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Streit der WocheMüssen wir uns fürs Fliegen und Fleischessen schämen?

Lesezeit 4 Minuten
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Fleisch essen, in den Urlaub fliegen – müssen wir uns dafür schämen? 

  1. Wir sind besorgt ums Klima. Trotzdem reisen wir so viel wie nie.
  2. Und auch auf die tägliche Wurst für wenig Geld wollen wir nicht verzichten.
  3. Ein Pro und Contra zum richtigen Umgang mit Fliegen und Fleischessen.

Eine Umweltschützerin und ein Hedonist im Wortgefecht.

Ja, wir sollten uns schämen!

Wenn ich mir ein Taxi von der Redaktion in Niehl bis zum Kölner Dom nehme, bezahle ich laut Taxiruf 15,90 Euro für rund fünf Kilometer. Wenn ich vom Flughafen Köln/Bonn nach London fliege, bezahle ich laut Ryanair ab 7,99 Euro für rund 500 Kilometer. Würden wir jetzt nicht über zurückgelegte Kilometer reden, sondern, sagen wir, Schokobons, dann könnten wir nun den Kopf schütteln, Schokolade nachschieben und das Ganze abhaken. Aber so ein Flug erzeugt 147 Kilo Kohlendioxid – pro Kopf. Fliegen ist ein Klimakiller.

Die Preise, die wir heute für Flüge oder Fleisch bezahlen, haben jeden Bezug zu dem verloren, was diese Güter wert sind. Das ist auch eine Folge unserer globalisierten, perfektionierten, effizienten Welt. Uns geht’s gut, und das ist super. Jetzt müssen wir aber auch anfangen, verantwortungsvoll mit den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte umzugehen.

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Es ist simpel: Wir haben einen Planeten, auf dem und ein System, in dem wir leben. Und es ist wesentlich einfacher, am System zu schrauben, als den Planeten davon zu überzeugen, sich bitte nicht weiter zu erhitzen. Weil wir gerne den Flieger nach München nehmen. Oder siebenmal die Woche 500 Gramm Hackfleisch für 2,90 Euro essen.

Lebensstil ist aus dem Ruder gelaufen

Wer sich nicht um die folgenden Generationen schert, der darf sich gerne auch über seine eigene langfristige Lebensqualität Gedanken machen. Nehmen wir einmal den Hitzesommer 2018, den mit den mehr als 1000 Hitzetoten. An diesem Hitzesommer waren wir schuld. Das haben Zuordnungswissenschaftler in Oxford errechnet. Sie können bestimmen, welchen Anteil der Mensch an Extremwetterereignissen hat. Das Ergebnis: Das mit dem heißen Sommer, das waren eben wir.

Bislang interessiert das kaum. Obwohl wir wissen, was Treibhausgase der Atmosphäre antun, brechen wir Flugzahl-Rekorde. Wir essen im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr, 1950 waren es noch 26. Früher gab es einmal die Woche Sonntagsbraten, jetzt steht das Land kopf, wenn es einmal die Woche vegetarisch essen soll.

Unser Lebensstil ist aus dem Ruder gelaufen, wir müssen dringend an ein paar Schrauben drehen, um ihn wieder mit der Umwelt kompatibel zu machen. Wir brauchen einen gesetzlichen (und sozial fairen!) Rahmen dafür. Bis es den gibt, sollten wir auf ein paar Würste verzichten. Und die Bahn nach München nehmen.

Eliana Berger ist 24 Jahre alt, Wirtschaftsredakteurin und sollte weniger Avocados essen.

Nein, wir müssen uns nicht schämen!

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Fleisch essen, in den Urlaub fliegen – müssen wir uns dafür schämen? 

USA und Russland liefern sich ein Wettrüsten mit Mittelstreckenraketen. Großbritannien verlässt das Friedensprojekt Europa. Die Verteidigungsarmee Bundeswehr ist an 16 Auslandseinsätzen beteiligt. Noch vor wenigen Jahren wären die Massen dagegen auf die Straße gegangen. Doch das bewegendste Thema ist nun der Klimaschutz. Wer in den Urlaub fliegt und damit CO2 verursacht, soll sich gefälligst schämen. Wer Würstchen grillt, ist schuld am Sterben der Regenwälder. Und wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, den nennt man Klimakiller und Feinstaubschleuder. Stehen die Themen, die Schüler jeden Freitag auf die Straße treiben und damit zu einem Gesinnungswandel beitragen, in einem realen Verhältnis zu anderen Problemen?

Ja, es stimmt, wer sich von Fleisch ernährt, verursacht mehr CO2 als ein Regio-Gemüse-Esser. Soll man deshalb das Fleisch teurer machen? Nein. Es ist eine Wohlstandserrungenschaft, dass heute Menschen aller Schichten Fleisch essen können, wann immer sie möchten. Wer das Klima schonen will, sollte den Fleischkonsum reduzieren. Aber es ist seine Entscheidung. In einer liberalen Demokratie sollte der Staat ihn nicht dazu zwingen.

Demokratisierung des Reisens

Mit dem Fliegen ist es nicht anders. Laut DLR gehen 2,2 Prozent des menschengemachten CO2 auf den Flugverkehr zurück, das Wohnen erzeugt mehr als 30 Prozent. Man mag die Nase rümpfen, wenn man für zweistellige Eurobeträge durch Europa fliegen kann. Aber preiswertes Fliegen bedeutet auch eine Demokratisierung des Reisens. So unabhängig von Einkommen oder sozialer Herkunft wie nie zuvor können Menschen heute ferne Länder kennenlernen und sich so ein Bild von anderen Völkern machen. Eine klimabewegte Flugsteuer würde diese Reisefreiheit einschränken und das Erleben ferner Länder wieder zu einem Privileg der Oberschicht machen. Die Tatsache, dass trotz Klimadebatte so viele Menschen fliegen wie nie zuvor, beweist, dass die Menschen reisen wollen. Zumindest scheint die Scham der 60 Millionen Deutschen, die im ersten Halbjahr 2019 geflogen sind, nicht sehr groß zu sein.

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Freiheit ist ein hohes Gut. Wo ist bei der in einem liberalen Land aufgewachsenen Generation der Klimaschützer dieses Ideal geblieben? Freiheit beinhaltet, selbst zu entscheiden, wie oft man fliegt, oder was man isst. Über die Folgen aufzuklären ist richtig. Ein klimaschonendes Handeln über Strafzahlungen und Verbote zu erzwingen ist aber das Gegenteil von Freiheit.

Thorsten Breitkopf ist 41 Jahre alt, Wirtschaftsressortleiter, pendelt 100 Kilometer täglich und fährt gern mit dem Auto zum Flughafen.