolph, Ex-Landesvizechef der NRW-SPD, forderte den Rückzug der Parteispitze. „Mit der Bundestagswahl ist die SPD keine Volkspartei mehr“, sagte der Geschichts-Professor aus Bochum. Dafür trage nicht nur Olaf Scholz die Verantwortung. „Der Parteivorstand muss in einer solchen Situation die Verantwortung übernehmen und zurücktreten, um ab sofort einen glaubwürdigen Neuanfang zu ermöglichen“, so Rudolph.
Kommt Bas zurück nach NRW?
Der Ausgang der Bundestagswahl könnte auch das Personalkarussell in NRW in Gang bringen. Da die SPD nicht mehr länger im Bundestag die stärkste Fraktion ist, fällt nun der Posten der Bundestagspräsidentin an die CDU. Amtsinhaberin Bärbel Bas (SPD) verliert ihren Job, kann lediglich als Vize-Präsidentin weitermachen. Der Bedeutungsverlust im Bund könnte der Duisburgerin die Rückkehr nach NRW schmackhaft machen. „Wir könnten Bärbel gut als Spitzenkandidatin in NRW gebrauchen“, sagt ein Landtagsabgeordneter. „Sie hätte jedenfalls beste Chancen, Wüst aus dem Amt zu kippen.“
Auch bei der FDP brechen jetzt neue Zeiten an. Der Düsseldorfer Landtag gehört zu den wenigen politischen Bühnen, auf denen die Liberalen noch verblieben sind. Wenn es darum geht, liberalen Position Gehör zu verschaffen, dann muss dort jetzt der Fokus liegen. Der angekündigte Abschied von Christian Lindner erfüllt viele Liberale mit Wehmut. Unvergessen sind die Erfolge des Wermelskircheners als Frontmann der FDP in NRW.
„Der Christian wird riesige Fußstapfen hinterlassen“
„Der Christian wird riesige Fußstapfen hinterlassen“, heißt es in der Landtagsfraktion. Ob der amtierende Partei- und Fraktionschef Henning Höne künftig weitere Aufgaben im Bund übernimmt, ist noch offen. „An öffentlichen Spekulationen über das zukünftige Spitzenpersonal der Freien Demokraten beteilige ich mich nicht“, sagte Höne. „Naturgemäß“ spiele die FDP NRW als größter Landesverband aber eine gewichtige Rolle in dieser Frage.
Auch bei den Grünen in NRW herrscht Trübsal über den Machtverlust in Berlin. Zwar haben Sven Lehmann und Katharina Dröge erneut ihre Wahlkreise direkt gewonnen, aber NRW-Parteichef Tim Achtermeyer spricht von einem „bitteren Tag“: Drängende Themen wie die Klimakrise und die Modernisierung des Landes würden „in der absehbaren Regierungskonstellation voraussichtlich beiseitegeschoben“. Mit den „pragmatischen Lösungen“ seien die Grünen „nicht ausreichend durchgedrungen“.

Karsten Rudolph fordert den Rücktritt der SPD-Parteispitze.
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Voll zufrieden mit dem Wahlergebnis sind in NRW einzig Linke und AfD. Martin Vincentz, Sprecher der AfD NRW, freute sich über das Rekordergebnis von 16,8 Prozent und 26 künftigen Bundestagsabgeordneten der AfD aus NRW: „Wir sind auch in NRW auf dem Weg zur Volkspartei“, sagt Vincentz.
Die Linke bereitet sich auf Kommunalwahlen vor
Bei den Linken ziehen nun mit Landeschef Sascha H. Wagner insgesamt 13 Abgeordnete in den Bundestag ein. Jetzt gebe es „keine Atempause“, sagt Landesgeschäftsführer Sebastian Merkens, denn im Herbst stünden die Kommunalwahlen in NRW an. „Jetzt kämpfen wir weiter – denn auch in den Kommunen braucht es eine starke Linke.“
Noch vor einem halben Jahr habe niemand gedacht, dass die Linke „ein so starkes Ergebnis“ feiern werden. Tatsächlich war vielfach angenommen worden, die Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht würde zum Sargnagel der Linken. In NRW kam das BSW aber nur auf 4,1 Prozent, die Linke schaffte 8,3 Prozent.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kehrte am Montag nach Düsseldorf zurück. Ob der Wahlsieg der Union im Bund Auswirkungen auf sein Personaltableau hat, ist noch offen. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) werden Chancen nachgesagt, einen Posten im Kabinett von Merz zu bekommen. Als möglicher Nachfolger wird in der Landtagsfraktion Thomas Kufen gehandelt. Der Oberbürgermeister von Essen und Bezirkschef der Ruhr-CDU kennt sich aus in der Landespolitik. Kufen war Integrationsbeauftragter in der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010).